Sheryl Crow


Aus dem Hintergrund ganz nach vorn: Der einstigen Background-Sängerin von Michael Jackson gelang mit starken Songs der Sprung an die Spitze der Charts - in einem Business, das nach wie vor von Männern dominiert wird. Ihren Erfolg mußte sich die attraktive Amerikanerin hart erkämpfen

Enge Jeans, ein braunes, schlabbriges Shirt, spitze Schuhe, wilde Lockenmähne: Sheryl Crow kommt rein, die nette Brünette, die mit ihrer Debüt-CD ‚Tuesday Night Music Club‘ ein knappes Jahr brauchte, um sich in den Charts durchzusetzen. Nun aber läuft’s. Und zwar so gut, daß die Konkurrenz gewaltig ins Grübeln kommt. Beste Chartplazierungen zwischen Amerika und Angelsachsen, vielbeachtete Auftritte im Vorprogramm von Woodstock-Legende Joe Cocker. Dennoch: Frau Crow ist auf dem Boden geblieben, hat nicht den Hauch einer Diva, sondern wirkt eher wie eine normale, wenn auch ausgesprochen gutaussehende junge Frau. Mit strahlenden Augen und einem Mund, der eine strenge aber nicht unfreundliche Linie beschreibt, bittet sie den Besucher, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Ja doch, dieser Aufforderung kommt man gerne nach.

Im Frühjahr ist Sheryl Crow schon einmal in Deutschland gewesen. Damals war sie auf Werbetour. In kleinen, verräucherten Clubs präsentierte sie zusammen mit ihrer Band die Songs jenes Albums, das ihr im Laufe des Jahres den großen Durchbruch bescheren sollte, eben ‚Tuesday Night Music Club‘. Ein Album, das von ME/Sounds bereits im Februar zur ‚Platte des Monats‘ gekürt wurde, und das auch sonst von der Kritik mit erößtem Wohlwollen aufgenommen wurde. Manche sprachen gar vom „wahrscheinlich cleversten Pop-Album des Jahres“. Freilich wußte man zu dieser Zeit bereits, daß die zierliche Sheryl schon für Größen wie Michael Jackson, die Eagles, Bob Dylan und George Harrison den Background-Gesang bestritten hatte und als eines der größten Talente unter den amerikanischen Songwriter-Damen galt. Doch live erleben wollte sie zunächst nur eine kleine Zahl von Eingeweihten. „Bis vor kurzem“, bemerkt Miss Crow, „trat ich noch vor einem regelrechten Underground-Publikum auf.“ Doch genau diese Zuschauer zog Sheryl mit ihrer Mischung aus Sixties-Rock, leicht jazzigem Folk, geschmackvollen Blue Notes, verhaltenem Funk und Mainstream-Klängen für den gehobenen Geschmack unwillkürlich auf ihre Seite. Ihr koketter Hüftschwung täuschte dabei ganz gewaltig. Denn schon mit der nächsten Ansage machte die einstige Musiklehrerin aus Missouri deutlich, welche Haltung sie in einem von Männern dominierten Geschäft einnimmt: „Diesen Song widmete ich allen miesen Machos hier im Publikum.“ Brave Mädels sagen so was nicht. Aber ein braves Mädel wollte Sheryl Crow auch niemals sein. Vielleicht ließ der Erfolg ja auch deshalb einige Jahre auf sich warten. „.Noch im Sommer fragte das Magazin ‚Today‘ nicht ohne Süffisanz: „Ist Sheryl Crow zu talentiert?“ Doch dann, einige hatten die Hoffnung längst aufgegeben, platzt der Knoten. Die Songs ‚Run Baby Run‘ und ‚What Can I Do For You‘ schießen in die US-Hitparaden und werden nahezu stündlich im Radio gespielt. Und auch in Deutschland hört man die selbstbewußte Sängerin aus den USA immer öfter – solides Songhandwerk zwischen 2 Unlimited und Take That. Später, im November, wird Sheryl in den größten deutschen Hallen gefeiert. Von einem Publikum, daß doch eigentlich gekommen war, um den alten Helden Joe Cocker noch einmal hochleben zu lassen.

