Platten – Schrank


Teil 1 der neuen Serie: Das Beste, was Indie, Folk, Electronica, New Wave, Psychedelia, Disco, Reggae, Jazz und Avantgarde zu bieten haben. 25 essenzielle Platten aus sieben Jahrzehnten. Streng subjektiv ausgewählt und besprochen vom ME-Plattenmeister.

1959

John Fahey

Blind Joe Death

John Aloysius Fahey (1939-2001) war der bedeutendste unbekannte Gitarrist der Musikgeschichte. Einer, der sich vom archaischen Folk und Blues über eine Art-Meta-Weltmusik zur Avantgarde entwickelte. Einhundert Exemplare ließ der 20-jährige Fahey auf eigene Kosten im Jahr 1959 von seinem Debütalbum pressen. Das Album – die erste Seite war dem imaginären Musiker „Blind Joe Death“, die zweite Fahey selbst zugeschrieben – mit Akustik gitarren-Soloaufnahmen von Folk- und Blues-Traditionals und Eigenkompositionen ließ bereits den ungewöhn lichen musikalischen Ansatz des Musikers erkennen, der später mit der Avantgarde der Avantgarde (The Red Crayola, Jim O’Rourke, Derek Bailey) zusammenarbeiten sollte.

1966

The Incredible String Band

The Incredible String Band

Ähnlich wie John Fahey transzendierte The Incredible String Band aus Schottland den Folk. Das von Joe Boyd produzierte Debüt wurde zwar mit traditioneller Folk-Instrumentierung (Gitarre, Mandoline, Banjo, Geige) eingespielt, doch ungewöhnliche Melodien, Instrumentalpassagen und Gesangsharmonien sorgten dafür, dass die Band im „Swinging London“ eine stattliche Untergrund-Fangemeinde gewann, die die Musik als Psychedelic Folk wahrnahm. Es war das einzige Album, dass die Band in Originalbesetzung – Robin Williamson, Clive Palmer, Mike Heron – aufnahm. Palmer kündigte kurz nach den Aufnahmen, es begann ein munteres Kommen und Gehen bei der Band, die – mit Unterbrechungen – bis 2006 existierte.

1967

The Red Crayola

The Parable Of Arable Land

Mit diesem Album begann die Geschichte einer der langlebigsten Untergrund-Bands aller Zeiten. Das Debüt von Mayo Thompson, Steve Cunningham und Frederick Barthelme wurde damals vom Label zeitgeistkonform als Psychedelic Rock vermarktet. Doch standen The Red Crayola der Avantgarde des 20. Jahrhunderts näher als den Hippies. Davon zeugen die „Free From Freakouts“, die den sechs Songs vorangestellt sind. Eine 60-köpfige Gruppe von Freunden der Musiker (The Familiar Ugly) erzeugte mit allerlei Geräuschmachern einen kakophonischen Lärm. Songs wie das hypnotische – und gerne gecoverte – „Hurricane Fighter Plane“ sowie „War Sucks“, Mayo Thompsons düsterer Kommentar zum Vietnam-Krieg, hatten aber durchaus ihre psychedelischen Qualitäten. Gastkeyboarder: Roky Erickson.

1967

Captain Beefheart And His Magic Band

Safe As Milk

Never mind Trout Mask Replica, here’s Safe As Milk. Es waren ja auf diesem Debütalbum schon alle Eigenschaften da, die bis heute der Kunst von Don Van Vliet (1941-2010) zugeschrieben wurden. Der Unterschied zu dem zwei Jahre später veröffentlichten und als Meisterwerk deklarierten Trout Mask Replica: Man kann Safe As Milk tatsächlich anhören. Wie Beefheart den Blues von Vorbildern wie Howlin‘ Wolf dekonstruierte, mit Anleihen bei Free Jazz, Doo-Wop, Pop und afrikanischer Rhythmik versah und darüber seine Vier-Oktaven-Stimme kreischen und brummen ließ, war damals und ist heute noch einmalig. Stets in diesem Zusammenhang zu erwähnen: Der 20-jährige Ry Cooder schrieb die Arrangements für zwei Songs und spielte Gitarre.

