Tin Machine


In großer Aufmachung berichtete die Lokalpresse von Gewinnern und Verlierern, von glücklichen Sekretärinnen, tottraurigen Studenten und genervtem Vorverkaufspersonal. Das einzige BRD-Gastspiel von David Bowies Tin Machine, exakt zwei Wochen vor dem Ereignis publik gemacht, hatte für entsprechenden Wirbel gesorgt: Die 1200 Karten waren im Handumdrehen ausverkauft.

Das heißt nicht ganz: Eine Privatradiostation, die unschönerweise den Namen dieser schönen Stadt für ein mittelmäßiges Programm mißbrauchen darf, hatte sich in die Präsentation der prestigeträchtigen Show eingeklinkt und – Eigenwerbung witternd – nochmal ganz „überraschend“ und natürlich direkt beim Sender 200 Tickets an gierige Abnehmer verteilt. Doch der befürchtete Ansturm am Konzertabend selbst blieb erstaunlicherweise aus, und auch die Schwarzmarktpreise purzelten rapide. Wurden anfangs noch bis zu DM 150,- gezahlt, so sollen später – die unsägliche Vorgruppe Metallic Traffic hatte schon fast ein Ende gefunden – in letzter Minute auch einige Tickets für ganze fünf Märker (!) den Besitzer gewechselt haben. David Bowie zum Dumping-Preis – wer hätte das gedacht?

Und wer gedacht hatte, er würde vielleicht doch die eine oder andere alte Nummer exhumieren… Nichts da, sieht man mal von einer doch leicht mißglückten Speed-Version ab, die Tin Machine Bob Dylans „Ain’t Gonna Work On Maggie’s Farm No More“ angedeihen ließen. Eine halbe Stunde vorher hatte Bowie, seine Kumpane im Schlepptau, lockeren Schrittes und gelöst lächelnd die Docks-Bühne betreten. Noch in die enthusiastische Begrüßung hinein die ersten Takte von „Amazing“ – und die erste kleine Überraschung: Er spielt doch Gitarre, eine dickbäuchige, alte Gibson, und immerhin so passabel, daß sie nicht negativ auffällt.

Doch das Fundament für Tin Machine-Musik legen andere. Insbesondere der bald mit bloßem Oberkörper agierende Hunt Sales sorgt schon mal für die halbe Miete: Mit der Manie eines Keith Moon und der präzisen Schwere eines John Bonham bearbeitet er sein Ludwig-Minimal-Kit. Das schon fast beängstigend normale Publikum (wo sind die Ziggy- und Thin White Duke-Jünger bloß geblieben?) zeigt sich mehrheitlich doch sichtlich irritiert von dieser harten und lauten Kost. Auch eine nicht gerade studioreife Country(!)-Version von „Bus Stop“, das gleich anschließend nochmal im LP-Normaldurchgang gereicht wird, hilft herzlich wenig, um einen musikalischen Konsens herzustellen, den Bowie selbst auch gar nicht will.

Nach dem orientierungslosen „Glass Spider“-Gefummel genießt er jetzt augenscheinlich die relative Anonymität einer potenten Krach-Kapelle, die ihn obendrein vor faulen Repertoirekompromissen bewahrt. Fast ausgelassen und manchmal etwas aufgesetzt schäkert er mit dem Tin Machine-Rest, kündigt erfreut eine neue Nummer des zusätzlichen Gitarristen Kevin Armstrong an und findet auch überhaupt nichts dabei, sich mal mit der Rolle des Background-Sängers zu begnügen.

Die Lichtregie setzt diese Suche nach „Normalität“ perfekt um: Kaum Farben, dafür schlichte weiße Scheinwerfer, die fast peinlich genau darauf bedacht sind, daß auch ja die ganze Band gleichmäßig ausgeleuchtet wird. Zuweilen ist gar nur der nackte Bühnenhintergrund illuminiert: Tin Machine als fünf gesichtslose, anonyme Schemen.

Nach gut einer Stunde hat der Spuk mit hübsch donnernden Versionen von „Crack City“ und „Under The Gold“ ein Ende. Zumindest das Volk direkt vor der Bühne verlangt nach mehr – eher ein stumpfes Identifikationsritual denn wirkliche Begeisterung für den musikalischen Kurs des Abends.

Doch Bowie läßt die Leute ein bißchen zappeln und verweigert sich dann auch hier: keine Zugabe, sondern Saallicht, erste Abbau-Aktivitäten und Nancy Sinatras „These Boots Are Made for Walking“ vom Band.

Bowie selbst hat seine Boots danach offenbar schnell ausgezogen: Auf der

Atter Show-Party in einem nahen St. Pauli-Schuppen waren „nur“ die anderen Tin Machine-Musiker zugegen – und die „Morgenpost“ klatschte enttäuscht „Kein Bowie – nur Sperrmüll“. Doch Müdigkeit und Medienvolk hin, „ungenießbare EMI-Bosse“ (O-Ton „Morgenpost“) her: Zum neuen „Einer wie Du und Ich“-Bowie wollte diese Extratour nicht recht passen.

Vielleicht war ja der Meister, entgegen der offiziellen Behauptung, er schlummere bereits im „Holiday lnn“, auch nur ein paar Blocks weitergegangen – in die Schwulen-Bar, deren Eingang nach wie vor ein 83er-„Let’s Dance u -Bowie-Porträt ziert…