Wie geht die Schöne mit dem späten Erfolg um? „Nun ja“, sagt Sheryl und lehnt sich auf dem Sofa zurück, „nachdem ich in Woodstock vor 300.000 Leuten gespielt habe, kann mich eigentlichen nicht mehr allzu viel überraschen.“ Alles easy also, wäre da nicht die Kehrseite des verdienten Ruhms: „In den letzten Monaten, seit mein Album in den Charts regelrecht explodiert ist, waren meine Band und ich ständig unterwegs. Ich habe zu wenig Zeit für mich selbst, schlafe zu wenig und bin dementsprechend dauernd müde.“ Doch natürlith ist da auch etwas, das Sheryl Crow aus tiefster Seele freut: die Tatsache nämlich, daß sich ihre Musik durchgesetzt hat. Inwieweit auch das ansprechende Äußere der Amerikanerin dazu beigetragen hat, mag dahingestellt sein. Für Sheryl selbst steht indes fest, „daß die Leute es satt haben, immer nur irgendwelchen wunderhübschen Zuckerpüppchen zuzuhören. Das eigene Äußere, so mag man meinen, scheint die 31jährige kaum zu tangieren. Viel eher schon, daß sie nun selbst wie ein Popstar behandelt wird, daß man ihr bis ins Schlafzimmer hinein nachspioniert und ihr Privatleben nach Strich und Faden auseinandernimmt: „Eigentlich bin ich ja ein sehr offener Mensch, aber ich habe festgestellt, daß allzu viel Offenheit gefährlich sein kann. Aus einem Song über meinen Vater beispielsweise haben einige Leute gleich geschlossen, meine Eltern seien Alkoholiker und hätten mit Drogen zu tun gehabt. Und dabei waren sie bloß normale Hippies. Aus solchen Sachen lerne ich, daß ich mein Privatleben schützen muß.“

Als jüngste von drei Schwestern wuchs Sheryl Crow in der bunten Familienkommune ihrer Eltern auf, „in der eigentlich so gut wie jeder Musik gemacht hat“. Nach Schule und Studium zog es sie in die Musikmetropole Los Angeles: „Dort nahm ich zunächst jeden Job an, den ich nur kriegen konnte.“ Sheryl hielt sich mit kleinen Aufträgen als Studiomusikerin über Wasser und ging in ihrer Freizeit mit Demoaufnahmen ihrer eigenen Songs bei den ortsansässigen Plattenfirmen Klinken putzen. Und obwohl sie mit Werken aus eigener Feder zunächst kein Glück hatte, hielt das Schicksal für die Nachwuchskünstlerin aus Missouri doch eine Chance bereit, wie sie sich hoffnungsvollen Talenten nicht alle Tage bietet. Ehe Sheryl sich versah, wurde sie als Background-Sängerin für die monumentale ‚Bad‘-Tournee von Superstar Michael Jackson engagiert. Eine große Gelegenheit, aber eben auch ein Deal, an den Sheryl Crow sich nicht nur voller Dankbarkeit erinnert. So schildert sie in ihrem ‚Na Na Song‘ ein angebliches Treffen mit Jackson-Manager Frank Dileo, der damals ganz eindeutige Absichten geäußert haben soll – was von DiLeo selbst in der englischen Presse später bestritten wurde. Nie habe er Frau Crow in irgendeiner Art und Weise belästigt. Wie dem auch sein. „Gesehen“, sagt Sheryl, „habe ich ihn danach jedenfalls nie wieder.“

Bei all ihrem künstlerischen und feminen Selbstbewußtsein: Ein Rrriot Girl im Stile von V7 oder der Babes In Toyland möchte Sheryl Crow nicht sein. Auch wenn diesen Damenkapellen ihre ganze Sympathie gehört: „Ich meine, ihr Jungs habt Bands wie die Sex Pistols gehabt und neuerdings Green Day. Also diesen Typus des rebellischen jungen Mannes. Frauen war es nie erlaubt, diese Seite von sich zu zeigen und damit auch noch erfolgreich zu sein. Jetzt gibt es endlich ein paar unverschämte Mädchenbands, und das ist gut so. Vieles von dem, was die in ihren Songs rüberbringen, ist natürlich albern und pubertär. Aber es ist schließlich der gleiche Kram, den Männer auch von sich geben dürfen.“

