Antony & The Johnsons – The Crying Light :: Die Platte des Monats:

Ob er sich das so hat vorstellen wollen? Antony Hegarty ist ja längst zum Hätschelkind der Hochwohlmeinenden und Rock- und Pop-Maßgeblichen geworden, Lou Reed hat die Gegenwart eines Engels gespürt, Laurie Anderson ihr Elvis-Erlebnis mit Antony gehabt. Seine Stimme tauchte auf Platten von Björk, Coco-Rosie, Rufus Wainwright, Bryan Ferry, Marianne Faithfull und Herbert Grönemeyer auf, sie krallte sich an klassischen Songs fest in den Filmen, die Bob Dylan und Leonard Cohen zu Ehren entstanden, und transportierte die Disco- und House-Euphorie von Hercules And Love Affair auf einen Planeten namens Melancholie. Lieblingsmensch der Feuilletons und Jahresbestenlistenmacher ist Antony sowieso. Jeder will jetzt dabei gewesen sein, ein bisschen von der Aura des „Gay Messiah“ erhaschen, ein Wort, eine Note, einen gütigen Blick. Es hat schon was von Mutter-Teresa-Verehrung.

Es wurde aber auch Zeit mit dieser Platte, vier Jahre alt ist die Mercury-Prize-dekorierte Songsammlung I’am a bird Now.und THE crying Light steht als Album Nummer eins nach dem weltweit bestaunten Erfolg gewaltig auf dem Prüfstand. Markttechnisch: Kann Antony sich als Ausnahmekünstler in der Gunst des Publikums weiter profilieren? Und künstlerisch: Tragen die Singspiele um seine sexuellen Ambivalenzen noch ein neues großes Album? Er hat an seinem Wimmergesang weiter gefeilt, die Lieder auf ein größeres Publikum zugeschnitten, das die so intimen Geschichten von Erlösung und Verwandlung auch als seine eigenen Sehnsuchtsgeschichten lesen kann, die nicht unbedingt in einem Gender-Kontext stehen müssen. Das ist die große Leistung von Antony & The Johnsons auf diesem Album, der Sänger rührt seine Emotionen ins Universelle. Und er hat diese Herzzerreißer im Programm, Songs, die haarscharf am Kitsch vorbeisegeln, aber in diesem ersten Moment, da man sie hört, nur rühren wollen: „One dove / To bring me some peace I In starlightyou camefrom the otherside / To offer me mercy“ („One Dove“). Nach der Friedenstaube folgt die Kindwerdung mit Mama im Abendrot: „Oh mama kiss my narrte /I’am trying to be sane / I’m trying to kiss my fuertds /And when broken, make amends.“ „Kiss My Name“ ist der kleine Geniestreich unter zehn anspruchsvoll ausgestatteten Songs, ein fein gezwirbeltes Stück Kammerpop, dessen Melodie sich mit Antonys Stimme, Streichern und Flöten konsequent in die Gehörgänge dreht.

Fest steht mit the crying light auch: Der 1971 in England geborene Sänger hat sich entschlossen, den langen Weg in die Kulturmaschine anzutreten, diese mit Narrationen aus seinem Ich und jener Zwischenwelt zu füttern, für die er im Mainstream der Gefühle so heftig wirbt – im selben Augenblick der Gefahr ausgesetzt, in den Rädern eben dieser Maschine zerrieben zu werden. Vielleicht ist der Verzicht auf musikalische Brüche und Initationen (auf dem Mini-Album another World im Oktober noch im Track „Shake That Devil“ zu bestaunen) der Vorsicht geschuldet, den Mainstream nicht direkt zu verstören. the crying light fällt grundsätzlich etwas reduzierter als I am a bird now aus, Antony schlängelt sich durch dunkle Pianofluchten, die oft nur von einem Satz von Violinen aufgehellt sind. Ganz selten eine Gitarre. Alles in diesen Songs kreist um das Vibrato, das man nicht mehr vergiss , wenn man es einmal gehört hat: ein Zittern in Tönen, das auch von der Scham erzählt, so viel von sich preiszugeben. Habt Erbarmen mit dieser armen Seele im Schlagschatten des Blues!

Die Schlussfrage: Finanzkrise oder Klimakrise, welch‘ globaler Not würde sich der sanfte Messias Antony eher annehmen wollen? Der Klimakrise, wenn wir das richtig verstanden haben. Antony beschwört in „Another World“ die Sehnsucht nach einer heileren Welt als dieser, und er drückt gar nicht so sehr auf die Tränendrüse, wie er könnte, wenn er wollte, dafür ein Dankeschön. „You gonna miss the sea / I’m gonna miss the snow / I’m gonna miss the bees/I’ll miss the things that grow.“ Damit wissen wir auch, welchem Gipfel Hegarty sich als singende Mahnwache empfehlen wird. Es gibt kein Entkommen mehr, die Glocken der Kirche der guten Rocker läuten schon. VÖ: 16.1. 4,5

www.antonyandthejohnsons.com

Story S. 28 Discographie:

2000 Antony & The Johnsons Secretly Canadian/Cargo

2005 I Am A Bird Now

2005 You Are My Sister (EP)

2008 Another World (EP)

2009 The Crying Light alle Rough Trade/Beggars/Indigo