1968

Ornette Coleman

The Music Of Ornette Coleman – Forms And Sounds

Im Jahr 1962 zog sich Ornette Coleman, der Erfinder und Namensgeber des Free Jazz, zwei Jahre lang zurück, um klassische Musik beim Komponisten Gunther Schuller zu studieren. Eines der Ergebnisse des Studiums war dieses Album. Forms And Sounds nahm Coleman mit The Philadelphia Woodwind Quintet und The Chamber Symphony Of Philadelphia String Quartet auf – Kammermusik, die von der Melodik und Tonalität her an die frühe Avantgarde des 20. Jahrhunderts erinnerte, aber von den damaligen Hörgewohnheiten immer noch meilenweit entfernt war. Dazu spielte Ornette Coleman auf der Trompete – zwischen Blues-grundiert und free.

1968

Os Mutantes

Os Mutantes

Os Mutantes trugen ihren Namen zu Recht: Die Mutanten. Ihre Debütplatte war nicht just another Tropicália- Album, also die damals schon reichlich aufregende Fusion traditioneller brasilianischer Musiken und zeitgenössischer westlicher Rock- und Popmusik, sondern weit mehr. Vielleicht ist Os Mutantes das archetypische und letztgültige Psychedelic-Album, weil die Brasilianer mit der Musik auf ihrem Albumdebüt so weit gegangen waren, wie keine amerikanische und englische Psych-Band damals gehen wollte. Ein Mischmasch aus Bossa Nova, Heavy Psych Rock, musique concrète, verhalltem Folk, abgeranztem Space-Blues und Fieldrecordings inklusive Fuzzgitarren, Feedback, und Johann-Strauss-Sample.

1970

Annexus Quam

Osmose

Osmose von Annexus Quam ist eines von gar nicht so wenigen Alben, die auf dem legendären Ohr-Label des Musikjournalisten und „Kosmischen Kuriers“ Rolf-Ulrich Kaiser erschienen sind und die Zeit ohne größere Schäden überdauert hat. Annexus Quam gingen aus der Asche der im September 1967 gegründeten Düsseldorfer Hippie-Band Ambition In Music hervor. Das Debütalbum Osmose entstand im Jahr 1970 in Septettbesetzung. Eine kosmische, spacige Mischung aus Jazzrock, Psychedelia, Prog Rock und Free Form Freakout. Auf einem dichten Percussionteppich bahnten sich psychedelische Gitarrensounds, ätherische Posaunenklänge und meditative Flötentöne ihren Weg. Ein unbekannter Klassiker des sogenannten „Krautrock“.

1971

Ennio Morricone

Veruschka

Diese Musik erzählt von Villas mit Swimmingpool, italienischen Sportwagen, schönen, reichen Menschen in Schlaghosen und Minikleidern, die ständig Zigaretten rauchen und schon am frühen Nachmittag ihre Drinks einnehmen. Es ist der Soundrack zum Film „Veruschka: Poetry Of A Woman“, in dem Veruschka von Lehndorff die Hauptrolle spielt. Veruschka – Schauspielerin, Künstlerin und erstes deutsches „Supermodel“ – hat zur retrospektiven Glamourisierung der Sechziger und Siebziger Jahre einen erheblichen Beitrag geleistet. Genau wie die Musik des großen italienischen (Film-)Komponisten Ennio Morricone, der damit eines seiner besten Alben aufgenommen hat. Scheinbar leicht und locker komponierte fiebertraumige Orchestermusik mit diesen typischen Frauenchören und einem leichten Schlag ins Psychedelisch-Avantgardistische.

