Paul McCartney


In Liverpool feierte sein "Oratorium" Premiere, in London gab's nun den Nachschlag. Schließlich mußte das Meisterwerk ja noch für die staunende Nachwelt festgehalten werden. Doch dann hatte er von der Klassik die Nase voll: Bei einem Spontan-Gig in Kopenhagen bewies McCartney, daß ihn der Rock 'n' Roll noch nicht ganz verloren hat.

Erst vor gut einem Jahr klagte McCartney. sein Hauptproblem sei es, daß ihm niemand zu sagen wage, wenn er sich auf dem Holzweg befinde; Elvis Costello (sein damaliger Co-Autor) bilde da die rühmliche Ausnahme. Carl Davis, Dirigent des Liverpooler Symphonie Orchesters, dazu Autor unzähliger Film-Soundtracks und klassischer Werke, ist leider nicht der neue Elvis. Und McCartney nicht der bescheidensten Komponisten einer. „Paul McCartney’s Liverpool Oratorio — von Paul McCartney und Carl Davis“ verkündet das Programmheft in prätentiöser Aufmachung. Der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß, ja er scheint durch den Aufmarsch eines Großorchesters samt Damen-, Männerund Knabenchor sowie vier Welt-Star-Opernstimmen nur noch vergrößert zu werden.

Mit dem „Libretto“ geht das Dilemma los. Die Story, in acht „Movements“ serviert, ist flau genug: Boy wächst im kriegsgeschüttelten Liverpool auf, geht zur Schule, Vater stirbt, Boy hat Pubertätsprobleme, Heirat, Arbeit („Hat Herr Fischer das Fax nach LA. schon losgeschickt? Und vergiß nicht meinen Termin im Squash Club zu streichen.“) Frust, vertreibt Angetraute, die rennt vor ein Auto, überlebt aber — genauso wie das Baby in ihrem Bauch — und heissa: Alles endet in friedlichster Butter.

Kein Zweifel, die Interpreten geben ihr Bestes: Kiri Te Kanawa und Jerry Hadley singen ihre banalen Zeilen mit erstaunlichem Gusto, das Orchester fiedelt aus vollen Zügen und Carl Davis dirigiert mit präzisem Schwung. Aber da ist leider noch die Musik. Offensichtlich hat Davis dem Klassik-Novizen in keinster Weise Tricks aus der Arbeit des echten Symphonikers aufschwatzen können. Anstatt die verschiedenen Sektionen seines Orchesters gegeneinander an- und aufspielen zu lassen, fiedeln, flöten und dudeln sie unisono ihre „Ebony And

Ivory“-artigen Zuckerrefrains. Einer potentiellen Dynamik wirkt weiter entgegen, daß neun Zehntel der Musik (eineinhalb Stunden dauert das Spektakel) sich im Tempo „Schnecke“ daherschleppen. Nur bei der akustischen Umsetzung des Autounfalls schleicht sich so etwas wie Turbulenz ins Geschehen: Es tönt im Ohr eines Kinogängers allerdings wie das Orchester-Riff, das jeweils das Aufkreuzen von Jaws“ ankündigt.

Es fällt unsäglich schwer, sich auch nur versuchsweise vorzustellen, daß dieses Oratorium weitere Verwertung finden wird (von der baldigen LP einmal abgesehen). Das Londoner Publikum (zumeist 35 bis 50jährige Anzug- und Gold träger/innen) reagierte mit freundlichem Applaus, der sich erst dann steigerte, als der Komponist armschwingend gen Bühne spurtete, um Davis zu umarmen. Bring back Elvis.