Pretenders – Katz und Maus mit Chrissie Hynde


Es gibt Freitage, an denen der 13. und Vollmond ist - und es gibt Freitage, an denen nur Vollmond ist. Und es gibt Freitage im Juli mit Vollmond, Fernsehaufzeichnungen, verspäteten Flugzeugen, Kaltwetterfronten, Caravan-Karawanen am Leverkusener Kreuz, Ferienanfang in Holland und einem Interviewtermin mit den Pretenders.

An solchen Tagen möchte man Drehbuchschreiber sein. Nichts brauchte erfunden zu werden. Es passiert ohnehin schon genug. Viel zu viel eigentlich – denn wer glaubt denn schon, daß zeitgleich vor Köln auf der Autobahnbrücke zwischen den Bayer-Werken, der ESSO-Raffinerie und den Ford-Werken der Verkehr zusammenbricht, die Sonne durchkommt (!), vier Grenzschutz-Hubschrauber des Brokdorfer Modells im tiefen Formationsflug von rechts den Rhein heraufkommen, eine Schleife über den Autowerken ziehen, um dann im Gegenlicht (!) nach Westen zu entschwinden? In diesem Augenblick singt Chrissie Hynde vom Band. Who do they think we are, what do they think we do,… Für wen halten die uns eigentlich?“ So was glaubt einem doch niemand.

Szenenwechsel in den Sartorysaal: Vier mal zwei Bands geben sich hier an vier Tagen hintereinander für den Rockpalast die Mikrophone in die Hand. Weil es in Köln keinen besseren strapazierfähigen Saal gibt, lauft all das unter Bedingungen, die für die Zuschauer eine Strapaze und für Musiker ein Greuel sind. Heute spielen Ideal aus Berlin gegen die Pretenders aus UX. gegen die Akustik in Köln. Ideal-Chef Effjott Krüger sagte mir hinterher: „Det is wie Pingpong mit verbundenen Augen.“

Die Pretenders sind (endlich) angekommen, am Vortag hatten sie eine Late-Nite-Show in Schottland, sprich drei Stunden Schlaf. Das Flugzeug, das die Band an den Rhein brachte, hatte einen ungeplanten Sprit-Stop in Aberdeen, die Band ist müde und nervös. Für den Kölner Termin, der in das lückenlos bis März ’82 vollgebuchte Tour-Programm der Band eingeschoben worden ist, mußte ein fest geplanter Ruhetag der Tour gekippt werden.

Ein solcher Tag ist kostbar. Ein TV-Gig ist selbstredend noch kostbarer, doch wenn der auf einen Freitag mit Vollmond fällt (s.o.), ist niemand enthusiastisch. ME-Interview adieu?

Nochmals Szenenwechsel ins Interconti-Hotel: Nichts mehr von BGS-Hubschraubern und Kameras, nur noch ein sanftes Rauschen der Klimaanlage im neunten Stock. Vor mir, hundemüde und bleich mit roten Augen, John Honeyman-Scott und Drummer Martin Chambers, dessen Kondition einen solideren Eindruck macht: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, wir hatten sehr wenig Schlaf, aber wenn ich wirklich zu müde wäre, hätte ich eben ‚Nein‘ gesagt und würd jetzt pennen. Also schieß los …“

Wenn du eine Band ans Laufen bringen willst muß deine erste Produktion über dem Durchschnitt sein, um die Leute erstmal auf dich aufmerksam zu machen. Die zweite muß mindestens nochmal phantastisch sein, weil es dann jeder von dir erwartet Eine Binsenwahrheit auch für die Pretenders?

„Klar stimmt das. Es kann doch nie gut gehen, wenn man sein Pulver, sprich seine Ideen und seine Variationsmöglichkeiten, gleich mit dem ersten Ding verschießt. Du mußt alles zeigen, was du kannst, aber nicht alles, was du hast. Sicher braucht eine zweite Platte mehr Konzentration als die erste, gerade wenn’s ein Hit war. Doch irgendwo war es für uns sogar leichter.“

Leichter heißt einfacher? Oder wie meinst du das?

„Nein. Das hat etwas mit der Beziehung Gruppe und Front-Sänger(in) zu tun. Die erste LP war ganz darauf ausgerichtet, Chrissie’s Stimme in den Vordergrund zu rücken. Beim zweitenmal war das nicht mehr so zwingend nötig. Wir konnten einfach mehr um die Vocals herum aufbauen, weil die Leute eben mit Chrissie’s Stimme vertraut sind und sie nicht zum allerersten Mal hören.“

Ihr habt insgesamt sechs Monate an der neuen LP gearbeitet. Heißt das etwa, ihr wart sechs Monate im Studio und habt solange an den Titeln gearbeitet, oder schließen diese sechs Monate alle Vorbereitungen, Demo-Bänder etc. ein?

