Sein Debutalbum machte aus Maxwell die Galionsfigur der neuen Soul-Begeisterung. Mit dem Nachfolger „Embrya“ etabliert der Amerikaner sich als Soulman der Zukunft.


Keine Fotos heute, so lautet die offizielle Ansage von Maxwell, der sich nach der Party zur Veröffentlichung seines aktuellen Albums („Embrya“) für nicht ansehnlich genug hält. Dabei liegt die Veranstaltung im Londoner Aquarium schon knappe 24 Stunden zurück. Dort, im abgedunkelten Tiefseezoo direkt an der Themse, wurde Maxwells zweites Studioalbum Medienmenschen aus ganz Europa vorgespielt. Netter Einfall, denn parallel zur Präsentation konnte die Journalistenmeute bei Bier und Wein einen Hammerhai und ähnlich seltene Haustiere bestaunen. So etwas hat Stil. Genau wie Maxwell eben. Der 25jährige New Yorker erschien vor der Journaille mit Strohhut und Sonnenbrille. Ein Outfit, das ihn jedoch nicht vor einem schlechten Teint bewahrte. Der Reporter von ME/Sounds jedenfalls hat einige Mühe, seinen Gesprächspartner tags darauf im Hotelzimmer ausfindig zu machen. Dort nämlich spenden nur ein paar spärliche Kerzen Licht. Ein Ambiente, das der Legende von Maxwell als „Mystiker des Soul“ durchaus entspricht.

Zu ebenjener Legende paßt auch die kaum hörbare, sanft schnurrende Stimme des neuen Soulkönigs mit dem Faible für alte Sounds. „Eine nervigere Sache, als dieses Album aufzunehmen, kann man sich kaum vorstellen“, läßt Maxwell sich über die Produktion von „Embrya“ aus. „Durch meine Freunde wußte ich, wie groß die Erwartungen nach dem ersten Album an mich waren. Wie dem auch sei, ich wollte mich auf keinen Fall wiederholen und dadurch die Intelligenz meiner Fans beleidigen. Also suchte ich nach einem neuen musikalischen Ansatz für die zweite Platte.“

Löblich, löblich. Doch am Ende gar gänzlich unnötig? Immerhin wurde „Maxwell’s Urban Hang Suite“, das Debüt des ambitionierten Musikers, mit drei (!) amerikanischen „Soul Train Awards“ ausgezeichnet und ging weltweit über zwei Millionen Mal über die Ladentische. Verdienterweise, denn bei Maxwells Erstling handelte es sich nicht um irgendein Soulalbum, sondern nach Meinung des renommierten US-Magazins „Entertainment Weekly“ um die „Reinkarnation des Gefühls, das von Soulklassikern wie Marvin Gayes ‚Let’s Get It On‘ oder Stevie Wonders ‚Journey Through The Secret Life Of Plants’ausging“. Und auch der meist durch kritische Distanz glänzende „Spiegel sah in Maxwell nach dessen Debüt „die neue Hoffnung des Soul“. Und wie das so ist: Die Musikindustrie hatte für den Stil des New Yorkers auch gleich eine passende Bezeichnung zur Hand: „New Classic Soul“ (einmal geprägt, wurden später auch Erykah Badu, Tony Rich, Chico DeBarge und Usher unter diesem Oberbegriff eingeordnet).

Maxwell selbst allerdings ist sich „immer noch nicht ganz klar, was ‚New Classic Soul‘ eigentlich sein soll“, und kratzt sich bei diesen Worten etwas verlegen die Stirn. „Was sind die Parameter dafür? Muß ich mit einem Afroschnitt rumrennen, so wie vor zwei Jahren? Muß ich eine bestimmte Sorte Kleidung tragen? Soll ich mich mit einem speziellen Sound verschleißen? Es gibt jede Menge Musiker, die dem Soul neues Leben einhauchen. Trotzdem gehören sie angeblich nicht zu unserem Club. Und weil man diesen Kollegen den Zutritt verwehrt, will auch ich mit diesem Laden nichts zu tun haben“, meint Maxwell.

Wie dem auch sei. „Embrya“ ist als sehnsüchtig erwartetes zweites Album des Soulmeisters (im letzten Jahr erschien als kleiner Appetithappen eine „MTV Unplugged“-EP) tatsächlich mehr als ein bloßer Neuaufguß der „Urban Hang Suite“. So wurde bei den Aufnahmen der Elektronik mehr Raum zugestanden. Ein Umstand, der die wohl deutlichste Veränderung in Maxwells musikalischem Werdegang markiert. Trotzdem: Samples sucht man im musikalischen Mikrokosmos von Maxwell vergeblich. Dabei kennt der sensible Musiker Berührungsängste nur bis zu einem gewissen Grad: „Ich mag die Verbindung von Natur und Technik-ein Strauß Rosen und daneben ein Computer. Oder man liegt auf einer Wiese und hört Musik mit dem Walkman.“

Den Hauptunterschied zwischen seinem ersten und dem zweiten Studioalbum sieht Maxwell darin, „daß ich mir mit der ‚Urban Hang Suite‘ all jene Musiker in Erinnerung rufen wollte, die mich als Teenager beeinflußt haben, also Leute wie Rose Royce, die S.O.S. Band oder Loose Ends. Das war alles, was ich mit meiner ersten Platte erreichen wollte. Ich hatte nie vor, ein ganzes Dutzend ‚Suites‘ herauszubringen. Statt dessen möchte ich mit jeder neuen Platte eine weitere Phase in meiner Entwicklung einläuten. Denn es geht mir immer darum, die Musik herauszufordern beziehungsweise mich von ihr herausfordern zu lassen. Dabei muß allerdings gewährleistet sein, daß ich meine Empfindsamkeit beibehalten kann. Bei meinen Songs geht es immer auch um den sinnlichen Aspekt. So finde ich es faszinierend, wenn man im Zuhörer den Wunsch nach Sex wecken kann.“

Den Albumtitel „Embrya“ hat Maxwell als Sinnbild für einen Zustand gewählt, den er beim Gespräch deutlich definiert: „Ich habe mich von meiner alten Persönlichkeit verabschiedet, die neue aber noch nicht vollständig angenommen. Das 21. Jahrhundert ist definitiv der Beginn eines weiblichen Zeitalters. Deshalb sehe ich mich auch im Zustand der ‚Embrya‘. Oder anders formuliert: Ich bin im Verlauf einer Veränderung,die mit einer neuen Geburt enden wird.“

Der Titel von Maxwells aktuellem Album spielt nicht nur mit den Motiven Heranwachsen und Reinkarnation, sondern spiegelt zudem die momentane Befindlichkeit des Musikers wider. Dem Blatt „Entertainment Weekly“ verriet der Shooting Star der Soulszene („Embrya“ kletterte bis auf Platz 3 der US-Charts): „Momentan bin ich ein wenig verunsichert, was meine eigene Zukunft angeht. Doch merkwürdigerweise macht mich dieser Zustand ausgesprochen froh, weil man in einer solchen Phase des Lebens besonders offen ist für Einflüsse von außen und die damit verbundenen Veränderungen. Mir ist es jedenfalls längst nicht mehr genug, meinen Namen lediglich als Synonym für das Revival eines alten Sounds zu sehen. Klar, ich bin ein Soulman. Aber ich will dem Soul eine neue Richtung geben. Denn wer sich ständig wiederholt, dreht sich letztlich nur im Kreis. Und daran bin ich nun mal nicht interessiert.“