1972

Lee Perry & The Upsetters

Cloak & Dagger

Nächste Station: Dub. Die zwölf Songs auf Cloak & Dagger liegen irgendwo zwischen Instrumental-Reggae und frühem Dub. Sie stellen die große Kunst des genialen Madman Lee „Scratch“ Perry an einem Wendepunkt zur Schau. Noch war Perry ein Stückweit entfernt von den Cannabis-befeuerten irren Experimenten in der Echokammer, die charakteristisch für seine späteren Arbeiten werden sollten. Die Instrumentals geben ein frühes Zeugnis dessen ab, was später Dub genannt werden sollte. Alle Tracks fließen in einem relaxten Groove dahin. Zu relaxt wahrscheinlich für europäische Mainstream-Ohren. Um das Album für den englischen Markt attraktiver zu machen, wurden die Songs der britischen Version beschleunigt.

1973

Jean Michel Jarre

Les Granges Brûlées

Bevor der französische Synthesizerpionier Jean Michel Jarre zum Lasershow-gestützten Alleinunterhalter hinter einer Burg aus analogen Tasteninstrumenten wurde, hat er gar nicht so schlechte Musik gemacht. Les Granges Brûlées war Jarres zweites Album, sein erster Soundtrack und wurde drei Jahre vor seinem Millionenseller Oxygène veröffentlicht. Die Tracks hier bewegen sich zwischen musikalischer Landschaftsmalerei á la Ennio Morricone und zuweilen abenteuerlicher elektro-akustischer Experimentiererei. Den feinen Unterschied aber markiert der Synthesizer, den Jean Michel Jarre stellenweise schon so impressionistisch-melancholisch einsetzt wie auf seinen späteren Erfolgswerken.

1975

Van der Graaf Generator

Godbluff

1975: die erste Wiedervereinigung der Artrocker um Peter Hammill. Godbluff machte nicht da weiter, wo die Band vier Jahre vorher mit der Opulenz von Pawn Hearts (immer noch verwunderlich: 1971 Nummer 1 der italienischen Albumcharts) aufgehört hatte. Hammill wechselte zur elektrischen Gitarre, was in schönem Kontrast zu David Jacksons manisch gespielten Blasinstrumenten stand und der Musik Van der Graaf Generators eine bis dahin ungehörte Schärfe verlieh – man höre den Proto-Prog-Punk-Song „Scorched Earth“. Strukturell, musikalisch und textlich waren Van der Graaf Generator im Jahr von Godbluff allen Musikern, die sich die Genrenamen Art- oder Prog Rock ans Revers geheftet hatten, Lichtjahre voraus.

1976

Herbie Hancock

Secrets

Die Neugierde des Jazzpianisten Herbie Hancock an allen möglichen Musikrichtungen und sein Interesse an den technischen Möglichkeiten des Aufnahmeprozesses führten im Laufe seiner über 50-jährigen Karriere nicht immer zu restlos überzeugenden Ergebnissen. Das Album Secrets von 1976 allerdings ist eines. Ein Wunderding aus Jazz-Funk, wobei das „Jazz“ nur symbolisch gemeint ist. Hancock und seine siebenköpfige Begleitband spielen furztrockenen Funk, der seinen Groove aus den elektrischen Keyboards holt. Ein grandioser Moment: Hancock zerlegt seinen 1964er-Klassiker „Cantaloupe Island“ (auf dem Cover falsch geschrieben als „Cantelope Island“) in seine Bestandteile und setzt ihn jenseits der Erkennbarkeit wieder zusammen.

