Mit Titel Of Record, einer umjubelten Tournee und Kampfansagen an die Konkurrenz zeigen Filter Flagge


Jahrelang war Richard Patrick ein typischer amerikanischer Slacker: Ein hagerer Mittzwanziger aus Cleveland, Ohio, der sich mit Drogen vollpumpte, die Schule schwänzte und davon träumte, ein Rockstar zu sein. Und das sollte sich zumindest teilweise erfüllen. Denn Richard jobbte im selben Plattenladen wie ein gewisser Trent Reznor. Der gründete kurz darauf Nine Inch Nails – eine Formation, die mit drei Alben zum Marktführer ihres Genres aufstieg, Millionen von CDs verkaufte und die größten Hallen der USA füllte. Doch Richards anfängliche Euphorie über den Part des zweiten Gitarristen sollte sich bald legen. Denn: Reznor komponierte und kassierte im Alleingang, der Rest der Truppe rekrutierte sich aus schlecht bezahlten Handlangern – und Richard war einer von ihnen. „Abgesehen von einem winzigen Loop habe ich auf keiner einzigen Platte mitgewirkt. Ich war ein reiner Statist.“

Nach drei Jahren zog er die Konsequenzen, nahm sich vor, manches anders und vieles besser zu machen. Der ehemalige NIN-Keyboarder Brian Liesegang schloß sich Richard an und agierte als Co-Autor des ersten Filter-Albums „Short Bus“. Mit Erfolg: Durch permanentes Touren und aufwendige Videos verkaufte sich das Werk rund 1,5 Millionen Mal. Angesichts des euphorischen Mix‘ aus harten Gitarren und sphärischen Keyboards nicht weiter verwunderlich. Zudem waren Filter in den letzten Jahren an den Soundtracks zu „Spawn“, „Seven“, „The X-Files“ oder „The Crow II“ beteiligt: „Die Filme waren scheiße“, sagt Richard, „aber es ist leicht, damit Geld zu verdienen. Und das brauchst du, um eine Band bei der Stange zu halten.“ Richard spricht aus Erfahrung: Schließlich verlor er Anfang ’96 seinen Schlagzeuger Matt Walker an die Smashing Pumpkins – und geriet dadurch in eine prekäre Situation: „Das hat mich finanziell fast ruiniert und die ganze Band kaputt gemacht. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn deine Single auf dem zweiten Platz der US-Charts steht, und du plötzlich nicht mehr touren kannst? Ich mußte mich persönlich bei Veranstaltern und Fans entschuldigen. Eine peinliche Nummer.“ Vor allem für Matt, der in seiner ersten Begeisterung nicht auf das Kleingedruckte in seinem Vertrag achtete: „Sie haben ihm 1.700 Dollar pro Woche gezahlt, während jedes Mitglied der Pumpkins 200.000 Dollar verdiente. Und wenn du mit so einer berühmten Truppe unterwegs bist, verkehrst du nur in den feinsten Hotels und Restaurants – als er seine Situation endlich begriffen hatte, war er völlig pleite.“ Überhaupt zählen die Pumpkins zu Richards erklärten Lieblingsthemen: „Im Grunde ist Billy Corgan genauso talentiert wie Kurt Cobain. Er hat die Fähigkeit, richtig zu rocken und andererseits wirklich verrücktes Zeug zu machen. Ich mag Billy, aber seine Business-Seite ist echt für den Arsch. Diese idiotische Vorstellung, unbedingt ein Rockstar sein zu müssen, hindert ihn doch nur daran, gute Musik zu machen.“ Trotz solcher Statements ist Richard Patrick ein Mann voller Selbstzweifel. Und das nicht nur wegen seiner schwarzen Hornbrille: „Manchmal denke ich, wir wären die langweiligste Band auf Erden. Ich trage keine blauen Kontaktlinsen, komme nicht aus dem Ghetto und gehöre keiner Gang an. Ich bin nur ein langweiliger weißer Junge aus Ohio. Deshalb frage ich mich so oft: Wie soll ich die Kids bloß für mich begeistern?“ Nun. „Title Of Record“ ist der Überflieger der letzten Wochen, und auch die jüngste Clubtournee verlief so gut, daß Richard bereits in naher Zukunft wieder nach Deutschland kommen will – zumindest eine Sache, die er den tourfaulen Reznors und Corgans voraus hat.