Nena – Nicht Nur Geträumt


Ihrem Charme kann sich keiner entziehen. Selbst die verbissensten Kritiker schwärmen von Nenas entwaffender Natürlichkeit. Der Traum von 99 und einem Luftballon wurde über Nacht Wirklichkeit...

Stell‘ mir ja nicht so schwere Fragen“, lacht Nena entwaffnend, als ich sie nach einem Smalltalk mit Journalisten zum „vertiefenden“ Gespräch in einen Gang des Frankfurter Odeon entführe.

Ruhig Blut, Ich möchte dich erst mal mit einem Zitat aus einem Artikel über dich konfrontieren: „Es ist“, so heißt es da, „die berühmte und bewährte Mischung aus Sex und Unbekümmertheit, die den Erfolg der Nena Kerner ausmacht.“ Dein Kommentar dazu, bitte…

Nena ist erst einmal – baff. „Mein Kommentar?“ fragt sie ungläubig nach. “ Was soll ich denn dazu sagen, hey?!“

Na zum Beispiel, ob du dich in solchen Worten wiederfindest…?

„Also was die Unbekümmertheit angeht, das finde ich schon gerechtfertigt. Ich leb‘ wirklich so in den Tag hinein…“

Also hast du Probleme mit dem Sex, werfe ich provozierend ein.

Nenas „Nein“ geht in einer Lachsalve unter. „Was bin ich denn, hey?“ fängt sie sich wieder. „Sag‘ du mal“, gibt sie den Schwarzen Peter an Filmpartner Markus weiter. Der zuckt nur mit den Schultern.

„Jung und unschuldig vielleicht“, ist Nenas letztes, nicht allzu ernst gemeintes Angebot.

Besser, man versucht erst gar nicht, Nenas Erfolg en detail analysieren zu wollen. Man muß das „Phänomen“ Nena auch nicht unbedingt intellektuell begreifen. Am besten, man erschließt Nena gefühlsmäßig.

Nena lebt. Sie lebt ihren momentanen Erfolg. Fast wie im Rausch, ist man gewillt zu schreiben, würde diese Formulierung nicht falsche Assoziationen auslösen. Und Nena setzt dabei so viel Energien frei, daß sich auch andere Leute davon problemlos noch eine Scheibe abschneiden könnten – vorausgesetzt sie sind bereit, sich von ihrem Wirbel anstecken zu lassen.

Daß soviel Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, Optimismus und Offensive auch oft mit Skepsis und Mißtrauen begegnet wird, liegt wohl in der Natur der Deutschen. War man anfangs noch einmütig bereit, Nenas überschwengliche Freude über den 1. Platz, die sie am liebsten mit allen „Schnuckis“ geteilt hätte, als natürlich und sympathisch anzuerkennen, so waren die gleichen Personen nach Nenas „Alleingang“ in Frank Elstners „Menschen ’82“ schon weniger begeistert, reagierten pikiert, fanden Nena aufdringlich und das Interview peinlich.

„Ich kann immer nur so sein, wie ich bin, wie ich mich im Moment fühle“, klingt ihr Kommentar fast schon wie eine Rechtfertigung. „Ich lache wirklich gerne. Es ist nicht so, daß ich viel lache, weil die Leute das so wollen. Ich war schon immer so. Und es gibt bestimmt auch viele Momente, wo ich allein zu Hause sitze und nachdenke. Aber momentan ist es mir echt wichtig, Spaß zu haben und das Ganze zu genießen. „

Es überrascht, wie spielerisch Nena, Carlo Karges (Gitarre), Jürgen Dehmel (Baß, Stick), Rolf Brendel (Schlagzeug) und Uwe Fahrenkrog-Petersen (Keyboards) mit dem Busineß umgehen. Trotz aüer Irritation. Denn mit links erledigen selbst die lockersten Menschen diesen Rummel um ihre Person nicht.

„Ich bin ganz schön unsicher“, bestätigt Nena angesichts der Armada schreibender und blitzender Zunft, die auf sie einstürmt. “ Wenn ich da so sitze und hundert Fotografen kommen auf mich zu, da weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll. Da bin ich die Tomatenkönigin, you know? Oder in so einem Moment, wo du vor der Fernsehkamera stehst und weißt, tausend (es sind Millionen, Nena!) Leute schauen da jetzt zu, da kann man manchmal wirklich nicht mehr normal sein. Ich habe da auch so eine tierische, nein, nicht Angst, ich bin so aufgeregt, daß ich manchmal denke, hey, was hast du denn jetzt wieder gesagt?

Ich akzeptiere objektive Kritik, wenn ich mal bei einem Interview echt Scheiße geredet habe. Und das ist mir schon oft passiert. Ich weiß nicht, ob das vielleicht mit Erfahrung zu tun hat. Aber ich rede immer so, wie ich es mir gerade denke, und dann gibt es eben Leute, die dir dann sagen: ,Das hättest du mal besser nicht gesagt.‘ Wir, die Band, haben uns auch mal zusammengesetzt, um zu überlegen, was wir in Interviews alles sagen könnten. Aber ich finde das alles Quatsch. Ich kann so was einfach nicht.“

„Seit ich mit Nena zusammenarbeite, weiß ich: Sie ist der lustbetonteste Mensch, den ich kenne“, erzählt Carlo, der Gitarrist. „Bei ihr läuft alles über Emotionen. Sie ist beleihe nicht doof, aber du könntest ihr nie etwas intellektuell schmackhaft machen, was sie nicht auch gefühlsmäßig akzeptieren kann.“

Carlo, der erfahrenste Musiker bei Nena, der bereits für Novalis, die Rambiers, Extrabreit, die Bleibtreu Revue und Else Nabu in die Saiten griff, erlebt in dieser Formation erstmals seit langem wieder Gruppengeist. „Das ist seit Jahren die erste Band, mit der ich mich voll und ganz identifizieren kann. Jedesmal war es doch so, daß eine starke Persönlichkeit da war, die sich entwickeln wollte, für die ich eigentlich nur den roten Teppich mit ausgelegt habe.