1978

David Murray

Let The Music Take You

Als der kalifornische Saxofonist David Murray dieses Album mit noch nicht einmal 23 Jahren aufnahm, war der Free Jazz schon vorbei. Die gescheiterte Idee von Freiheit aus einem vergangenen Jahrzehnt. Seine Protagonisten waren entweder tot (John Coltrane, Eric Dolphy, Albert Ayler) oder sie arbeiteten in ihren Aufnahmen die musikalische Vergangenheit vor dem Free Jazz auf, die nie Teil ihrer eigenen gewesen war (Archie Shepp, Pharoah Sanders). Was Let The Music Take You, aufgenommen am 30. Januar 1978 bei einem Konzert in Rouen, Frankreich, über den Status des liebenswerten Anachronismus erhebt: Mit akademischer Präzision hält Murray an der Idee der musikalischen Freiheit fest und liefert eine energiegeladene, atemberaubende Vorstellung.

1981

Logic System

Logic

Hideki Matsutake war in den Siebziger Jahren der Assistent des japanischen Synthesizerpioniers Isao Tomita und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts das „heimliche“ vierte Mitglied des Yellow Magic Orchestra. Im Jahr 1981 begann Matsutake eine Solokarriere unter dem Projektnamen Logic System. Das Debütalbum Logic erschien einen Monat nach Kraftwerks zukunftsweisender Platte Computerwelt, formulierte allerdings das, was Kraftwerk auslösen sollten, schon weitgehend aus. Logic enthält eine Art Proto-Elektro mit hymnischen Melodien, glockenhellen Sounds aus analogen Synthesizern zu mechanischenRoboterbeats. „Clash“, der Überhit des Albums, wurde unlängst von DJ Harvey ausgegraben und zeitgemäß aufbereitet.

1981

Conrad Schnitzler

Gelb

Während seine Zeitgenossen aus der „Berliner Schule“ (Tangerine Dream, Klaus Schulze) sich nach und nach als Interpreten einer romantisch-impressionistischen Synthesizermusik gefielen, blieb Conrad Schnitzler (1937-2011) auch auf Gelb dem Willen zum Experiment verpflichtet. Die zwölf nicht betitelten, sondern lediglich nummerierten Stücke des Albums waren zwischen flirrender Sequencer-Herrlichkeit, kühler Ambient-Ästhetik und gezielt gesetzten Schrägheiten positioniert. Schnitzler nahm die Musik für Gelb schon im Jahr 1974 auf und veröffentlichte sie, wie so viele seiner Arbeiten, zunächst auf eigene Rechnung in Kleinstauflage auf Cassette. Erst 1981 gab es die „offizielle“ Veröffentlichung auf LP.

1981

Patrick Cowley

Megatron Man

Disco-Erneuerer, Synthesizer-Pionier, Genie, Schwulenikone: Patrick Cowley (1950-1982) machte da weiter, wo Giorgio Moroder 1977 mit der Produktion von „I Feel Love“ für Donna Summer begonnen hatte. Er etablierte den Synthesizer als Hauptinstrument in der Disco-Hi-NRG-Dance-Music der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre. Das 1981er Album Megatron Man ist Cowleys bestes. Perlende Synthesizersounds, Drummachine, Kuhglocken, Gesang aus dem Vocoder – Patrick Cowley baute bereits vor 30 Jahren das Fundament, auf dem die zeitgenössische House-Music immer noch sehr gut steht. Wer bei LCD Soundsystem und anderen Acts der DFA-Posse den Einfluss Patrick Cowleys herauszuhören glaubt, liegt so falsch nicht.

1981

Lydia Lunch

13.13

Lydia Lunch, Sängerin, Poetin, Autorin, Schauspielerin – 13.13 war nach Queen Of Siam das zweite Soloalbum der im Staat New York geborenen Lunch nach dem Ausstieg bei Teenage Jesus & The Jerks. Nenn es New Wave oder No Wave oder Post Punk oder Avantgarde. Es ist dunkelgraue Musik, scheppernd, dissonant, quälend langsam, düster und morbide – und damit dem übergeordneten Thema des Albums angemessen, wie die damals von New York nach Kalifornien übergesiedelte Künstlerin in den Liner Notes erklärt: 13.13 sei zu verstehen „als Dokument der Hölle aus Gespenstern und potenziellen Serienkillern, die den Kalifornischen Traum in einen Alptraum verwandelt haben.“ Doch hinter all dem Krach versteckt sich eine Handvoll hervorragender Songs.

