Siouxsie & The Banshees – Voodoo Kinder


"Wir würden aufs Polydor-Gebäude nicht mal pissen, sollte es einmal brennen." Vor nicht allzu langer Zeit machten Siouxsie & The Banshees die Einstellung zu ihrer Schallplattenfirma auf recht drastische Weise deutlich. Doch auch eine Kultband kann sich auf Dauer den vielgeschmähten Vermarktungs-Mechanismen nicht entziehen.

Siouxsie tritt in „Top Of The Pops“ (der englischen ZDF-Hitparade) auf und posiert für arriviert-bürgerliche Magazine. Im Frühjahr 1981 bricht die Band ihr Amerika-Embargo und plant nun auch Tourneen nach Tokyo, Bagkok und Neuseeland. „After all“, meint Steve Severin, „it’s like a dream come true.“

Der Traum wurde auch wahr für die versprengten deutschen Siouxsie-Fans, die vor wenigen Wochen ein paar Banshees-Gigs zelebrieren durften. Einer davon aus Anlaß einer Rockpalast-Aufzeichnung in Köln – blieb jedoch, was Atmosphäre, Stimmung und vor allem den Sound betrifft, weit hinter früheren Auftritten zurück. Nicht gerade ein erhebendes Gefühl für die Band, die diesmal aber trotzdem recht zufrieden auf ihre Europa-Tour zurückblickt Ausgeglichener vielleicht auch deshalb, weil die Verständigung zwischen Musikern und Plattenfirmen inzwischen reibungsloser funktioniert. „Polydor hat endlich begriffen, daß wir uns von niemandem in die Karten schauen lassen. Wir haben volle Handlungsfreiheit, wirklich alle erdenklichen Privilegien.“ Und: Drummer Budgie und Gitarrist John McGeoch sind längst keine Ersatzleute mehr, sondern gleichberechtigte Banshees.

Ein widerborstiges Teil im Pop-Universum sind sie noch immer, auch wenn sie sich inzwischen veränderter Ausdrucksformen bedienen. Der Hang zum Fetischismus indessen blieb, ebenso die suggestive Bühnenpräsenz, mit der Siouxsie schon zur Blütezeit des Londoner, 100 Club“ im Verein mit Sid Vicious, Steve Severin und dem heutigen Ants-Gitarristen Marco Pirroni das Vaterunser in einer chaotischen Orgie zum Apocalypse Now-Soundtrack explodieren ließ. Doch das ist fast schon Nostalgie.

Daß die Magie ihre Wirkung noch nicht verloren hat, zeigt sich nicht zuletzt an den sorgfältig geschminkten Siouxsie-Clones, die jeden Gig bevölkern. Auch in Köln haben sie sich die besten Plätze gesichert Auf der Bühnenrückwand lodert ein von Diaprojektoren produziertes Fegefeuer. Budgies hypnotisierendes Voodoo-Getrommel eröffnet den kultischen Showdown: die wartende Menge hebt ab zum Neandertal-Pogo. Sioux im Mittelpunkt der Aktion produziert sich ekstatisch unter Stroboskop-Gewittern. Die Band zelebriert dazu ihr zerstörerisches Crescendo.

Steve Severin konzentriert sich darauf, mit Budgies rollenden Ur-Rhythmen Schritt zu halten. Der ehemalige Slits-Drummer trägt mit faszinierender Kontinuität und Präzision erheblich zum Zauber der Banshees-Musik bei. In Kombination mit McGeochs abstrakten Ton-Strukturen ergibt sich ein so ausgefallenes Klangbild, daß die Verfechter der griffigen Riff-Gitarre dabei nicht selten das Handtuch werfen. Faszination nur für Eingeweihte?

Über die Bühne rollt ein exorzistisches Spektakel, kompromißlos durchgestaltet und geprägt durch Siouxsies Flirt mit Übersinnlichem und makabrer Symbolik. Die Anfangsakkorde von „Israel“ dröhnen über die Rampe. Siouxsie reckt die Fäuste theatralisch in die Höhe und gibt den Blick frei auf den überdimensionalen Judenstern auf ihrem T-Shirt…

… mir ist durchaus klar, daß der David-Stern an den Juden-Haß im Dritten Reich erinnert Vielleicht halt man mich sogar für einen antisemitischen Neonazi,“ grübelt sie später beim mitternächtlichen Essen. „Allerdings kann es genausogut eine Sympathiebekundung sein,“ amüsiert sie sich. „Früher hatte ich übrigens eine Vorliebe für silberne Kruzifixe, Das ist doch Beweis genug für meine christliche Moral, oder?“

Der Sarkasmus ist unüberhörbar. Sioux gefällt sich in ihrem makaberen Drahtseilakt, indem sie mit historischen Tabus kokettiert: „Ehe man voreilig über unsere Geisteshaltung urteilt und uns als Faschisten abqualifiziert, sollte man einmal nach dem Ursprung dieser Symbole fahnden. Der Davidstern ist nämlich bedeutend älter als die jüdische Religion. Und auch das Hakenkreuz (einst Bestandteil ihrer Kleidung. Die Red), war längst ein eigenständiges Symbol, ehe es die Nazis übernahmen.“ Sie weiß, daß ihr Hang zum kultischen Symbolismus zum Teil zwiespältige Assoziationen wachruft, weist jedoch entschieden jede Verantwortlichkeit von sich.