Bei Nena ist es anders. Obwohl auch Nena eine Person ist, der man die Stücke auf den Leib schreiben muß, kann ich viel mehr von mir selber geben als in allen anderen Bands. Nena ist für mich ein guter geschmacklicher Maßstab, an dem man sich als Schreiber orientieren kann. Sie ist einfach, natürlich und direkt, sie sagt: „‚Dieser Satz da, so was würde ich nie sagen.‘ Dann streich‘ ich den eben.“

Abgesehen von diesem Freiraum bietet die Gruppe aber noch mehr für die beteiligten Musiker. „Mit ein Grund für den Erfolg ist sicher auch, daß nicht nur die fünf Leute aus der Band, sondern gleich noch ein ganzer Background von Leuten an dem Projekt mitgearbeitet haben. Alle waren der Sache wohlgesonnen und hatten irgendwie schon eine persönliche Beziehung zueinander. Eine Familie, wenn man so will. „

Als die Stripes, Nenas und Rolfe Hagener Band, endgültig ihr Leben ausgehaucht hatten, stellte die CBS Kontakte zu Jim , Rakete und der Spliff-Mannschaft her. Erstes Resultat der Zusammenarbeit war die Single 7 „Nur Geträumt“.

& Bei dieser Konstellation kamen verständlicherweise Gerüchte auf, die versierten Spliffer hätten auf die Schnelle ein feines Playback eingespielt, Nena draufsingen lassen – und die Gruppe sei erst zum ersten Fernsehtermin zusammengetrommelt worden. „Das hören wk oft“, meint Carlo, ist aber sicher, daß die ersten Live-Auftritte jeden Zweifel ausmerzen konnten.

Zu den ersten Auftritten kamen die meisten aus purer Neugier und gefielen sich dabei in Voyeur-Pose.

„Hey, ich hab‘ das in Berlin gemerkt“, erinnert sich Nena. „Das war tierisch. Da haben wir im Quartier Latin gespielt, mit PVC und den Insisters. Als ich auf die Bühne kam, habe ich genau gemerkt, wie die Leute in ihren Sesseln saßen und dachten: ,Na mal sehen, was die Kleine jetzt so macht.‘ Verstehst du, die Kleine!…

Aber dann war ich so stolz, daß es so gut gelaufen ist, daß wir alles rübergebracht haben, was wir machen wollten. Das fand ich echt beknackt: die Kleine! Jetzt hat sie mal n Hit gehabt…

Natürlich will ich ernst genommen werden. Und ich will auch keine Eintagsfliege sein oder das nette Mädchen von nebenan. „

Carlo zur Rollenverteilung in der Familie: „Die Sphffer bekommen von uns fertige Stücke als Demo. Zu den Demos geben sie dann ihre Meinung ab, die wir uns, als Musiker und Freunde, reinziehen. Was die Stücke angeht, sind wir vollkommen selbständig. Künstlerisch machen wir total, was wir wollen. Da machen sie nur Vorschläge, geben Anregungen. Das einzige, wo wir ihnen wiederum absolute Selbständigkeit überlassen, ist der Sound, weil sie da einfach ein Wissen und eine Erfahrung haben, wo wir nicht mithalten können.“

Und Jim Rakete Q.R) sorgt, neben Carlo, mit für das Gleichgewicht, die Balance, ist Katalysator, der den Enthusiasmus der Akteure fördert oder bremst, ge-‚ rade wie’s die Situation verlangt.

Die Wechselwirkung der Spliff-Mannschaft, die als Gruppe recht verschlossen wirken kann, und Nena, des Prototyps der offenen, sich öffnenden Band, funktioniert allen Zweifeln zum Trotz völlig unproblematisch. „Wir sind einfach jünger, weniger – wie soll ich sagen intellektuell. Die Spliffer sind alle schlaue und nachdenkliche Leute. Wir sind eher lebenslustig.“

Daß lebenslustig nicht gleichbedeutend mit oberflächlich und banal zu setzen ist, beweisen auch die „99 Luftballons“, Nenas neue Single, die trotz Kinderlied-Assoziation inhaltlich keineswegs nur heiße Luft ist.

Nena: „Wenn ich ,99 Luftballons‘ singe, krieg’ich eine Gänsehaut, denn ich verstehe erstens selbst, was ich da singe – und ich kann auch die Reaktion der Leute daraufspüren.“ Eine grundlegend andere Position als einst bei den englischsprachigen Stripes, „wo ich immer auf der Bühne versucht habe, die Leute anzumachen“.

Carlo: „Ich versuche als Schreiber, Oberfläche und Tiefe miteinander zu verbinden, weil die Sachen, die nur tief sind, mich emotional fertigmachen und was nur flach ist, läßt mich kalt. Ich wollte mit den ,99 Luftballons‘ keinen Anti-Kriegs-Song schreiben, das würde Nena auch gar nicht singen wollen. Es ist mehr ein Song mit der Aufforderung, halt aufzupassen, weil der Krieg ja auch in jedem einzelnen entsteht. „

„Das ist auch das Wichtigste, finde ich“, ist auch Nena für die beiläufig-spielerische Anregung zur Auseinandersetzung mit der politischen Wirklichkeit. „Ich könnte nie sozialkritisch sein oder politische Texte machen.“

Und Carlo schließt das Gespräch ab: “ Wenn ich diesen Nebeneffekt erreichen würde, wäre ich unheimlich glücklich.“