1983

Pylon

Chomp

Die großen Unbekannten aus der Stadt des großen Alternative-Hypes aus den Achtziger Jahren: Pylon stammen wie R.E.M, The B-52s und Indigo Girls aus Athens, Georgia, tauchten in der damals legendären Filmdokumentation „Athens GA – Inside Out“ auf, kamen aber trotz prominenter Hilfe – R.E.M. coverten ihren Song „Crazy“, Ex-Schlagzeuger Bill Berry hält sie für die „beste Rock’n’Roll-Band Amerikas“ – nie über verhaltenen Kultstatus hinaus. Das zweite Pylon-Album Chomp vermittelt mehr noch als das drei Jahre früher veröffentlichte Debüt Gyrate die Magie dieser Band. Hektischer, nervöser, verschlungener, dunkler Post-Punk mit Disco-Rhythmik enhanced, irgendwo zwischen den Talking Heads und Gang Of Four.

1984

Manuel Göttsching

E2-E4

Larry Levan, Resident-DJ im New Yorker Club Paradise Garage, spielte „E2-E4“ häufig am Ende seiner Sets. Der fast 60-minütige Track gilt als eines der einflussreichsten Stücke auf die zeitgenössische elektronische Musik. Der archetypische Proto-House-Track wurde von Manuel Göttsching, dem Gründer der Krautrock-Band Ash Ra Tempel, im Dezember 1981 aufgenommen, das Album aber erst drei Jahre später auf dem Label von Göttschings ehemaligen Ash-Ra-Kollegen Klaus Schulze veröffentlicht. Es geht um Repetition und die unmerkliche Variation eines Themas, das Göttsching mit Keyboards, Sequencer und Drumcomputer aufgenommen hatte. Ab der Hälfte kam sein Gitarrenspiel dazu. Ein zu seiner Zeit unerhörtes Stück Musik.

1986

Arthur Russell

World Of Echo

Im Verhältnis zu seinem kurzen Aufenthalt auf dieser Welt (von 1951 bis 1992) hat Arthur Russell ein gigantisches Werk hinterlassen. Der Disco-Innovator, House-Urahn, Avantgardist, Komponist, Produzent, Cellist und Multiinstrumentalist veröffentlichte das Album World Of Echo im Jahr 1986. Es war eine Sammlung von eher experimentellen Songs und Instrumentals, die Russell in den Jahren 1980 bis 1986 aufgenommen hatte. Im Vordergrund der Stücke steht Arthur Russell als Sänger und Cellist, der aus seinem Instrument abstrakte Klänge holt und darüber seine außerweltliche Tenorstimme legt. Im Track „Being It“ kommt dann alles Gute zusammen: die experimentelle elektronische Musik, das Cellospiel und diese überirdische Stimme.

1990

Sonic Boom

Spectrum

Als Peter Kember aka Sonic Boom sein erstes Soloalbum Spectrum veröffentlichte, war Spacemen 3, die legendäre Psych-Drone-Band aus den Achtziger Jahren, bei der er hauptamtlich Gitarre und Keyboard spielte, gerade dabei, an Heroin und anderen (Drogen-)Problemen zugrunde zu gehen. An diesem „Soloalbum“ war aber fast die gesamte Spaceman-Besetzung beteiligt, auch Jason Pierce (aka J. Spaceman, später Kopf der Band Spiritualized). Spectrum bietet eine gebremste Version des Psych Rocks aus den Hallräumen von Spacemen 3. Musik wie ein Fiebertraum auf schlechten halluzinogenen Drogen. Nach all den Jahren immer noch fantastisch: Sonic Booms Coverversion des Suicide-Songs „Rock’n’Roll Is Killing My Life“.

