The Singles


Kennen Sie das Gefühl, wenn jeder irgendwas von Ihnen wissen/gemailt/ausgedruckt haben und habenhaben will, alles möglichst „asap“, und Sie dabei nahezu durchdrehen, weil Sie ja mit dem Vollschreiben des Singleskastens beschäftigt sein sollten? Nein? Auch egal. Denken wir lieber an Patrick Cowley, das frühvollendete Disco-Hi-Energy-Proto-House-Produzentengeme. Hier die zweite Single aus dem 30 Jahre verschollenen Album CATHOUC von Patrick Cowley & Jorge Socarras. „Burn Brighter Flame“ (Macro/Word And Sound) im Original ist ein zeitloser, funky dahinschleichender Electro-Track mit ein paar hübschen Effekten. Der „Morgan Geist Edit“ bleibt nahe am Original, deutet aber die Vocals zu einer tribalistischen, eigenständigen Soundbeigabe um. Und der mysteriöse Oni Ayhun verwandelt „Memory Fails Me“in seinem Remix zu einem düsteren Avantgardetrack enseits aller Kategorisierungen.

95 Prozent aller zeitgenössischen Singer/Songwriter sind Mist, wird an anderer Stelle in dieser Ausgabe sehr richtig behauptet. Mary Epworth And TllC Jubilee Band gehören zu den anderen fünf Prozent. Obwohl die 32-jährige Britin mit der A-Seite ihrer zweiten Single „Black Doe“ (Hand Of Glory Records – UK-Import) längst wieder woanders ist als beim Singen/Songwriten. Dieses Lied ist so – positiv – zugeschissen mit Fuzzgitarren, Streichern, Banjo und 20 anderen Klangkrachspuren, dass wir meinen, die Yeah Yeah Yeahs seien auf LSD im 60er-Psychedelic-Modus hängengeblieben. Die B-Seite, das sakrale „Lean“ mit Stimme und Orgel, klingt traditioneller. Mary Epworth – haben wir gerade gelernt – ist die Schwester von Paul „Phones“ Epworth. Was für eine Familie. Verdammt.

Und jetzt nach Manchester. Kevin Gorman, Techno-DJ und -Musiker aus dem erweiterten Gigolo-Umfeld, kommt auf seiner aktuellen 12-Inch „Mikrowave 12“ (Mikrowave/Baked Goods) mit zwei Originaltracks und zwei Remixen. Das detroitige „Shakey Stripped“ wird in „Shakey Metal Beats“ auf ein abstrakes, eher industnalmäßiges Level gehoben. „Cyclic“ im „Peter Van Hoesen Remix“ ist dann ein düster grollender Avant-Techno-Track Das Beste, was Peter Krilder hat machen können, um dem kaffeehausigen Schatten der Vergangenheit zu entkommen: sich auf dem Gigolo-Label als Techno-Artist neu erfinden. Der Titeltrack von „Hard To Find“ (International Deejay Gigolo Recordings/Rough Trade), Kruders zweiter 12-lnch in diesem Jahr für das Heil-Label, hat über elf Minuten Zeit, sich von Detroit über Afrika nach Südamerika zu bewegen. Ganz großartig. „25 West 38th St“, nebenbei die alte Adresse von Nu Groove Records, ist eine Spur abstrakter, minimalistischer konstruiert, hat aber auch diesen speziellen Groove zu bieten.

Das Fusionsprodukt aus Modeselektor und Apparat, Moderät, mit der zweiten 12-Inch aus dem Album MODKRAT. Der „Untold Remix“ von „Seamonkey“ (BPitch Control/Kompakt) gefällt sich in freaky Effekthascherei, bevor er zu einem subsonisch magenmassierenden Breakbeatmonster mutiert. Breakbeat war ja nie weg, kommt aber wahrscheinlich trotzdem bald wieder. Der „Surgeon Remix“ verziert die spooky Atmosphäre mit metallischen Beats.

Kaum Disco in diesem Kasten. Bis jetzt. Retro/Grade, das Projekt von Serge Santiago und Tom Neville, arbeitet weiter an der Verzeitgeistigung von Italodisco, circa frühe 80er Jahre. „Zoid“ (Retro/ Grade), die zweite Veröffentlichung des Projekts, verfügt über eine oldschoolige Moog-Synth-Hookline, tiefe Sequencerbässe und schön-nervige Keyboardakkorde, dass Giorgio Moroder seine Freude daran hätte, wenn er das zu hören bekäme in seinem Palast in Los Angeles.

Man kann an The Pains Of Being Pure At Heart so einiges gut finden. Zum Beispiel die Konsequenz, mit der die vier New Yorker den Stil ihres identitätsstiftenden Coverartworks fortsetzen. So wie auf der „Higher Than The Stars EP“ (Fortuna Pop/Cargo). Aber dann gibt es noch die Musik auf dieser Sechs-Track-EP. Irgendwie feierlicher 80er-Jahre-Dream-Pop – auch für Menschen geeignet, die 80er-Jahre-Dream-Pop ganz fürchterlich finden. Weil jeder aus dieser Musik herausziehen kann, was seinen persönlichen SOern am nächsten kommt. Etwa die The-Cure-Synthesizer in „Higher Than The Stars“ (zu hören auf der CD in dieser Ausgabe), das Shoegazende in „103“, das Smiths-Poppige in „Falling Over“. Und einen Remix hat’s hier auch. Der „Saint Etienne Visits Lord Spank Remix“ überträgt das Retro-Indiehafte von The Pains Of Being Pure At Heart ins leicht Discoide.

Kennen Sie das Gefühl, von Pferden außeinandergerissen zu werden? Nein? Wir auch nicht. Thom Yorke aber schon. Beim ersten Track der Doppel-A-Seiten-Single „Feeling Pulled Apart By Horses“/“The Hollow Earth“ (XL Recordings) handelt es sich um eine Gemeinschaftsproduktion von Yorke mit Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, die für ein Radiohead-Album gedacht war. Die Komposition ist acht Jahre alt: militärmarschähnlicher Rhythmus, dekonstruierter Funk, elektronische Effekte von hohem Abstraktionsgrad. „The Hollow Earth“ als Überbleibsel der Sessions von Yorkes erstem Soloalbum THE ERASER auf der AA-Seite bleibt abstrakt. Nichts für Psychiatriepatienten.