Druck essen Seele auf


Was der Freitod des Torhüters Robert Enke und die Studentenproteste des Jahres 2009 miteinander zu tun haben - Ausführungen zu einer Antwort, die schon jeder kennt

Nachdem der Torhüter Robert Enke am 11. November 2009 seinem Leben auf einem Bahndamm nördlich von Hannover ein tragisches Ende setzte, da waren es plötzlich Sportreporter, die uns über eine bis dato offenbar völlig unbekannte Krankheit namens „Depression“ aufklärten und ein Lamento anstimmten über die gnadenlose „Fußballindustrie“ mit ihrem unmenschlichen Ethos der Leistung. Einem Ethos, der Enke davor zurückschrecken ließ, sich gegen seine vermeintliche „Schwäche“ behandeln zu lassen. Es trauerte dann ausgerechnet der Fußballfan, der zu Zehntausenden betroffen „Abschied nahm“ – wo doch jedes Kind weiß, dass niemand gnaden- und gedankenloser jede menschliche Schwäche niederbrüllt als der ordinäre Fußballfan.

Wenn er sich allerdings nicht gerade in der schützenden Gesellschaft Süd- oder West- oder etc.-Kurve weiß, dann spürt der ordinäre Fußballfan diesen allgegenwärtigen Druck durchaus auch am eigenen Leib, an der eigenen Seele. Dann ist er wirklich „betroffen“, und zwar selbst. Deshalb marschiert er ja ins Fußballstadion, um dort in der Arena Woche für Woche einem geradezu gladiatorischen Stellvertreterkrieg beizuwohnen. Hier ist man als Zuschauer immer auf der Seite der Gewinner oder der Verlierer, ohne einmal selbst Gewinner oder Verlierer sein zu müssen. Denn das ist es, wozu uns der postindustrielle Spätkapitalismus gerne erziehen würde, zu leistungstragenden Gewinnern —- oder almosenbedürftigen Verlierern.

Das Glück selbst wird uns täglich vor Augen geführt als etwas, das uns diese Gesellschaft in Form von Gehaltszetteln, Sonderangeboten oder Lottozahlen freundlicherweise bereitstellt. In diesem System sind wir erwünscht, solange wir konsumieren und damit den Laden am Laufen halten. Für das Unglück aber sind wir immer selbst verantwortlich, haben es nicht anders gewollt oder uns nicht ausreichend angestrengt.

Neben den Beschäftigten in sterbenden Industriezweigen (und natürlich den bereits vorhandenen Arbeitslosen) sind es vor allem die Studierenden, denen der Fahrtwind des beschleunigten Kapitalismus ins Gesicht weht. Im abgelaufenen Jahr wehren sie sich mit immer größeren Protesten dagegen, durch ein Rumpfstudium geprügelt zu werden, das niemandem etwas bringt – und nur dazu dienen soll, junge Menschen ohne Umwege in funktionierende Produktivkräfte zu verwandeln, um eine ominöse „Konkurrenzfähigk

Und diese Logik zwingt sich in unerbittlicher Konsequenz sogar schon einer Institution auf, die einmal dazu gedacht war, gerade über Um- und Irrwege das selbstständige Denken zu fordern: der Universität. Wobei die bittere Pointe darin besteht, dass nahezu alle Politiker den Demonstrierenden kleinlaut beipflichten, aber nichts daran ändern können. Längst hat sich nicht nur in Deutschland die politische Landschaft gespalten in jene, die sich als Gewinner sehen, auf der Welle reiten und für das angeblich Notwendige stimmen – und jenen, die durch den Rost fallen, im Ressentiment verharren und „Protestwähler“ genannt werden.

Natürlich ist auch die Popmusik, wie jede Kunst, schon vor langer Zeit in den hungrigen Mahlstrom der Marktwirtschaft geraten. Vielleicht ist ein Kurt Cobain mit seinen Depressionen genau daran gescheitert. Gerade weil es hier, wie in jeder Kunst, sensible Seismographen des unsichtbaren Bebens gibt, das unser aller Leben und Zusammenleben erschüttert. Wie textete Dirk von Lotzow von Tocotronic einst so schön: „Sag alles ab / Geh einfach weg / Halt die Maschine an und / Frag nicht nach dem Zweck“.

Klar, das mag leichter gesagt sein als getan. Aber immerhin ist es gesagt. Die zangenhaft zweckmäßige Gleichschaltung ist längst nicht so perfekt, wie ihre Nutznießer das gerne hätten. Und die Bäume werden wirklich auch von selber grün.