David Bowie

A New Career In A New Town (1977 – 1982)

Parlophone/Warner

Besser wird’s nicht: Der brillante dritte Brocken in Bowies Boxset-Serie versammelt jeden Funken der Experimente-Explosion des Artrock-Genies zum Morgengrauen der 80er.

Was kann danach noch kommen? Nun, wir wissen ja, was danach kommt: erst mal nichts Gutes, zumindest nichts sehr Gutes, nichts fantastisch Gutes mehr. Der dritte Eintrag in die Vollständigkeit in Aussicht stellende – wir werden nicht müde zu betonen, dass dieses Versprechen durch das Ignorieren des 1967er-Debütalbums schwer einzuhalten sein wird – Werkschau von David Bowies Schaffen deckt seine Meisterwerke ab: die sogenannte „Berlin-Trilogie“, bestehend aus LOW, ­LODGER und HEROES, sowie SCARY MONSTERS.

Die 10 wichtigsten Alben von David Bowie
Niemals sollte er in den folgenden 35 Jahren seiner Karriere die Qualität eines dieser Alben wieder erreichen, so sehr er sich auch abstrampelte. So viele Platten aus der Phase seines Wiedererstarkens ab den Mitt-90ern wie OUTSIDE, EARTHLING, HEATHEN und REALITY nannten Kritiker sein „bestes Album seit SCARY MONSTERS“, dass die Beschreibung zur bedeutungslosen Phrase verkam.

Von der Kokshölle L.A. ins geteilte Berlin

Aber bevor wir uns mit dieser Zeit beschäftigen, konzentrieren wir uns lieber auf das Prachtstück, das die wohl nachhaltigste Zeit (2013 bereits gebündelt als ZEIT! 77–79 erschienen) des Trend-Detektivs abbildet. Die Kokshölle L. A. wollte Bowie gar nicht weit genug hinter sich lassen. Er begrub dort sein Alter Ego des Thin White Duke und fuhr wieder in den Himmel auf, wo er sich als Ex-Starman bestens auskannte. Als Alien Thomas Jerome Newton kehrte er zurück und ließ sich als solcher auf das Cover von LOW drucken.

Bowie begrub das Alter Ego des Thin White Duke und fuhr wieder in den Himmel auf, wo er sich bestens auskannte.

Auch der Vorgänger STATION TO STATION hatte bereits mit einem Szenenbild aus seinem Spielfilm „Der Mann, der vom Himmel fiel“ aufgemacht – Bowies neue Kunstfigur diente als optisches Scharnier der beiden Perioden. Auch textlich schlug er eine Brücke: In „Always Crashing In The Same Car“ zählt er kopfschüttelnd seine  Unfälle auf der Einbahnstraße, in der er damals hauste, auf.

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Mit „Breaking Glass“ beginnt die Wiederaufbauarbeit. Er entfernt die im Exzess entstandenen Pentagramme vom Boden, den er sich selbst unter den Füßen weggezogen hatte: „Don’t look at the carpet, I drew something awful on it“ und gibt den Wohnungsschlüssel zu seinem alten Leben zurück.

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Flucht vor den Drogen nach vorne: Mit Lodger (zu Deutsch: Unter-/Mieter) Iggy Pop zog er ausgerechnet nach Westberlin, in die Schöneberger Hauptstraße 155. Der Rest ist Geschichte, und zwar die, die hier nebenan erzählt wird.

Extras, Raritäten und die volle Ausstattung

Den Bowie-Ultrainteressierten die Extras hier, die Raritäten, die Ausstattung. Wohl denn! Wie erwartet liegt der dritten Zusammenstellung das dritte Kapitel des „Re:Call“-Sammlerherzen-Sammelsuriums bei. Highlights der aktuellen Tracklist: die Bowies damaliges Interesse für Japan untermauernde und 1980 auch nur im Land der aufgehenden Sonne erschienene Single „Crystal Japan“, die erstmals vollständig auf CD erhältlichen fünf Stücke der „Baal“-EP, sowie die Extended Version des Knallers „Beauty And The Beast“ und die australische Single-Version von „Breaking Glass“.

