Spielberg rettet Weihnachten: Kein „Star Wars“, dafür „E.T.“


Aus unsere Ausgabe 12 /1982: Der Dezember bringt uns die große amerikanische Schnulze, denn bei E.T. fließen jede Menge Tränen vor Lachen aus Rührung und aus Mitgefühl Die Freundschaft zwischen Elliott und seinem kleinen schrumpeligen Freund vom anderen Stern und ihr dramatischer Kampf gegen die Wissenschaft ist eines der cleversten Kinodramen der jüngsten Zeit.

Das kleine schrumpelige Wesen vom anderen Stern tröstet uns darüber hinweg, daß zu Weihnachten keine neue Folge von „Star Wars“ im Kino ist.

E.T., der Außerirdische, bringt uns die große amerikanische Schnulze, bei der unter Garantie kein Auge trocken bleibt, weil hier genausoviel gelacht wie geweint wird. Steven Spielberg, der als Produzent für MGM den „Poltergeist“ in eine amerikanische Mittelstandsfamilie fahren ließ, führte diesmal wieder Regie. Nach „Der weiße Hai“,  „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“, „1941“ oder „Jäger des verlorenen Schatzes“ sorgt er jetzt mit einem herzzerreißenden Neuzeit-Märchen für Kassenrekorde.

 E.T. ist von rührend-häßlicher Gestalt, besitzt jedoch eine höchst empfindsame Seele und ein geradezu überirdisches Herz. Auch was die Intelligenz betrifft, ist er uns überlegen. Innerhalb kürzester Zeit kann er seinen kleinen Gastgebern beispielsweise klar machen, daß er Heimweh hat und nach Hause telefonieren will… E.T. wohnt vorübergehend bei Elliott (Henry Thomas). Ihm ist nämlich ein Mißgeschick widerfahren, vor dem wohl jedem Raumfahrer graust: Bei der überstürzten Flucht von der Erde hat ihn die außerirdische Expedition in der Hektik einfach vergessen. Glücklicherweise kann er bei Elliott und seinen Geschwistern unterkriechen und so lange wie möglich vor der Mutter verborgen werden. Notfalls zwischen all den anderen Puppen und Stofftieren im Wandschrank. Das Charmanteste an Spielbergs Film ist die gelungene Perspektive der Kinder- bzw. Heranwachsenden-Realität.

Eine der besten Pointen des Filmes ist somit auch der Vorschlag von Elliotts Freund, E.T. einfach auf seinen Stern zurück zu beamen. Aber so einfach ist das nicht, denn „dies hier“, so wird er belehrt, „ist die Wirklichkeit“. In diese Wirklichkeit dringt nun der Außerirdische ein – Elliott lockt dieses verängstigte, von Wissenschaftlern gejagte Wesen mit Süßigkeiten ins Haus. Zwischen den beiden entsteht nun eine telepathische Verbindung, die zunächst nur lustige Folgen hat. Als E. T. alleingelassen die Errungenschaften der irdischen Zivilisation testet, widerfahren seinem Medium in der Schule die merkwürdigsten Dinge. Elliott reproduziert nämlich E.T.’s Reaktionen auf die herumliegenden Comics, aufs Fernsehprogramm und vor allem auf ein paar Dosen Bier. Da dieser telepathische Faden und vor allem Elliotts überschäumende Liebe für das Überleben E.T.’s von großer Bedeutung ist, macht euch bitte, mit einer Familienpackung Tempos griffbereit, auf eine bewegende Krise gefaßt.

Moderne Märchenhelden kämpfen nicht mehr mit Drachen oder herkömmlichen Räubern, sondern mit forschungsgeilen Wissenschaftlern, die nichts Besseres zu tun haben, als sich das Männchen in einer Überrumpelungsaktion zu greifen. Was sich daraufhin in einer mobilen Quarantänestation abspielt, zielt nicht nur schamlos auf die Tränendrüsen. Irgendwo reflektiert es auch die derzeitige Auffassung von „humaner Medizin“. ET. garantiert Emotionsschübe wie das Trivialkino der 50er.

„Wer in Japan im Kino nicht heult, gilt als gefühlsmäßig armes Schwein“, erklärte mir mal ein Freund, der es wissen muß. Wer E.T. nicht mag, schämt sich einfach seiner Tränen, könnte man euphorisch anschließen. Sollte man aber nicht. Denn „Der Außerirdische“ ist nichts weiter als ein cleveres Kinostück, wie man es zu Zeiten wirtschaftlicher Rezession und menschlich/politischer Verunsicherung nicht besser inszenieren kann. In vielen Momenten brillant, doch trotzdem hier und da einfach unerträglich. Aber intelligent. Der ideale Film fürs Fernsehprogramm zur Weihnachtszeit.