Various Artists – Say It Loud! A Celebration Of Black Music in America :: Black Box: Schwarzhören

Quincy Jones, seit mehr als vierzig Jahren selbst eine der zentralen Gestalten der schwarzen Musik, schreibt im Vorwort des Say It Loud!-Booklets: „Dies ist Musik, die an keinem anderen Ort der Welt hätte entstehen können.“ Wohl wahr. Und ein Satz, der den Geist und damit die Songauswahl dieser gewaltigen Chronologie erschließt. Denn Amerika und die schwarze Musik sind seit mehr als 100 Jahren im beständigen Clinch,“sie küssen, schreien, betteln und brüllen miteinander“, wie Jones wenige Zeilen später formuliert. Dieses spannungsgeladene Verhältnis zwischen künstlerischer Freiheit auf der einen und soziokulturellem Konfliktstoff auf der anderen Seite ist es, aus dem sich die Black Music in ihren entscheidenden Momenten immer gespeist hat. Und diese Momente sind hier, sinnvollerweise chronologisch geordnet, auf sechs prallvollen CDs versammelt. Kontrastiert wird das Musikprogramm von Say It Loud! nach dem bewährten Muster der themenbezogenen Rhino-Anthologien mit gelegentlich zwischen die Songs gestreuten zeitgeschichtlichen Tondokumenten. So sind wir dabei, als Dr. Martin Luther Kings seine „I Have A Dream“-Rede (1963) hält, als Los Angeles‘ Bürgermeister Tom Bradley das berüchtigte Rodney King-Urteil (1992) kommentiert, und wir hören Jesse Owens aus dem Nazireich grüßen, wo er 1936 vier Goldmedaillen gewann.

Zur Musik: Hier bietet Say It Loud! fast nur Essenzielles. Neben der liebevollen Ausstattung des Sets und der vorbildlichen technischen Aufbereitung ist genau dies der Punkt, an dem die konkurrenzlose Stellung der Repertoire-Archäologen von Rhino deutlich wird. Nicht nur dass die wohl wichtigsten schwarzen Musiker des letzten Jahrhunderts präsent sind, überdies sind die hier verwendeten Werke allesamt Beispiele aus deren entscheidender Karrierephase, wenn nicht absolute Schlüsselsongs -ein mitunter nicht leicht zu erfüllendes Qualitätskriterium, bei dem in vielen Compilations gerne mal gemogelt wird. Disc 1 beschäftigt sich mit der Zeit vor 1940. Beginnend mit dem „Maple Leaf Rag“, einem der Ragtime-Stücke, mit denen Scott Joplin am Anfang des Jahrhunderts einen Grundstein für die Entwicklung des Jazz legte, präsentiert die CD Pioniere wie die „Blues Empress“ Bessie Smith,den jungen Louis Armstrong mit seinen Hot Five, die in den 20ern den archaischen New Orleans Jazz entscheidend kultivierten, oder den frühen Storyteller Charlie Patton. Nicht zu vergessen der legendäre Vater des modernen Blues, Robert Johnson. Zu hören gibt’s aber auch echte Stars, die in den 30er Jahren zu den Säulen des US-Entertainments zählten: Duke Ellington, Count Basie und BHlie Holiday. Disc 2 widmet sich den Jahren zwischen Pearl Harbour und dem Aufkommen des Rock’n‘ Roll. Nach dem Krieg entwickelte Charlie Parker mit Dizzy Gillespie in den New Yorker Clubs den BeBop, während in anderen Metropolen wie Chicago, Memphis, New Orleans und Detroit der urbane Rhythm’n’Blues seine erste Blüte erlebte. So gibt’s Klassisches zu hören von Muddy Waters, John Lee Hooker und T-Bone Walker. Aber auch Louis Jordan, der entscheidenden Einfluss auf Chuck Berry ausübte, kommt zu Ehren. Und die wohl virtuoseste Jazzsängerin des Jahrhunderts, Ella Fitzgerald. Den Abschluss der zweiten CD bildet Joe Turner mit seinem „Shake, Rattle& Roll“, das am Vorabend des Rock’n’Roll die mitentscheidende Lunte legte. Folglich stellt Disc 3 die Giganten der ersten großen Popwelle in den 50er Jahren vor: Fats Domino, Bo Diddley, Little Richard, The Platters, Chuck Berry. Und die des Rhythm’n’Blues: „Brother Ray“ Charles, der Gospel aus der Kirche holte und so den Soul „erfand“, Etta James und die Soul Stirrers mit dem jungen Sam Cooke. Auch der weiteren Entwicklung des Jazz wird mit exemplarischen Aufnahmen von Miles Davis, John Coltrane bis hin zu Herbie Hancock Rechnung getragen. Die 60er Jahre, hier auf Disc 4, waren das Jahrzehnt, in dem die Black Music erstmals auf breite Akzeptanz beim weißen Massenpublikum stieß und so zum Million Dollar Business wurde. Dafür verantwortlich waren vor allem Motown (Miracles, Supremes, Four Tops) sowie Stax und Atlantic (Wilson Pickett, Aretha Franklin, der unvergleichliche Otis Redding). Aber auch Rocker wie Jimi Hendrix, der Funkpionier Sly Stone, Folkkünstler wie Richie Havens und natürlich Ur-Funker James Brown gaben entscheidende Impulse. Die fünfte CD zeigt, wie sich die schwarze Popmusik in den 70er Jahren politische und soziale Anliegen zu eigen machte. Musiker vom Schlage eines Marvin Gaye, Gil Scott-Heron oder Isaac Hayes formulierten das neue Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung. Parallel wird auch der sinnenfrohe Philly- und Discosound von Barry White, Kool & The Gang und Earth, Wind & Fire gewürdigt. Last but not least schlägt Disc 6 im Schnelldurchlauf den Bogen zu den ersten Old School-Rappern wie Sugarhill Gang, Kurtis Blow und Grand Master Flash und führt den Hörer von dort in die musikalische Gegenwart. Say It Loud! zeichnet kompetent und ohne große Unterlassungssünden die faszinierende Entwicklung der Black Music nach -vom ursprünglichen Field Holler eines Son House über den eleganten Big Band Jazz des Duke Ellington, den vitalen Stax-Soul der Sixties bis hin zum modernen HipHop einer Queen Latifah. Das Schöne an der Sache: Man kann alles prima durchhören, im Flow der sechs CDs sind keine abrupten Brüche zu verzeichnen. Sollte übrigens jemand das Fehlen der Herren Michael Jackson und Prince monieren: Jacko ist als Knirps mit seinen Brüdern zu hören. Und ob Prince tatsächlich die Sache vorwärts gebracht hat oder „nur“ ein begnadeter Eklektiker war – darüber ließe sich trefflich streiten.

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