Silencio es oro


Reden ist Silber aber Heroes del Silencio wollen Gold. Mit spanischen * Schwelgen ist Gold Texten, so mystisch wie Alchemisten-Algebra, vergolden die vier verschwiegenen Helden eine LP nach der anderen. Bricht mit dem bleischweren Ibero-Sound ein neues, goldenes Zeitalter des Euro-Rocks an?

Heiß ist es in Madrid schon im Frühjahr: Die Temperatur klettert Anfang April aufluftige 25 Grad, und — das war nicht anders zu erwarten — es schlendern auch schon die ersten Touristen aus dem kalten Deutschland durch die großzügig angelegten Avenidas der iberischen Metropole. Vier junge Musiker aus der Provinzhauptstadt Zaragoza freuen sich über diese Deutschen ganz besonders. Denn kaum wagen sich die Heroes del Silencio mit dem Fotografen auf die Straße, werden sie auch schon als „Stars“ erkannt und um Autogramme gebeten. Von treuen Fans aus Bochum. „Ich bezweifle, daß uns die Spanier so schnell erkennen würden“, gesteht Sänger Enrique Bunbury. „Die deutschen Fans haben uns längst voll akzeptiert.“ Wohl wahr: Im Mai 1993 überschritten die Verkäufe von SEN-DEROS DE TRAICION („Wege des Verrats“), des zweiten Albums der Band, in Deutschland die magi- ¿

sehe Grenze von 250.000, und das bedeutet Gold für Spanien. Europaweit wurden rund 800.000 Kopien des Albums verkauft. Das erscheint umso erstaunlicher, als die „Helden der Stille“ nicht auf (für Euro-Erfolge besser geeignete) englische Songtexte bauen, sondern konsequent spanisch singen — ein Idiom, das der deutsche oder englische Normalverbraucher ungefähr genauso gut versteht wie die Heisenbergsche Unschärferelation. Für Helden-Tenor Enrique Bunbury gibt es da ohnehin kein Problem: „Kein Mensch kann unsere Texte verstehen, auch nicht die Spanier. Es geht bei uns um Gefühle und Beziehungen. Aber die Texte sind so metaphorisch, daß jeder nur das verstehen kann, was er verstehen will.“

Mag sein, daß bei dem Erfolg der Spanier in Deutschen Landen ein gewisser Exoten-Bonus mitspielt. Schließlich goutierte das deutsche Publikum in den 80er Jahren auch widerstandslos Wolfgang Niedeckens Kölschlyrik. Die Platten der Heroes könnten einen ähnlichen Effekt erzielen. Denn für Ohren, die des Spanischen nicht mächtig sind, hÖTen sich manche Stücke auf dem neuesten Album EL ESPIRTTU DEL VINO („Der Geist des Weines“) ungefähr so an, als würde ein Gruftie aus dem Naturschutzreservat des Bayerischen Waldes zwischen Kautabak und Radi eine Litanei von Flüchen und Beschwörungen rezitieren, während sich in Ehren ergraute Mitglieder von Genesis, Roxy Music und Led Zeppelin schon mal zu einem gemeinsamen Ausflug in die Welt des Hardrock warmspielen.

Gibt es vielleicht doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen Zaragoza und Zwiesel im Bayemwald, als sich unsere Schulweisheit träumen läßt? Schon der erste Augenschein liefert sachdienliche Hinweise, warum ausgerechnet diese vier Spanier alle Sprachbarrieren überwinden und beim deutschen oder englischen Publikum genauso gut ankommen wie beim italienischen oder französischen oder eben auch beim spanischen: Sie sehen einfach gut aus. Sie sehen so aus, wie Rockstars eben aussehen sollten: stolz und ein wenig sinister, männlich-erotisch und dabei doch sensibel-feminin. Der eine trägt die Haare kurz und dazu einen Bart, der andere hat lange, wallende Haare. Schwarze Lederklamotten, dicke Ringe an den Fingern, Halsketten — die Zutaten stimmen. Sie wirken abgeklärt und erfahren, sind aber trotzdem sichtlich jung und scheinen durchaus noch verletzlich und zur ungekünstelten Begeisterung fähig.

