Defunkt – Thermonuclear Sweat

In dem Bemühen, den großen Wurf zu landen, haben sich Defunkt zumindest ihren Sinn für Selbstironie bewahrt. Warum sonst sollten sie sich dafür entschieden haben, den alten O’lays-Hit „For The Love Of Money“ aufzunehmen? Vielleicht aber ist die Ironie allzu durchsichtig – der Titel spricht Bände. Für Geld machen Leu te eben alles, sogar kommerzielle Musik. Defunkt motzen die Gamble-Huff-Nummer auf, lassen sie druckvoller kommen, aus Gründen der Modernität. Kurioserweise entwickelt sich der Song in Richtung auf Archie Shepps ,Money Blues‘, das aufgenommen wurde, bevor irgendwer auch nur einen Namen für Free-Funk-No-Wave-Punk-Jazz wußte.

Je öfter ich mir THERMONUCLEAR SWEAT anhöre, umso weniger fühle ich mich in der Lage, die Schwächen exakt zu benennen. Denn: Das Können der Musiker bewegt sich zwischen gut und außergewöhnlich, die Texte sind clever und gescheit und Joe Bowie (Chef, Posaunist, Sänger) scheint über die Kombination aus Arroganz und der Fähigkeit zum Entertainer zu verfügen, die eigentlich das Erfolgssiegel auf seine weitere Karriere drücken sollte.

Aber irgendwas stimmt nicht. Und die Summe aller Komponenten dieser Platte ist ein Anti-Höhepunkt. Ich glaube, wir sind Zeuge einer Variation dessen, was ich vorläufig das ,Chase-Syndrom* nennen möchte. Chase waren eine Jazzrock-Band der ersten Stunde, angeführt von Bill Chase, einem angegrauten Big Band-Trompeter. Chase waren außerdem die wahrscheinlich schlechteste Band unter der Sonne, absolut unanhörbar. Der Grund: Bill Chase wollte die Bedeutung der flocimusik einfach nicht anerkennen, selbst wenn sie ihm über den Schädel geschlagen worden wäre. Er dachte stets, daß jene Art von Musik für einen Menschen mit seinem musikalischen Hintergrund wohl doch zu lau und dünnflüssig wäre.

Gut, Defunkt attackieren Funk von der – im ganzen gesehen – vorteilhafteren Position des Free Jazz, aber das Problem bleibt das gleiche. ,Wenn du diese Sache nicht lebst‘, pflegte Charlie Parker zu sagen, „dann kommt sie erst gar nicht aus deiner Tröte“. Und es scheint im Grunde so, daß Defunkt nur wenig echtes Gefühl für die Form haben, die sie sich anzueignen versuchen. Spiel‘ diese Scheibe hier und danach z. B. eine alte von Sly Stone oder sogar einen der Disco-Hits von Kool And The Gang. Dazwischen liegen Welten. Defunkts Funk ist zu kalkuliert, zu brutal exakt, um wirklich überzeugen zu können.

4 (Jazz-Inhalta) 3 (Funk) Steve Lake