„Chrissie, die ja alle Texte allein schreibt, ist nicht der Typ, der unterwegs arbeiten kann. Sie muß wirklich zu Hause sein und in Ruhe an den Songs basteln können. Das, zwei Demo-Tapes und die eigentliche Produktion haben sich auf die sechs Monate verteilt. Es war die richtige Balance zwischen der Konzentration einerseits, es so perfekt wie möglich zu machen – und auf der anderen Seite einen gewissen Live-Charakter zu behalten.“

Euer Terminplan ist für das nächste Dreivierteljahr gesteckt voll. Es ist eine längere Tournee in den USA geplant, vielleicht auch Südamerika; England und Europa auf jeden Fall. Alles greift ganz nahtlos ineinander über. Steht bei euch ein Overkill an wie bei Police?

„Arbeit bis zum Umfallen? In gewisser Weise schon. Wir waren uns in der Band einig, daß wir die ganze Tourerei möglichst auf einen Haufen packen und an einem Stück durchzuziehen, wenn der Tour-Apparat einmal steht. Wenn’s Arbeit gibt, dann mach ich sie auch. Ist ja gut, wenn’s welche gibt. Oder nicht?“

Martin Chambers sagt das so wie er Schlagzeug spielt: Er ist weder ein Virtuose noch ein Kraftmeier, sondern einer, der mit seiner Kraft so straight und steady umgehen kann, daß er immer da ist, wenn man ihn braucht.

Du machst auf der Bühne und hier beim Interview auf mich einen ausgesprochen unprätentiösen Eindruck. Abgesehen davon, daß ich den Namen „The Pretenders“ für eine Band im Show-Biz einfach genial finde – wie seid ihr darauf gekommen?

„Wir waren uns bis zum letzten Moment nur darüber schlüssig, daß wir nicht „The Bashy Bollocks“ heißen wollten. Am Ende sind Pete (Farndon) und Chris (Thomas, der Produzent) auf Pretenders gekommen. Ich hab’s erst im Taxi auf dem Weg zur letzten Besprechung der „Stop-Sobbing“-Single bei der Plattenfirma erfahren und hab es spontan gemocht. Auch wenn ich unter Freunden noch öfters damit aufgezogen worden bin, eine Sache mit den „Heuchlern“ (=Pretenders) am Laufen zu haben.“

Das (besprach mit dem unprätentiösen Schlagwerker wird durch das Aufwachen von James Honeyman-Scott unterbrochen, der nach einigen „Yes, shure“ als Ergänzung zu Martins Antworten im Sessel eingenickt war. Kurze Beratung darüber, ob Chrissie nicht doch noch für den Rest des Interviews dazugeholt werden soll.. Zum vierten Mal sage ich, daß ich keinem die Zeit stehlen will und daß sie, Chrissie Hynde, für mich Teil der Pretenders ist, also dazu gehört.

Das erste ist eher eine Floskel, das zweite aber ernst gemeint. Chrissie Hynde ohne Pretenders ist fast so undenkbar wie Pretenders ohne Chrissie Hynde. Peter, Martin und James bauen auf der Bühne ein Dreieck, auf dessen Zuverlässigkeit sich die Frontlady uneingeschränkt verlassen kann. Honeyman-Scott geht unter Murmeln aus dem Zimmer und nach zwei Minuten wird das Unmögliche möglich. Hello, I’m Chrissie Hynde …“

In Jeans und mausgrauem Pullover ist sie weder der Vamp des New Pop noch jene junge Dame im Dinner-Jacket, die einem mit frisch gewaschenen Haaren vom neuen Pretenders-Cover anschaut. Sie ist arrogant, aber mehrnoch defensiv, abwartend und fürs Erste kurz angebunden. Frage und Antwort, Katz und Maus.