„Man unterstellt uns immer, daß wir unser Manifest als Ultimatum präsentieren. Aber ich hasse engstirniges Kastendenken, Gurus, die ihre Lehren nur zu dem Zweck verkünden, um sich eine treue Glaubensgemeinde heranzuzüchten. Uniformierte Cliquen, politische Parolen … dear old Maggie,“ lacht Siouxsie, „Hier hast du meine Verbesserungsvorschläge: one, two, three, four. Aber diese hirnrissige Schwarzweißmalerei, nimmt dir lediglich die eigene Meinung ab – zugunsten der Mitgliedschaft im großen Anti-Establishment-Komplott Und in diese Rolle möchte ich die Banshees nie hineingedrängt sehen.“

Die Banshees weigern sich, den Schlüssel zur Dechiffrierung ihrer Songs mitzuliefern. „Nüchterne Analysen führen nur zu falschen Interpretationen,“ erklärt Siouxsie, „denn im allgemeinen wirken unsere Texte eher in ihrer Bildhaftigkeit als wenn du sie wortwörtlich nimmst. Plakative Szenenbilder und Collagen vermitteln für mein Gefühl eben mehr Atmosphäre als hehre Worte. Ich hasse es, darüber zu reden,“ fegt sie dann auch diesen Komplex vom Tisch. „Hier in Deutschland fühle ich mich allerdings noch unverstandener als irgendwo sonst“ meint sie dann nach kurzer Denkpause. „Die Leute reagieren meist ziemlich zurückhaltend auf uns, ja fast schon verlegen … kurzhaarige Hippies, sage ich dir, echte Cowboys!“ (Ihr bevorzugtes Schimpfwort, seitdem sie in Amerika war). Siouxsie bricht in schallendeshttp://koriapp.feeed.eu/edit/29309 Gelächter aus. „Pure Bequemlichkeit ist das!“ doziert sie „Germans don’t wanna be hurt!“

Hast du im Lauie eurer US-Tour überhaupt mal die Bekanntschaft von echten Cowboys gemacht?

„Wie bitte?“ Siouxsie verzieht angewidert das Gesicht. „Kentucky Fried Chicken? Zum Glück haben wir den gesamten Mittelwesten ausgelassen und sind nur an der Ost- und der Westküste aufgetreten. New York war fantastisch, ich habe mich wahnsinnig gefreut, Lydia Lunch wiederzutreffen … Wir kennen uns, seit Teenage Jesus ’77 im Londoner Vortex spielte. Mir gefällt, was sie macht. QUEEN OF SIAM war bestimmt eine der unterbewertetsten Platten der vergangenen Jahre. Aber seltsam, jedesmal, wenn wir uns treffen, steigern wir uns in erschöpfende Diskussionen und haben uns dann anschließend ein Jahr lang nichts mehr zu sagen.“

Siouxsie & The Banshees haben sich als Band gefangen, sind, so Sioux, zu einer demokratischen Viererbande zusammengewachsen. Eine Entwicklung, die auf JUJU deutlich wird. Dieses Album bedeutet weniger einen Schritt vorwärts als viel mehr eine Quintessenz aus den vorhergehenden Alben THE SCREAM, JOIN HANDS und KALEDOSCOPE. Der Sprung vom ungeschliffenen zweiten zum dritten Album mit seiner kühlen Ästhetik war da schon spektakulärer.

„KALEDOSCOPE profitierte ja auch nur von zwei Energiespendern,“ erklärt Siouxsie rückblickend. Nachdem McKay und Morris inmitten einer Tour das Weite gesucht hatten, spielten Budgie, John McGeoch wie auch noch zusätzlich Gitarrist Steve Jones vorerst nur die Rolle von Gastmusikern. Inzwischen verstehen sich die Banshees „als vier extreme Egos, besessen von einer gemeinsamen Idee. Der beste Drummer, der beste Bassist, der beste Gitarrist im Pakt mit einer Stimme, mit Siouxsie Sioux!“

Die Banshees pflegen ihren Narzismus. Spielen mit Fetischismus und Götzenkult. Siouxsies spezielle Hingabe gilt japanischen Masken und Skulpturen. „Who makes you stop and stare / it’s just the clothes I wear …“ heißt es in „Freaks“ von Theatre Of Hate. „Die Leute sollen mich anschauen wie eine Skulptur in einer Galerie,“ wünscht sich Siouxsie. Da drängt Steve zum Aufbruch. „Cowboys“, protestiert sie, gibt aber nach. Schließlich besteht die Band aus vier gleichberechtigten Mitgliedern. „Das ist zum Verständnis unserer Musik von grundsätzlicher Bedeutung,“ betont sie. „Die Clash machen es leicht, sich für oder gegen sie zu entscheiden. Aber jeder, der versucht, das Banshees-Weltbild zu entschleiern – has to suffer!“