Verflucht sei die Werbung… …aber können wir ohne sie leben?


„Anzeigen, nichts als Anzeigen!“ schimpft der Leser über seinem Leib- und Magenmagazin. „Das wird immer schlimmer!“ räsoniert er, überlegt, ob er sich dieses „Anzeigenblatt“ überhaupt noch kaufen soll. Er hält diesen ganzen Reklamerummel für total überflüssig. Nirgends ist man davor sicher, wo man geht und steht, wird man berieselt. Im Kino, auf der Straße, im Fernsehen, in Zeitschriften, Zeitungen und so weiter. Na gut, schaffen wir den ganzen Apparat, der den Konsumterror auf die Spitze treibt, doch einfach ab …

Das Straßenbild hat einiges an Farbe verloren. Alles sieht ein wenig nackt aus. Die Litfaßsäulen haben ihren Zweck eingebüßt. Man könnte sie ja zu Straßenkunstobjekten umfunktionieren. Schade nur, daß man jetzt überhaupt nicht mehr so recht mitbekommt, wo das nächste Festival läuft. Es gibt schon

viel zu wenige davon, die Veranstalter können das Risiko kaum noch tragen. Da sie mit Plakaten und Anzeigen nicht mehr werben dürfen, können sie ihre Rockkonzerte nicht mehr so publik machen, daß genug Leute kommen. Die Mund-zu Mund-Propaganda funktioniert eben nicht so mit.

Im Pressebereicht sieht’s traurig aus

Informieren kann man sich höchstens in den Pop-Zeitschriften, aber das ist auch nicht so einfach. Bis zum nächsten Zeitungskiosk (früher gab es an jeder Ecke einen) muß man ewig lange laufen, die meisten sind nämlich eingegangen. Das Geschäft mit der Presse rentiert sich nicht mehr. Die Auswahl der Tageszeitungen ist auf drei zusammengeschrumpft. Viele Verlage mußten ihre Pforten schließen. Wer gibt schon gerne 1,50 DM für ein Exemplar aus? Illustrierte kosten mindestens ihre 6 DM. auch hier ist die freie Wahl empfindlich eingeschränkt worden. Wieso? Produktionskosten und alles, was noch dazu gehört, um eine Zeitung am Leben zu halten, sind schon seit Jahren in derartige Dimensionen gewachsen, daß allein das Anzeigengeschäft den Endpreis für den Verbraucher noch tragbar machte. Da diese immensen Einnahmen jetzt versiegt sind, muß jeder Verlag die Mehrbelastung auf den Verbraucher abwälzen. Einige konnten allerdings auch so nicht mehr weiter existieren. So steht jetzt auch die einst gerühmte freie Meinungsbildung auf dem Pressesektor mit einem Bein im Grabe. Irgendwann wird es nur noch einen Verlags-Giganten geben, der den Markt kontrolliert …

Sorge um Arbeitsplatz

Einige Leute sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Die Absatzlase sieht plötzlich überhaupt nicht mehr rosig aus. Als die Werbung noch existierte, konnten die Hersteller ihre neuen Produkte der breiten Öffentlichkeit vorstellen. Der Verbraucher konnte sich informieren, ging ins Geschäft, kaufte, wenn er wollte, verhalf dem Geschäftsmann dadurch zu Gewinn, damit dieser wiederum seine Angestellten bezahlen konnte und deren Kaufkraft erhalten blieb. Aber jetzt hatte sich da einiges festgefahren.

Werbung hält das Wirtschaftssystem am Leben

Weiter brauchen wir dieses Spielchen nun nicht zu treiben. Jeder hat wohl begriffen, wo das Problem begraben liegt: Unser Wirtschaftssystem beruht auf dem Prinzip des Wettbewerbs. Einen entscheidenden Beitrag zur Wettbewerbsförderung liefert die Werbung. Sie informiert den Verbraucher und zwingt die Hersteller, ihre Produkte ständig zu verbessern, um konkurrenzfähig zu bleiben. Folge davon: Ein enormer Fortschritt zum Beispiel auf dem Gebiet der Technik. Stereo, Quadro, Kunstkopf … das romantische alte Trichtergrammophon hat nur noch für Liebhaber Bedeutung. Wer würde heute noch seine Stones einer alten Nadel zum Fraß vorwerfen? Apropos Platten: Die ständig verbesserte Aufnahmequalität ist nichts anderes als eine Folge des durch Werbung ständig rotierenden Vergleichskampfes. Dem haben wir ebenfalls die Faktoren unserer ständig wachsenden Bequemlichkeiten zu verdanken. Waschmaschine, Geschirrspülmaschine, schnelle Autos, naja.

Um in diesem Zusammenhang nochmal auf die Zeitschriften und Zeitungen zurückzukommen: Das Anzeigenvolumen darf natürlich einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten. Das ist sogar gesetzlich festgelegt. Die Grenze liegt hier zwischen 30 und 40 Prozent, die meisten richten sich jedoch nach dem unteren Wert. Außerdem – das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben – gibt es da noch das kollegiale Tauziehen zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung, die sich beide nicht über eine gesunde Ausgewogenheit vom redaktionellen und vom Anzeigenteil hinwegsetzen können. Und was vielen nicht klar ist: Ein umfangreicherer Anzeigenteil vergrößert prozentual den Platz für redaktionelle Beiträge. Und daß Anzeigen heute für das Überleben einer Zeitschrift (bzw. Zeitung) einfach unerläßlich sind (es sei denn, der Leser zahlt für den Musik Express nicht 2,50 DM sondern 6,50 DM), haben wir ja bereits erklärt.

Konsumterror

Konsumzwang, Konsumterror – diese Begriffe tauchen laufend im Zusammenhang mit Werbung auf. Inwieweit Konsumverhalten negativ durch Werbung beeinflußt wird, sollte vielleicht später noch einmal an dieser Stelle untersucht werden. Heute geht es einfach darum, die Notwendigkeit der Werbung für das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems festzustellen. Das Überangebot an Produkten führe zum Konsumzwang, heißt es. Überangebot in einer freien Form der Marktwirtschaft ist nicht selten auf unternehmerische Fehlplanung zurückzuführen – wer am Verbraucher vorbeiproduziert, kann auch durch Werbung nicht alle Ladenhüter aus den Regalen zwingen. Nehmen wir das Massenangebot von Schallplatten, das heute immer unübersichtlicher auf uns zukommt. Hier läßt sich bestimmt keiner etwas aufdrängen, was nicht seinem musikalischen Geschmack entspricht. Darum sammeln einige Künstler eben Goldtrophäen, andere kommen über eine Single nicht hinaus. Und wer mit seinem Geld haushalten muß, wird sich auch nicht jedes Jahr eine neue Honda kaufen, nur weil ihn die aufgemotzten Anzeigen so wahnsinnig beeindrucken.

Wie lautet der Satz eines Fachmannes: „In einer fortschrittlichen Gesellschaft sind die Wünsche der Verbraucher sehr vielfältig. Deshalb muß auch das Warenangebot vielfältig sein. Und die Werbung muß über diese Vielfalt informieren.“

Konsumzwang – diesen Begriff kann man auch mal von einer anderen Seite beleuchten. Es gibt Länder, da laufen die Leute in ziemlich einheitlichen Schuhen rum, wer auf Plateausohle mit 12-cm-Absatz steht, sucht vergeblich. Er wäre froh, wenn er nicht kaufen müßte, was ihm so einheitlich angeboten wird und stattdessen einmal unter 50 verschiedenen Modellen wühlen könnte. Ob ihm das wie Konsum-Zwang vorkommen würde …?