Und sie wissen genau, was sie wollen. Beispielsweise auf keinen Fall auf Englisch singen. „No way“, betont Sänger Enrique, „das würde sich grauenhaft anhören. Wir haben es im Studio ausprobiert, weil die Plattenfirma anfangs meinte, das müsse sein, um mehr Leute zu erreichen. Es klang auch gar nicht so übel, brachte aber nicht annähernd die Nähe rüber, die wir haben, wenn wir spanisch singen. Als wir dann die Resualtate der Plattenfirma vorspielten, waren sich schnell alle einig: Wirbleiben uns auch in Zukunft selber treu und machen nur die Musik, die uns entspricht, ohne Konzessionen ans Busineß oder irgendwelche dubiosen Marketingkonzepte. “ Im Interview spricht Enrique ebenso wie seine Freunde Englisch. Aber das holpert und stockt bisweilen noch und unterstreicht, daß die Grundsatzentscheidung für den spanischen Gesang wohl richtig war.

Wieso aber haben sie außerhalb der spanisch sprechenden Welt einen solchen überwältigenden Erfolg? Schlagzeuger Pedro Andreu weist auf die harte Basisarbeit hin, die sie seit Jahren leisten: „Wir sind eine Live-Band. Wir müssen raus aus dem Studio und auf die Bühne. So war’s schon immer, und so macht es uns am meisten Spaß. Und es hat sich schließlich auch ausgezahlt, daß wir so viele Konzerte wie möglich in Deutschland, Frankreich, Holland und wo auch immer gaben. Wenn uns die Leute erst einmal live erlebt haben, mögen sie uns, ob sie unsere Texte verstehen oder nicht.“

Pedro hat den hungrigen Blick eines Mannes, der noch lange nicht genug von der Welt gesehen hat und der noch lange auf seinem hohen, kreativen Energielevel wird brennen können.

Auch Gitarrist Juan Valdivia, Bassist Joaquin Cardiel und Enrique Bunbury, der Sänger, strahlen diese rastlose Kraft aus. Wer vor zehn, zwölf Jahren ihre englischen Kollegen von Depeche Mode beispielsweise getroffen hat, stellt in dieser Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten fest.

„Es war von Anfang an unser Ziel, außerhalb Spaniens berühmt zu werden“, betont denn auch Enrique mit Nachdruck. „Wir haben Anfang der Achtziger in Zaragoza Bands wie The Cure gehört; wir wollten so gut werden wie Pink Floyd oder die Beatles. Ich verstehe nicht, warum sich so viele Musiker mit dem Mittelmaß zufrieden geben. Wenn wir einen Song machen, stecken wir unser Ziel immer so hoch wie möglich. Warum sollten wir die Meßlatte niedriger legen? Nur wenn man wirklich den Superlativ will, kann etwas Brauchbares dabei herauskommen. „Und Pedro ergänzt: „Essollimmer ein perfekter Song werden, einer wie von Led Zeppelin, Roxy Music oder meinetwegen auch von Elvis Presley, dessen Musik ich sehr schätze. „

Die vier Perfektionisten sind noch jung, alle Mitte 20, aber sie spielen bereits seit gut zehn Jahren zusammen. Sie haben die regionale Rockszene von Zaragoza längst weit hinter sich gelassen. Mit Phil Manzanera, früher Gitarrist von Roxy Music, haben sie einen versierten Produzenten gefunden. Mit Latino-Pop ä la Julio Iglesias haben die „Helden der Stille“ nach wie vor aber nichts am Hut. „Damit kannst du uns jagen“, sagt Enrique. „Rockmusik ist ein internationales Phänomen und Ausdruck einer Kultur, die Ländergrenzen und Sprachschranken überwindet. Und wir verstehen uns als Rockband mit internationalem Niveau. Das wollen wir rüherbringen, daran arbeiten wir.