1994

Plastikman

Musik

Der in Berlin residierende anglo-kanadische DJ und Produzent Richie Hawtin ist eine der Schlüsselfiguren des Minimal Techno, der in den Neunziger Jahren aufgekommen ist. Das prosaisch betitelte Musik war das zweite Album von Richie Hawtins Alter Ego Plastikman nach seinem 1993er Full-Length-Debüt Sheet One. Plastikman verbindet auf Album Nummer zwei die Erkenntnisse des (damals noch nicht ganz auf die Spitze der Reduktion getriebenen) Minimal Techno mit verzwirbelten Acid-Lines aus dem Roland 303 Basssynthesizer. Sonische Experimente und Dancefloor-Tauglichkeit halten sich auf diesem Meisterwerk des Acid Techno die Waage. Musterbeispiel dafür: das fast 24-minütige „Medley“ aus „Plastique / Kricket / Fuk“.

2002

Derek Bailey

Ballads

Der Gitarrist aus Sheffield war einer der Vorreiter der europäischen Improvisationsmusik. Für ungeübte Ohren klingt das Werk Derek Baileys, der mit Sonic-Youth-Gitarrist Thurston Moore und Jim O’Rourke zusammengearbeitet hat, wie Anti-Musik: Die Pausen zwischen den Noten, die ungewöhnliche Behandlung der Saiten, das Schaben und Kratzen als Bestandteil der Musik. Nicht nur vor diesem Hintergrund war es eine Sensation, als Bailey im Jahr 2002 dieses Album mit Jazzstandards auf dem Tzadik-Label von John Zorn veröffentlichte. Weil einer wie Bailey keine Standards spielt. Der Reiz von Ballads liegt im Gegensatz der sanften, lyrischen Melodik, zu der der Gitarrist durchaus fähig war und seiner ureigenen Musiksprache. So erscheinen Standards wie „Stella By Starlight“, „Body And Soul“, „You Go To My Head“ und „Georgia On My Mind“ in einem ganz neuen Licht.

2008

Sons & Daughters

This Gift

Abgerechnet wird zum Schluss. Auch beim Indie-Rock-Hype der mittleren Nuller Jahre. Und manchmal bleiben nach der Abrechnung die übrig, die vorher niemand auf dem Zettel stehen hatte. Nach leichten Stilwechseln von Album zu Album schien die Band aus Glasgow mit dem gewissen Sixties-Twang ihren Meister gefunden zu haben. Und zwar in Bernard Butler, der dem dritten Album von Sons & Daughters eine fette und tighte Produktion verpasste. This Gift profitiert aber vor allem von der hochgradig wiedererkennbaren Stimme Adele Bethels, die der Musik von Sons & Daughters genau das richtige Maß an Glamour verleiht. Ein Album voller Singles. Ein drittes Album dazu. Das sollen andere erst einmal nachmachen.

2010

El Trio De Omar Rodriguez Lopez

Cienca de los Inútiles

Er ist als Gitarrist, Komponist und Produzent von The Mars Volta und vor allem auf eigene Rechnung nicht nur ein aktiv Musikbesessener, der einen unüberschaubaren Output vorweisen kann. Omar Rodriguez-Lopez ist als auch ein Musiktheoretiker mit einem enzyklopädischen Wissen. Was wiederum Auswirkungen auf sein Werk hat. Cienca de los Inútiles ist das ungewöhnlichste seiner circa zwei Dutzend Soloalben. Es gibt hier keine Fahrten auf der Prog-Kraut-Electro-Achterbahn sondern acht Songs mit ruhigem Akustik-Folk, der teils von psychedelischen Schlieren durchzogen wird. Im Mittelpunkt: der spanische Gesang der mexikanischen Sängerin und Schauspielerin Ximena Sariñana Riviera – in ihrem Heimatland ein Superstar.