Chrissie lotet mich aus, läßt mich Fragen drei und viermal formulieren. Als ich zum ersten Mal das Wort „Karriere“ in den Mund nehme, unterbricht sie die Frage mit einem ebenso schnellen wie entschlossenen Statement:

„Es wird so oft von Karriere und Karriere-Machen gesprochen, daß ich da mal was zu sagen muß. Alles, was ich gemacht habe, hab ich nicht für meine Karriere getan. Ich bin nicht von der Schule weg für eine Karriere. Deswegen bin ich nicht von zu Hause abgehauen und von Amerika weg. Ich bin nicht nach Paris und nach London gegangen, um dort Karriere zu machen, sondern um zu singen. Das war die Triebfeder. Auch heute will ich keine Karriere, sondern nur in einer guten Band sein.“

Jetzt ist es an mir, ihre Rede zu unterbrechen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß r eine Frau, die ohne Kohle in Paris anderer Leute Babies hütet und die so intelligente Sachen wie „Brass In Pocket“ oder „Up The Neck“ schreibt, sich in dieser Situation keine Gedanken über Karriere macht.

„O.k., klar. Doch zu dem Zeitpunkt war’s wichtiger, einen nächsten Job zu kriegen als vor dem Spiegel zu stehen und sich Gedanken über Karriere zu machen. Weißt du, ich hab gekellnert, war Bürobotin, Babysitter, hab Artikel geschrieben und alles Mögliche. Und ich wollte mit Musik was machen. Ich habe überhaupt keinen Plan gehabt, wahnsinnig viel angetestet und schnell wieder hingeworfen. Ehrlich – ich bin von mir selbst überrascht, daß ich tatsächlich ein Ding wie die Pretenders jetzt schon drei Jahre ernsthaft durchziehe und immer noch voll dahinterstehe. Das ist eigentlich völlig untypisch für mich.“

Bist du eigentlich jemand, der seine Musik und Songs live entwickelt, ausprobiert, weiterbearbeitet oder stellst du dich auf die Bühne und sagst: Hier ist mein Produkt und damit basta?

„Wenn wir unterwegs sind wie jetzt, dann steht das Programm wie es ist; es ist bei der Arbeit für die LP in den sechs Monaten entstanden. Es steckt viel mehr Promotion, Vorstellung, Präsentation in einer Tour als etwas Kreatives, Sich-Neu-Entwickelndes. Ich hab mich anfangs dagegen gewehrt, daß das Vorstellen gegenüber dem Neu-Machen ein so großes Übergewicht an Zeit und Energie bekommt wies bei einer Rockband nun mal ist. Ich mach’s trotzdem, weil ich inzwischen tatsächlich eingesehen habe, daß die Leute ein Recht drauf haben, ihre Musik auch live hören zu können – und zwar möglichst da, wo sie wohnen. O.k. – was aber immer noch nicht heißt, daß ich gerne einen Song zweihundert Mal singe, bis er mir am Ende gar nichts mehr sagt und vielleicht für mich schon völlig erledigt ist.“

Du bist nicht nur Sängerin, sondern auch Texterin der Gruppe. Viel mehr noch als bei Musik kann man Texte interpretieren, deuten, etwas hineinlegen, was vielleicht gar nicht drin ist Gibt es da etwas, das die Texterin Chrissie Hynde stört?

„Wenn mich was nervt, dann ist das die Tendenz, in allen Texten, die als Songs gesungen werden, als Allererstes und Einziges etwas über die Beziehung Mann-Frau, über Sex und über Erotik zu suchen und zu sehen. Ich singe „I Put My Arm Around My Baby“, meine wirklich mein Baby, mein Kind, aber jeder denkt: „Aha, das ist ihr Typ“. Kennst du von Otts Redding noch „I’ve Been Loving You Too Long“? Das war ein Lied über die Abhängigkeit von der Droge, aber jeder hat zunächst wieder an eine Lovestory gedacht“

Davon einmal abgesehen: Ist eine Möglichkeit zur Interpretation bei dir drin oder – mal ironisch gesagt – zulässig?

„Aber sicher. Songs sind erst dann abgeschlossen, wenn sie gehört werden und bei jedem andere Gedanken und Empfindungen auslösen – im guten Fall. Es ist wie bei einem Film. Wenn ein Film gut ist, dann läßt er Dinge offen und ist erst dann fertig, wenn er im Kopf ankommt“

Hörst du eigentlich selbst, ich meine privat Musik?

„Ich hab in den letzten zwei Jahren keine LP in voller Länge gehört, was jetzt wirklich nichts damit zu tun hat, ob ich selbst mit Musik arbeite. Ich bin einfach nicht jemand, der sich zu Hause hinsetzt und Musik anhört. Ich hab mir neulich eine Anlage gekauft, weil ich jetzt halt mehr Geld hab als früher und ich eben manchmal eine Cassette anhören muß. Ansonsten läuft das Ding nicht. Damit will ich absolut nicht sagen, daß ich Musik nicht mag, verstehst du. Es ist einfach so.“