Rap und Revolte: Reimen für die Revolution


In Ägypten und Tunesien haben das Internet und Facebook die Revolution angeheizt, aber auch die örtlichen Rapper wie Raqib Al Nassery oder Hamada Ben Amor. Millionen Menschen kennen die Lieder, die zu Hymnen der Revolten wurden.

Ein Internet-Café im Kairoer Stadtteil Nasr City: Süßlicher Shisha-Duft hängt in der Luft. Mit der Lautstärke einer Luftschutzsirene übertönt der Ruf des Muezzins das Dauerhupen auf der notorisch verstopften Durchfahrtsstraße. Die jugendlichen Internetnutzer aber scheinen sich davon kaum ablenken zu lassen. Gruppenweise drängen sie sich in dem schwach beleuchteten Raum im Erdgeschoss eines Hochhauses um die Bildschirme. Sie lesen ihre Facebook-Nachrichten, klicken sich durch News über eine von Demonstranten gestürmte Zentrale der ägyptischen Staatssicherheit und die Protestzüge im zehn Kilometer entfernten Stadtzentrum. Oder sie hören auf YouTube Hip-Hop-Tracks. „Mist“, ruft Raqib seinem Freund Mahmoud zu. „Unser Video hat in einer Woche nur zweitausend Klicks bekommen. Wenn uns bloß mal ein Radiosender eine Chance geben würde …“

Unser Video, damit meint der bärtige junge Rapper mit der schief aufgesetzten Baseball-Cap „7kayet seyassa“, seinen ersten professionell produzierten Clip, den er etwas großspurig als „The official revolution video“ untertitelt hat: schwere, Gangsta-Rap-inspirierte Beats. Ein Sample des klassischen ägyptischen Musikers Abdel Halim Hafez. Darüber heiser bis wütende arabische Raps. Mahmoud, in Kairo besser als MC Aiouty bekannt, hat ein paar Gastverse beigesteuert. Er und Raqib helfen sich nicht nur gegenseitig mit Raps aus. Ende Januar sind sie jeden Tag zusammen mit Hunderten Jugendlichen aus dem Viertel ins zehn Kilometer entfernte Stadtzentrum marschiert, um sich auf dem Tahrirplatz den Polizisten und Mubarak-Anhängern entgegenzustellen. Bilder dieser Demonstrationen eröffnen auch das Video. Was es noch zeigt: Armeepanzer, Bombenexplosionen, ägyptische Zeitungsschlagzeilen über die erfolgreiche Revolution und einen gefesselten Schwarzen, der von den Rappern aus seinem Verließ inmitten von Wohnhaus-Ruinen befreit wird. Zu dick aufgetragen? Nein, verblasst doch in Kairo selbst die krasseste Video-Fantasie vor der sich täglich überschlagenden Polit-Realität.

 

