Stephen May :: Wir kommen schon klar

Der Tod ist ein Meister aus England: Ebenso lakonisch wie facettenreich schildert Stephen May den Kampf zweier Brüder

Stephen May besitzt zweierlei Talente. Zunächst einmal kann er die Dinge sehr gut beschreiben. Seine Fantasie schafft eine Realität, die auf den ersten Blick unspektakulär wirken mag, die aber mit so viel kleinen Häkchen am Alltag des kontemporären Englands befestigt ist, dass man sie voll erfreuter Anteilnahme beobachtet. Doch wo dieses Setting im angloamerikanischen Gegenwartsroman so selten nicht ist – man denke an Nick Hornby, David Baddiel, Marc Spitz – ist das zweite Talent ein Alleinstellungsmerkmal: Seine Charaktere entsprechen nie irgendwelchen Vorlagen der Popkultur, sondern bleiben angenehm undurchschaubar. Sie schlagen Haken, sie verändern sich.

Vor allem Billy. Ein Teenager. Nebenjob im Kleinstadtmuseum, unglücklich verliebt, aber sexuell halbwegs erfolgreich. Gerne am Computer, wo er sein virtuelles Imperium gegen marodierende Banden aus Fernost verteidigen muss. Alles recht gewöhnlich. Doch es ist nichts gewöhnlich, denn Billys Mutter wurde von einem Junkie ermordet, wegen eines nicht mal besonders wertvollen Notebooks. Billy muss sich also um seinen kleinen Bruder Oscar kümmern.  Der ist sechs Jahre alt, macht seit dem Tod seiner Ma ins Bett und hat womöglich eine Persönlichkeitsstörung. Trotz der tragischen Hintergründe wirkt dieses Geschichte am Anfang fast heiter. Ja, man denkt, die beiden kämen tatsächlich klar. Aber irgendwann bemerkt man all die kleinen Nadeln, die May in diesem Buch versteckt hat und die schmerzhaft zustechen. Da ist nicht nur die Post von Bank, Stromunternehmen und Gasversorger, die sich ungeöffnet im Flur des geerbten Häuschens stapelt. Man bemerkt, dass gar nichts funktioniert, dass jeder der Charaktere einen Knall hat und die, die vordergründig so böse wirken, nicht diejenigen sind, die diese Handlung mit Vollgas Richtung Katastrophe leiten. Ein bewegendes Buch, das immer unterhaltsam bleibt. 

 Jochen Overbeck