Drake

Views

OVO/Young Money/Cash Money

Ist das noch Zuspitzung oder schon zirkulär? Der R’n’B-Meister dreht sich auf seinem vierten Album um sich selbst – mit genialen Momenten.

Auf dem Cover seines vierten Albums sitzt Drake auf dem berühmten CN Tower von Toronto. Dieser Funkturm ist deutlich über 500 Meter hoch, es sollten sich dort Blick und Gedanken öffnen. Tatsächlich aber passiert auf VIEWS das Gegenteil: Mehr noch als sonst verengt Drake seinen Fokus und zieht sich ins Privatistische zurück. Beharrlich umkreist er die immer gleichen Themen: falsche Freunde und reales Leid, ewige Loyalität zu Heimat und Familie, die innere Leere nach dem totalen Triumph.

Drake ist vielleicht der größte Popstar seiner Generation. Doch sein Seelen­leben zeichnet er als finsteres Loch, das auch vom Scheinwerferlicht und den Reflektionen der nächtlichen Großstadt kaum erhellt wird. Das grenzt, mit Verlaub, ans Pathologische und droht immer wieder ins Phrasenhafte zu kippen. „Life is always on, man/ I never get a break from it.“ Ha ja, ist ja gut jetzt …

Gleichzeitig ist Drake ein Meister darin, ein gewisses Grundgefühl in einen stringenten Sound zu übersetzen. So hat er sich nach den jüngsten Arbeiten mit den Hitmakern du jour, Future und Metro Boomin, wieder sein altes Produzententeam ins Studio geholt. Boi-1da, Nineteen85, Maneesh und vor allem Noah „40“ Shebib sind die Architekten des Toronto-Sounds. Hier verdichten sie ihn buchstäblich weiter, vor allem in der ersten Hälfte des Albums. Einflüsse aus Dancehall, Boogie, Trap fließen mit der Trägheit des Schicksals zusammen, hinter einem Schleier aus Melancholie.

Drake gleitet darauf mit der ihm eigenen Mischung aus Punch und Paranoia, sirup­artigem Singsang und antrainiertem Patois. Das ganze Leben ist ein Fluss voll mit Schlieren der Schwermut. Das klingt auch über die Dauer von 20 Songs stimmig, aber streckenweise schlicht ein wenig fad. Am besten ist VIEWS daher immer dann, wenn Drake auf seinen anderen Trick zurückgreift: das kunstvolle Aneignen von Getto­musik aus der ganzen Welt.

So schneidet auf dem heimlichen Schlüsselstück „9“ ein schmerzverzerrtes Sample aus „Dying“ von Dancehall-Sänger Mavado durch den Zeitlupenbeat. „Controlla“ ist ein eleganter Rubadub mit dem Zeitgeist. „Weston Road Flows“ basiert auf dem frühen HipHop-Soul aus der Bronx. Und für „One Dance“ mit dem nigerianischen Superstar Wizkid hat Drake den UK-Funky-Klassiker „Do You Mind“ von Pale­face, Kyla und den Crazy Cousinz zu einem schleichenden Offbeat-House-Monster umbauen lassen – designierter Sommerhit. Besser als in diesen Momenten war Drake vermutlich nie, und so lässt sich VIEWS auf mindestens zwei Arten lesen: als latent larmoyanter, leicht altersschwerer Zirkelkanon eines Hochbegabten und als ultimative Zuspitzung eines ureigenen HipHop-Sounds.