Willie Nelson :: One hell of a ride

Zum 75. Geburtstag des Country-Outlaws, dem zwischen Hillbilly und Reggae, Schnulze und Rock’n ‚Roll nichts fremd ist, erscheint diese gelungene Werkschau: vier CDs mit 100 Songs aus den Jahren 1954 bis 2007, dazu ein 100-seitiges Booklet -für Fans und Neueinsteiger gleichermaßen empfehlenswert.

„Remember the good times“, hat Willie Nelson einst auf dem 1971er Album yesterday’s wine gesungen, „they’re smaller in number and easier to recall.“ So sei es denn: Widmen wir uns also den guten Zeiten, widmen wir uns der Musik, den unsterblichen, großartigen, erhabenen Songs des Mannes aus Abbott, Texas, der am 30. April 75 Jahre alt geworden ist. Des Mannes, dessen Name auf mehr als 100 Alben prangt, dessen Karriere sich im sechsten Jahrzehnt befindet und der mit ihnen allen auf der Bühne oder im Studio zusammengearbeitet hat: mit Johnny Cash, Ray Charles, Bob Dylan, Merle Haggard, Emmylou Harris, Waylon Jennings, Kris Kristofferson, Jerry Lee Lewis, Dolly Parton, Tom Petty, Paul Simon, Keith Richards, Ryan Adams und Neil Young, aber – das soll hier nicht verschwiegen werden – leider auch mit Pfeifen wie Julio Iglesias und Kid Rock und Mainstream-Luschen wie Jon Bongiovi oder Sheryl Crow. Aber zurück zu den „good times“: Sein Label ehrt den großen, alten Country-Outlaw nun mit einer gelungenen Werkschau: 100 Songs aus 50 Jahren auf vier CDs, beginnend und endend mit „When I’ve Sung My Last Hillbilly Song“, Willie Nelsons erstem, Ende 1954 oder Anfang 1955 in einem winzigen Studio im texanischen Pleasanton aufgenommenen Cut -1:28 Minuten lang just the man and his guitar, amateurhaft, unfertig und doch bereits seltsam faszinierend. Über ein halbes Jahrhundert später spielte er den Track im eigenen Pedernales Studio erneut ein: Mit seiner großartigen Band im Rücken sinniert er noch einmal über die Liebe, das Leben und die Musik, die alles zu heilen vermag. Ein würdiger Schlusspunkt. Dazwischen: Songs, Songs, Songs, eigene und solche, die er sich zu eigen gemacht hat, viele aus der gern übersehenen frühen Phase, all die längst in Fleisch und Blut übergegangenen Outlaw-Hymnen der 70er und 80er und schließlich die Pop-nahen Tunes der Neuzeit. Kaum ein Keytrack fehlt, die Gesamtlaufzeit liegt bei mehr als fünf Stunden – und doch: Es ist immer noch zu wenig. Konzeptalben Wie PHASES AND STAGES, RED HEADED STRANGER und to lefty from willie hätten mehr Raum verdient, dito die unzähligen Kollaborationen, mit Cash, Kristofferson und Jennings unter dem Moniker Outlaws, die Duette mit Jennings, mit Faron Young, mit Ray Price, mit Roger Miller, mit Merle Haggard. Der Quell ist schier unerschöpflich, die Lücken sind unüberhörbar. Aber, ach, es ist dies das Manko einer jeden Kompilation eines jeden großen Künstlers. Darum seien wir nicht ungerecht: one hell of a ride ist diese Box allemal. Die Reise führt uns also zunächst von den allerersten Aufnahmesessions über die frühen Klassiker des Debütalbums … and then I wrote von 1962 („Hello Walls“, „Funny How Time Slips Away“, „Crazy“) bis hin zu yesterday’s wine (1971) und the words don’t fit (1972), in jene Ära also, da Master Nelson mehr oder weniger zwischen allen Stühlen saß: Der Country-Gemeinde war die deutlich vom Jazz beeinflusste Phrasierung ebenso suspekt wie Nelsons Hang zu komplexen Tunes, an der Rock-Gemeinde ging der vermeintliche „Hinterwäldlerkram“ immer noch beinahe spurlos vorbei. Mit shotgun willie (1973) begann sich der Meister äußerlich wie auch musikalisch dem Bild anzunähern, das so fest im kollektiven Bewusstsein verankert ist, dass es fast zum Klischee gerann: der Outlaw, der – das lange Haar zu Zöpfen geflochten und von einer Bandana gebändigt; einen Joint in der einen, die Gitarre in der anderen Hand und eine Bande herzensguter Herumtreiber als Begleiter – rastlos unterwegs ist, auf der Jagd nach den „good times“, dem nächsten Gig, dem nächsten Song. Es waren die goldenen Tage: Willie Nelson nahm ein Aufsehen erregendes Album nach dem anderen auf, von the troublemaker über red headed stranger (1975) bis hin zu stardust (1977), auf dem er Evergreens aus dem Great American Songbook („Georgia On My Mind“, „Stardust“) adaptierte und damit zu jener Zeit viel näher an Frank Sinatra war als etwa an Johnny Cash. Nicht alle mochten ihm auf diesem Weg folgen: Hörer, die „Whiskey River“ goutierten, fanden wenig Gefallen an „On The Sunny Side Of The Street“, wer Willie Nelsons kongeniale Version von Townes van Zandts „Pancho & Lefty“ schätzte, den befielen bei „To All The Girls I’ve Loved Before“, einem Duett mit dem Schnulzensänger Julio Iglesias, möglicherweise heftige Würgereize. Doch Master Nelson ließ sich niemals beirren, sein musikalischer Horizont kennt keine Grenzen. Anno 2006 veröffentlichte er sogar ein Reggae-Album, auf one hell of a ride exemplarisch vertreten durch Jimmy Cliffs „The Harder They Come“. „He was willing and able to sing anything and sound sincere doing it“, analysiert Nelson-Biograf Joe Nick Patoski trefflich in seinem Essay für das 100-seitige Booklet der Box, das überdies mit einer Reihe unveröffentlichter Fotos und einer informativen Track-by-Track-Liste glänzt. Dazu erzählt Willie Nelsons treuer Harmonikaspieler Mickey Raphael einige Schoten, ehe er angemessen ehrerbietig resümiert: „The thirty-plus years I’ve spent touring with Willie and Family would make a great movie, written by Steinbeck and directed by Fellini.“ Fair enough.

Discographie {Auswahl):

1952… And Then I Wrote (Capnol/EMI)

1965 Good Times (RCA/Sony BMG)

l973 Shotgun Willie (Atlantic/Warner)

1975 Red Headed Stranger

1977 To Lefty From Willie

1978 Stardust

1983 Tougher Than Leather

1993 Across The Borderline (alle Columbia/Sony BMG)

2004 It Always Will Be

2008 Moment Of Forever (beide Lost Highway/Universal)