Lou Reed – Growing Up In Public

Mit 38 Jahren fängt der exzentrische Dekadenz-Rocker Lou Reed an, sein eigenes, nicht unbedingt sympathisches Gesicht zu akzeptieren. Diese Äußerlichkeit demonstriert auch seinen inneren Wandel (für wie lange?), in dem er mit seinem dreizehnten Solo-Album GROWING UP IN PUBLIC eine humoristische Lebensbeichte mit einem Schuß Midlife-Crisis-Koketterie ablegt. Vom „Erwachsenwerden in aller Öffentlichkeit“ berichtet er, besingt dabei selbstironisch, heiter und gelassen Tragikomisches, das trotz der spöttischen Distanz durchaus aus seinem Leben stammen könnte. Dabei sind die Texte wichtiger und oft interessanter als die eher locker-ausgelassene, konventionelle Musik, die jedoch durch Lou Reeds bisweilen recht sarkastischen Gesang gewinnt. „How Do You Speak To An Angel“ kann als Lied über pubertäre Schüchternheit verstanden werden, aber auch über die Schwierigkeit zwischenmenschlicher Beziehung, wenn ein Mädchen die Gesellschaft eines Mannes, aber keinen Sex wünscht. Um den ewig alten Vaterkomplex geht’s auf „My Old Man“, um Gesellschaftszwänge in „Growing Up In Public“ (immer schön das Gesicht bewahren, auch wenn einem die Hosen runterrutschen), die doppelbödige Trinker-Moral wird mit „The Power Of Positive Drinking“ unter die Lupe genommen, um richtiges Benehmen und Gefühlsduselei geht’s in „Standing On Ceremony“,.um Einsamkeit und Rollenverhalten auf „So Alone“. Als Schlüssel-Song könnte man „Smiles“ verstehen, das Lied über einen, dem man erfolgreich eingeschärft hat, daß Lächeln nur für die Öffentlichkeit was bringt, nicht aber privat und im verkehrten Moment. Ist dieser ein Lou Reedhimself, der nun, mit 38 Jahren, versucht, das einstudierte düstere Gesicht abzulegen und ein Lächeln zu riskieren – selbst wenn es so gezwungen-gequält ausfällt wie auf dem Coverfoto? Lou Reed hat mit GROWING UP IN PUBLIC sein bislang persönlichstes und unmodischstes Album geliefert. Mir gefallt es, auch wenn andere Leute nicht dieser Meinung sind. 5 is