„Ich rede in meinem Song darüber, dass die Mubarak-Regierung ein mörderisches Spiel betrieb, um uns zu spalten,“ sagt Raqib Al Nassery. „Die Revolution hat uns gezeigt, dass wir alle zuerst Ägypter sind.“ Selbst die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Muslimen rechnet er den Scharfmachern des alten Regimes an. Zwei Tage zuvor hatten Aktivisten beim Einbruch in die Archive der Staatssicherheit unter anderem Dokumente entdeckt, nach denen Mubaraks Polizeichef nicht nur sys­tematisch Regimegegner verschwinden ließ, sondern er anscheinend auch hinter der Bombenexplosion mit 23 Toten in einer koptischen Kirche Ende vorigen Jahres steckte. „Sie haben die Religion zu einem Streitpunkt gemacht, sodass wir uns auf unsere Unterschiede statt auf unsere Rechte konzentrierten.“ Hip-Hop-Konzerte seien früher eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, solche Wahrheiten laut auszusprechen. Doch es gab nur zwei oder drei Bühnen, die sich trauten, der potenziell aufrührerischen Botschaft der Hip-Hop-Jugend Gehör zu verschaffen. Und auch da hatte die Polizei stets Spitzel vor Ort. Einmal zogen die Ordnungshüter Raqib bei einem seiner Auftritte den Stecker aus der Steckdose und räumten den Saal, nachdem der Rapper einen Vers auf das Wort Korruption gereimt hatte. „Dabei hatte ich nicht einmal Namen genannt.“ Immerhin: Seine Eltern, beides fromme Muslime, halfen dem 29-Jährigen bei dem brotlosen Unterfangen, weitab von jeder Hip-Hop-Industrie und mit dem Internet als einziger Plattform eine Rap-Karriere zu beginnen. Das hat auch mit Raqibs Großvater zu tun. Ein marokkanischer Sufi-Poet, der in den 50er-Jahren als Kritiker der französischen Kolonialmacht ins Exil gejagt wurde. Raqib sieht sich und seine Revolutionsmitstreiter in der großväterlichen Tradi­tion. Anti-autoritär und religiös tolerant. Dazu flicht er regelmäßig englische und französische Verse in seine Songs: „Ich möchte auch ein internationales Publikum erreichen.“ Bisher ein Wunschtraum: Erst nach der Revolution wurden westliche Medien auf die seit den 90er-Jahren im nord­afrikanischen Untergrund blühende Rap-Szene aufmerksam – vor allem wegen ihres Beitrags zur Jugendrevolte.

Was deren Erfolg ausgemacht habe? Natürlich betonen auch Raqib und seine Freunde die überragende Rolle von Facebook und insbesondere der ägyptischen Menschenrechtswebsite „Wir sind alle Khaled Said“ (benannt nach einem von der Polizei totgeprügelten Jugendlichen), die zu den ersten Protestkundgebungen am 25. Januar aufgerufen hatte und über 13 Millionen Facebook-Freunde mobilisieren konnte. Doch an zweiter Stelle steht ein tunesischer Rapper namens El General: „Typen wie er haben uns den Mut gegeben, die Klappe aufzureißen.“ Hamada Ben Amor alias El General erlangte mit seinem an den ehemaligen tunesischen Präsidenten Ben Ali gerichteten Rap „Rais Lebled“ in ganz Nordafrika Heldenstatus. Auf seiner Facebook-Seite präsentiert sich der 22-Jährige in Kriegshelden-Pose: Vor einer Flagge seines Heimatlandes Tunesien, mit Lederjacke und einer Pistole in der Hand, wirkt El General wie das nordafrikanische Pendant eines Gangster-Rappers. „Das ist doch nur ein Witz, mon frere“, sagt der Hip-Hop-Star am Telefon. „ Ich  habe in meinen Raps noch nie zur Gewalt aufgerufen.“ Der unter dem Pseudonym El General rappende Pharmaziestudent aus Sfax scheint immer noch etwas verwundert, dass Journalisten ihn mit ihren Fragen bestürmen und er nun als Sprachrohr einer jungen Generation gilt, die mit den autoritären politischen Strukturen unzufrieden ist und in Popmusik wie im Internet ihren Ausdruck findet. Dabei hatte sein Song „Rais Lebled“ (Der Chef meines Landes) der Jasmin-Revolution ihre Hymne geliefert. Der junge Tunesier fasste da in Raps, was Millionen Jugendliche zuvor nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen wagten: „ Herr Präsident, Ihr Volk stirbt/ die Menschen essen Müll/ viele haben kein Dach über dem Kopf/ jeden Tag höre ich von Gerichts­verfahren/ in denen die Armen betrogen werden …“, oder: „ Die Polizisten setzen straflos ihre Schlagstöcke ein/ weil niemand da ist, um nein zu sagen.“ Worte, die bald auch die Demonstranten in Algerien, Ägypten, Libyen und Marokko skandierten. Dass der Musiker auch Texte dichtet, in denen er sich gegen Juden wendet, wurde dagegen kaum beachtet.