Immer noch sitzt Sheryl sichtlich entspannt auf dem Sofa. Das Etikett „Madonna von der Theke“, daß man ihr einmal verpassen wollte, will zumindest in diesem Ambiente nicht so recht zu ihr passen ¿ was die Musikerin selbst genauso sieht: „Also, Madonna bin ich sicher nicht. Ich bin zwar in Bars und mit Szene-Leuten aufgewachsen, aber das ist doch wohl etwas anderes. Vielleicht bin ich ja so eine Art Chrissie Hynde vom Bartresen, das könnte schon eher sein.“

Etiketten hin, Selbsteinschätzung her: Ganz sicher ist Sheryl Crow eine Ausnahmeerscheinung unter den Songwriterdamen der nachgewachsenen Popgeneration. Wie selbstverständlich bedient sie sich im reichen Fundus der Rockgeschichte, um mit ihren Texten den Bogen zu schlagen von eigenen Erlebnissen hin zur großen Welt der Dichter und Denker. Wie zum Beispiel in der ersten Zeile von ‚Run Baby Run‘, dem Opener ihres erfolgreichen Debütalbums: ‚She was born in November 1963, the day Aldous Huxley died.“ Auch in anderen Songs verbindet Sheryl Crow Privates mit Poesie von allgemeiner Bedeutung. Doch bei allem Wohlwollen der Künstlerin gegenüber gibt es einige, die mit Sheryls Art ihre Probleme haben. Von denen wird ihr vorgeworfen, sie habe eine ausgesprägte maskuline Ader. Vielleicht aus einer alten Angst heraus starken Frauen gegenüber? Sheryl selbst jedenfalls kann nur den Kopf schütteln: „Es stimmt schon, ich habe eine starke maskuline Seite und auch eine ausgesprochen kräftige Stimme. Vielleicht hängt das ja damit zusammen, daß ich mich in der Vergangenheit auf harte Weise durchschlagen mußte und immer von männlichen Mitmusikern umgeben war. So etwas prägt.“

Welche Formen Ablehnung annehmen kann, merkte Sheryl Crow aber erst, als ihr Album ‚Tuesday Night Music Club‘ fertig war. Um die Platte ins Rollen zu bringen, sah sie sich nach jemandem um, der in der Presse für Besprechungen der LP sorgen sollte. Zunächst sollte eine Geschlechtsgenossin für Miss Crow tätig werden. Aber die meinte nur: „Ich mag sie nicht, sie ist mir zu maskulin.“ Sheryl: „Das war das erste Mal, daß ich so etwas hörte. Ich hielt es für einen verrückten Kommentar.“ Wer der attraktiven Amerikanerin gegenübersitzt, kann da nur zustimmen. Und überhaupt: Das Bild vom Mädchen, das auch ein schweres Motorrad nicht schrecken kann, scheint heute ohnehin nur noch diejenigen zu stören, die das Heil der Frau einzig und allein am Herd sehen.

Derweil denkt Sheryl schon längst wieder an die Zukunft. Anfang des Jahres werden die Songs für ihre zweite LP aufgenommen, die im Sommer „95 erscheinen soll. Bis dahin könnte Sheryl Crow schon eine seltene Ehre zuteil geworden sein: „Mick Jagger rief mich an und fragte, ob ich Lust hätte, im Rahmen der Stones-Tournee mit ihm ‚Wild Horses‘ zu singen. Mir wurde ganz anders. A^ber dann saßen wir tatsächlich in einem Hotel bei einer Jam-Session zusammen, Mick, Keith und ich. Das war einer der Höhepunkte in meinem bisherigen Leben.“ Anerkennung und Erfolg, so will es scheinen, fliegen Sheryl Crow inzwischen von allen Seiten zu. Macht so viel Zuspruch denn nicht auch ein wenig skeptisch? „Don Henley von den Eagles meinte neulich, ‚genieße diese Zeit, es wird die beste Deines Lebens sein. Wenn Du erst mal ganz an der Spitze bist, dann geht die Angst los, daß Du wieder herunterfallen könntest‘.“ Noch scheint Sheryl Crow, den Shooting Star am Songwriter-Himmel, diese Angst nicht sonderlich zu plagen. Auch wenn sie weiß, daß man in ihrem Geschäft „nicht alles kontrollieren kann“. Dieser Tatsache allerdings begegnet die Amerikanerin auf ihrem Weg an die Spitze mit einem löblichen Vorsatz: „Ich versuche einfach, mich nicht verrückt machen zu lassen.“