Motorpsycho


EINKUSCHELN IST ANGESAGT AN DIESEM kalten Abend am Frühlingsanfang. Nicht zu zweit, sondern mit den paar hundert Gleichgesinnten, die den Weg in die unwirtliche Bahnhofsgegend gefunden haben. Wem die Enge nicht reicht, der hat ja noch Motorpsychos Musik. Der Soundtrack zum Einkuscheln in ein neues Jahrtausend, Klänge für Zackig-Vorwärts-Verweigerer von einem Gitarristen, der die Haare tief ins Gesicht hängen lässt, als wolle er das Jetzt nicht sehen. Und einem Tastenmann, der sich wie ein Nerd hinter seine Keyboards verzogen hat und die Welt mit feinsten Streichersätzen gütig stimmen will. Motorpsycho kredenzen alle Retro-Zutaten – Geigen, Chorstimmen und die Akustische-ohne dabei pathetisch oder sentimental zu werden. Pomp funktioniert ohnehin nicht im Wellblechschuppen mit der niedrigen Decke, der den Westentaschen-Progrockern zusätzlich Bescheidenheit auferlegt. Dann ist da noch das übermisstrauische Indie-Publikum, das 6os-Orgeleien schon mal mit „Scheiß Doors„-Rufen quittiert. Zu Unrecht, denn Snah, Bent und Gebhardt kennen die Empfindlichkeiten, die Indie-Kollegen schon mal zu dem Statement veranlassten, gegen Musik wie diese sei vor 25 Jahren Punk erfunden worden. Wenig ist zu spüren von den ausgereiften Klangforschungen des aktuellen Albums, für das sich das Trio ein halbes Jahr Zeit nahm und mit vier Schlagzeugen, vielen Amps und echten Streichern experimentierte. Vielleicht ist Progrock auch das falsche Wort, es klingt zu verbohrt und festgefahren. Denn Motorpsycho, live zu viert, sind locker und farbenfroh wie das Tuch hinter ihnen, das eher an eine Goa-Trance-Party als an eine Reise in die Vergangenheit erinnert. Zwar gemahnen die endlos-parallelen Gitarrenlinien von „Song For A Brother“ an die Allman Brothers, doch das epische „30/30“ ist gar nicht so weit von Mogwais Sanft-Hart-Kontrasten entfernt. Nenn es Handsampling, wie die sympathischen Norweger Erinnerungsstücke verweben und gleichzeitig die Brücke schlagen zu sich langsam entwickelnden Endlosstücken. Wenn man wieder aufwacht, haben Motorpsycho fast die Zeitdimensionen der öffentlichen Nahverkehrsplaner gesprengt. Wer sich also nicht beeilt, verpasst den letzten Zug in die Gegenwart. Doch das ist einem großen Teil des Publikums schlichtweg egal.