 

Eine ernsthafte Herausforderung für die autokratischen Machthaber: Ist doch in jungen Gesellschaften wie denen Nordafrikas und Arabiens, in denen 60 Prozent der Menschen unter 30 Jahren alt sind, kaum eine Stimme gefährlicher als die eines jungen Popstars – vor allem wenn er wie Hamada Ben Amor einen bereits bedrohlich köchelnden Volkszorn in einfache Worte fasst, unverblümt von Armut, Polizeigewalt und der Willkür der Regierung spricht. An der staatlichen Zensur wäre „Rais Lebled“ wohl nie vorbeigekommen. Auf Facebook aber entwickelte sich das schmucklose Amateur-Video zum Hit, einem viralen Aufstandsbeschleuniger. Tausende von Menschen luden sich den Song seit seiner Veröffentlichung im November 2010 aus dem Internet. Er wurde von Handy zu Handy geschickt. Seine Zeilen auf Hausmauern gepinselt. Dann schlugen die Ordnungskräfte des inzwischen gestürzten Präsidenten Ben Ali zurück: Zuerst kappten sie die Handyverbindung des Rappers und sperrten seinen Internet-Auftritt. Als die tunesische Protestbewegung nach der Selbstverbrennung des von den Behörden schikanierten Verkäufers Mohamed Bouazizi Ende Dezember an Fahrt gewann, umstellten dreißig Polizisten im Morgengrauen des 7. Januar Ben Amors Elternhaus in Sfax und nahmen den Rapper mit. Über den Grund der Verhaftung und seinen Verbleib gaben sie keine Auskunft: „Sie sagten nur, ich wisse schon warum.“

Während Hamada Ben Amors Familie mit dem Schlimmsten rechnete, heizte das Gerücht von seiner Verhaftung die Demonstrationen erst recht an. Seine Popularität bewahrte ihn vor Schlimmerem: „Der Präsident selbst“, sagt Ben Amor, „hatte angeordnet, dass ich nicht geschlagen und gefoltert werden dürfte, um keine Märtyrer-Figur zu schaffen. Er wusste, dass wir Rapper das Sprachrohr der tunesischen Jugend sind.“ Nach drei Tagen Verhör und einer schriftlichen Erklärung, keine politischen Texte mehr zu schreiben oder aufzuführen, lieferten ihn die Polizisten wieder bei seinen Eltern ab. Eine Woche später war das alte Regime gestürzt – und El General hatte einen neuen Song geschrieben: „Tahia Tounes“ oder „Es lebe Tunesien“. Eine Ehrung seiner während der Jasmin-Revolution getöteten Landsleute und eine Solidaritätserklärung an die jugendlichen Demonstranten in Ägypten, Algerien, Libyen und Marokko. Das Kulturministerium der tunesischen Übergangsregierung versuchte das politische Potenzial El Generals für sich zu nutzen und bot ihm alle erdenkliche Hilfe bei der Produktion seines ersten Albums an, während Rapper in den Nachbarländern längst begonnen hatten, nach dem Vorbild von „Rais Lebled“ eigene Botschaften an ihre Regierungschefs zu formulieren. Selbst amerikanische Hip-Hop-Websites schwärmten, wie das Blog popdust.com, halb bewundernd halb neidisch von „der Kraft des nordafrikanischen Hip-Hop, Frustration zu artikulieren und junge Menschen zur Aktion anzutreiben – und das ohne Gewalt oder Zerstörung“. Damit hatte niemand gerechnet: Dass die revolutionäre Hip-Hop-Energie, die amerikanische Rapper wie Public Enemy oder Paris so gern beschwören, ausgerechnet in der nordafrikanischen Diaspora, dort wo offiziell der süßliche Schnulzen-Pop regiert, ganz handfeste politische Umwälzungen begleitet.