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Dazu gibt es den stets ergreifenden UK-Nr.1-Hit „Under Pressure“ mit Queen, das kuriose Weihnachtsduett mit Bing Crosby „Peace On Earth/Little Drummer Boy“ – seit Jahrzehnten Pflicht auf um Indie-Cred bemühten Xmas-Mixtapes –, und der Soundtrack-Cut von „Cat People (Putting Out Fire)“ zum gleichnamigen Erotik-Horrorfilm.

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Die exklusive „Heroes“-EP führt die deutsche und die französische Version, sowie deren je mit dem englischen Original gepaarten Hybride dieses inbrünstigen Songs zusammen, den Bowie in Anführungszeichen setzen musste, um ihn vor Pathos zu retten. Notgedrungen birgt diese Schatztruhe die Gefahr vor einer Überdosis dieses Lieds: Wähnt man sich etwa auf SCARY MONSTERS endlich sicher vor dem Stück, zieht „Teenage Wildlife“ deutliche Parallelen dazu.

https://www.youtube.com/watch?v=Tgcc5V9Hu3g

Und auch für Live-Fans ist etwas dabei

STAGE, Bowies zweites Live-Album, veröffentlicht zwischen HEROES und LODGER, liegt hier in der kontroversen Urfassung vor – in der Vinylvariante auf gelber Platte die Originalpressung der UK-Version imitierend: 17 Live-Songs, die jegliche Konzertstimmung unterdrücken, da man nicht nur die eigentliche Reihenfolge der gespielten Songs geändert hatte, sondern auch die Instrumente und Mikros direkt abgenommen wurden, was etwaiges Publikumsjauchzen auf ein Minimum reduzierte.

Der Mann, der zum Himmel stürzte
Aufgrund der Schelte wurde das Album über die Jahre immer wieder in aufgepeppten und erweiterten Auflagen veröffentlicht. Die hier erscheinende „2017 Remastered Version“ greift die Fassung von 2005 auf, der die ursprüngliche Set- als Tracklist zugrunde liegt, obwohl manche Songs damals fehlten.

Zumindest „The Jean Genie“ und „Suffragette City“ werden jetzt nachgereicht, auf „Rebel Rebel“ wird wohl bis zur nächsten Edition gewartet. Doch so viel sich gegen STAGE sagen lässt, so ist das Album doch auch Dokument von Bowies damaliger Kompromissverachtung: Zwar finden sich hier in einem Anflug von Nostalgie Glamrock-Oldies, doch Mick Ronsons ikonisches Gitarrenspiel in einem Klassiker wie „Ziggy Stardust“ mit einem Streicherensemble zu ersetzen und dem Crowd-Pleaser „Suffragette City“ das instrumentale „Art Decade“, sowie eine kreuzbrechende Atonal-Version des „Alabama Song“, die Bowies vom wilden Affen gebissene Interpretation von „Let’s Spend The Night Together“ als werktreu erscheinen lässt, hinterherzuschicken, demonstriert seine ganze künstlerische Kraft Ende der 70er.

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Die Krönung: das Begleitbuch

Zu den elf CDs oder 13 LPs gesellt sich ein Begleitbuch mit teils nie gezeigten Bildern und Liner Notes von Tony Visconti. Dieser meinte überdies auch, komplett LODGER für diese Zusammenstellung remixen zu müssen.

Darf man als Kaufanreiz für Komplettisten sehen und als solches verschmähen. Darf man aber auch mögen. Man darf ja so vieles, wie etwa schon mal die Erwartungshaltung an die nächste Bowiebox herabsetzen.

Hört hier in das 13 LP-Box-Set A NEW CAREER IN A NEW TOWN (1977 – 1982) rein

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Neben dieser sehr ausführlichen Rezension von Bowies Berlin-Jahren, findet Ihr im aktuellen Musikexpress auch die Geschichte hinter dem Mythos „Bowie und Berlin“. Es lohnt sich!