Interview

Jungstötter im Interview: Sternenkunde mit Ensemble


Fabian Altstötter demonstriert mit seinem Solo-Album ONE STAR, wie eigenwillig Pop-Musik sein kann. Wir trafen ihn zum Gespräch.

Nicht jedem jungen Musiker unterstellt man nach dem Debütalbum eine Seelenverwandtschaft mit Nick Cave. 2019 erntete Jungstötters dunkler Piano-Pop viele Lobeshymnen. Trotzdem gab es nun Phasen, in denen Fabian Altstötter mit dem Nachfolger haderte. „Ich war extrem unsicher mit der Entwicklung des Albums und immer sehr hin und her gerissen.“ Er machte viel mehr als kreative Krisen durch: „Vieles hatte sich bei mir aufgestaut. Das uferte in einer sehr schweren Depression, wegen der ich auch kurze Zeit in einer Klinik war.“

Altstötter, heute Anfang dreißig und wohnhaft in Wien, musste Prioritäten setzen und stellte das Album kurz in Frage. „Als es mir wieder besser ging, entstanden noch mal neue Songs“, erzählt er. „Alles fügte sich zusammen, was mich extrem freute.“ Dass Altstötter die Lieder in unterschiedlichen Lebensphasen geschrieben hat, färbte auf die Klangatmosphäre ab. ONE STAR ist ein kontrastreiches Album: Manche Songs klingen zart und fragil, andere nach Industrial.

Altstötter ist von unterschiedlicher Musik inspiriert: Er schätzt Harold Budds Ambient genauso wie die Einstürzenden Neubauten. Man hört viele Streicher, vor allem der Kontrabass hat neben Drums und Bläsern wie Trompete und Flügelhorn eine zentrale Rolle. Vieles wirkt erhaben, aber Altstötter bat das Ensemble auch um Störgeräusche.

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„Alles, was sie mit ihren Instrumenten machen können, ohne nach diesen Instrumenten zu klingen, nahmen wir einmal auf. Davon habe ich viel untergebracht, aber es gibt auch ein paar Samples. In ‚Nothing Is Holy‘ steckt etwa die Rückkopplung eines Spielzeug-WalkieTalkies.“ Auch weil er pandemiebedingt zeitweilig alleine am Computer aufnahm, gibt es nun mehr elektronische Elemente. Auffällig sind auch kurze Pausen in manchen Songs. Dass er Stille bei seiner Ex-Band Sizarr nur schwer aushalten konnte und in einigen der frühen Songs durchgängig sang, deutet Altstötter rückblickend als „jugendliche Unsicherheit“.

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Die Ästhetik von ONE STAR

Heute lässt er Pausen zu. „Das wird in der jetzigen Entwicklung von Pop oft vernachlässigt. Ich finde das schade.“ Pausen verstärken schließlich die Dynamik von Musik: „Eine Stimulation von etwas ist doch noch intensiver, wenn es davor auch Zeit zum Durchatmen gibt.“ Die eigenwillige und organische Klangästhetik von ONE STAR zieht es in andere Galaxien als schablonenhafte TikTok-Hits. Auch die Texte fordern heraus: „Air“ widmet sich innerer Befreiung, „Burdens“ hingegen dem menschengemachten Klimawandel. „Es geht um Last, Schuld und Aggression. Der Song fragt, warum wir uns das selbst einbrocken.“

Dazu ist das schlichte Liebeslied „My Fear Is But A Looting Game“ Kontrastprogramm. „Es gibt metaphorisch einen Dialog zwischen Himmel und Erde“, sagt er über die Textmotive. „Bin ich fest verankert oder schwebe ich über den Dingen? Das ist ein Konflikt von Zuständen, den ich schon oft als Kampf erlebt habe. Der Stern im Albumtitel ist ein Fixpunkt, auf den ich immer mehr zusteuere. Es ist ein angenehmes Gefühl, die Amplituden zwischen den Geisteszuständen werden immer kleiner.“ Höchste Höhen und tiefste Tiefen, Lautes und Leises: Zwischen diesen Extremen entfalten die Songs manchmal Gefühle von Hoffnung. So erinnert uns Jungstötter eindrucksvoll an die transformative Kraft von Musik.

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Das aktuelle Album von Jungstötter im Stream:

 

 

Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023. Hier bestellen.