Die Frau im Manne


Später Ruhm für Jimmy: Kim Basinger, Madonna, Stevie Wonder - alle lieben den 69jährigen Jazzer

If Shouldn’t Happen To A Dream“: Jimmy Scott weiß nur allzu gut, wovon er singt, gespenstisch intensiv, als ginge es um Leben oder Tod. Er verkörpert eine Ära des Jazz, die es selten besonders gut mit ihm gemeint hat. Erst seit kurzem lieben ihn alle, den mittlerweile 69jährigen, den erstaunlich viele für eine Frau halten, wenn sie ihn zum ersten Mal hören oder sehen.

„I Cried For You“: Jimmy Scotts zutiefst melancholische Balladen sind wie eine Droge, eine Droge allerdings, an die sich mancher erst einmal gewöhnen muß – weil er den Gesang für weinerlich hält. Seltsam brüchige Barmusik? Weit gefehlt: Wie Jimmy, von Geburt an mit femininem Falsett ausgestattet, all die unsterblichen Tin Pan Alley-Songs von Sehnsucht und Enttäuschung phrasiert, wie er Töne und Silben mit viel Vibrato dehnt und streckt, das ist eine eigenwillige Umsetzung von Lyrics, die für ihn so viel mehr sind als bloße Worte. Nicht umsonst zählen zu den Scott-Fans seit langem schon legendäre Sangesgrößen wie Stevie Wonder und Marvin Gaye, Liza Minelli und Nancy Wilson.

„So Long“: Als Lionel Hampton den Sänger 1948 für seine Big Band engagierte, sah es erst einmal bestens aus für die Karriere des damals 23jährigen. „Ich hatte Erfahrungen als Entertainer. Bei Lionel wurde ich zum Jazzmusiker.“ Es gab viel zu lernen – und wenig Geld. „Wir konnten kaum unsere Klamotten für die Auftritte bezahlen, obwohl Lionel sein Geld anständig aufteilte. Aber das habe ich erst später kapiert – wir waren ja immer mit 30 Leuten unterwegs.“

Und so setzte Jimmy auf den Erfolg als solo recording artist. Finanziell war das Unternehmen ein Flop: „Die falschen Manager, miese Verträge – ich hatte viel zu wenig Ahnung vom Business. Und schwarzen Musikern wollte damals sowieso niemand etwas über ihre Rechte erzählen.“ Jimmy arbeitete als Koch in einem Restaurant, trat in obskuren Lokalen rund um Cleveland auf, ging gelegentlich ins Studio, galt oft monatelang als verschollen – und übte sich weiterhin in Geduld.

„Laughing On The Outside“: Aber der Mann mit der Falsettstimme hielt unbeirrbar fest an seiner Art, hinter dem Beat zu singen, was das Tempo eines Songs radikal in Frage stellt. „Mitte der 50er fahre war ich mit dem Bassisten Charles Mingus im Studio. Zuerst kam er mit mir überhaupt nicht zurecht und schimpfte, er könne mit mir nicht arbeiten. Ausgerechnet ein großer Experimentator wie Mingus.“

„Dream“: 1962 schien sich der langersehnte Aufschwung endlich abzuzeichnen. Ray Charles buchte Jimmy Scott für sein „Tangerine“-Label, ließ Big Band-Arrangements für ihn schreiben, übernahm selbst die Produktion und den Pianistenstuhl. Aber „Falling In Love Is Wonderful“ kam nur für kurze Zeit auf den Markt: „Der Boß von Savoy Records, dem ich vorher verpflichtet war, drohte mit einer Klage“, sagt Scott. Ray Charles zog die Platte zurück – ein schwerer Schlag für Jimmy, der sie für das wichtigste Opus seiner good old days hält. Wieder folgten Krisenjahre, in

denen die Szene Jimmy Scott aus den Augen verlor.

„Someone To Watch Over Me“: Dieser Song stammt als einziger nicht vom neuen Scott-Album „Dream“. Er war ein Favorit seines Freundes Doc Pomus. Also sang Jimmy ihn 1991 auf der Beerdigung des legendären Songwriters. Dort hörte ihn Seymour Stein, der Chef von Sire Records (Madonna u.v.a.). Noch am gleichen Tag hatte Mr. Scott einen Vertrag in der Tasche. Er war in gute Hände geraten.

„I’m Through With Love“: In gute Hände zu geraten ist ihm beim weiblichen Geschlecht allerdings bis heute nicht gelungen. „Ich bekam es immer mit Frauen zu tun, denen der Glamour des Showbusiness letzten Endes wichtiger war als Jimmy Scott.“ Und das, obwohl sein Gesang und das zarte Äußere eines schüchternen Jungen unweigerlich Beschützerinstinkte mobilisierten. Bis in die späten 50er nannte sich der Kleinwüchsige „Little Jimmy“. Erst in den 60ern folgte ein später Wachstumsschub.

„Ifs The Talk Of The Town“: 1992 erschien „All The Way“, Auslöser für das große Comeback des in Vergessenheit Geratenen. Als „einsamer Klassiker“ wurde die mit Jazzgrößen wie Kenny Baron (p) und Ron Carter (b) eingespielte Sammlung von Evergreens gefeiert. Produzent war kein Geringerer als Tommy LiPuma. Eine 92er-Nominierung für den Grammy, Sparte „Best Jazz Vocal Performance“, rundete samt erfreulichen Charts-Notierungen das Bild ab. Und das unlängst erschienene zweite Album „Dream“ kann sich mit Junior Mance (p), Ron Carter (b) und Milt Jackson (vib) ebensogut hören lassen. Mitchel Froom (Los Lobos, Elvis Costello) sorgte als Produzent dafür, daß die geballte Ladung musikalischer Melancholie auch diesmal „scottish“ klingt.

„Don’t Take (Jimmy singt .teeheeek‘) Your Love With Me“: Mittlerweile kann sich Jimmy über mangelnde Anerkennung wahrlich nicht beklagen. Lou Reed lud ihn für „Magic & Loss“ ein. Kim Basinger und Alec Baldwin bestanden darauf, daß er bei ihrer Hochzeit („das war ganz intim, kein bißchen Glamour“) sein „At Last“ sang. Mit Bruce Hornsby stand er auf der Bühne, mit Bob Weir – und mit dem Avantgardisten Kip Hanrahan. David Lynch bat ihn zum Finale von „Twin Peaks“ mit einem Kurzauftritt als Geist und dem Song „Under The Sycarnore Tree“. Madonna, Flea und Clint Eastwood haben sich öffentlich als Scott-Fans geoutet. Nur eine Genugtuung blieb Jimmy Scott bislang vorenthalten:

„Ray Charles bekäme heute keine Probleme mehr, wenn er ,Falling In Love Is Wonderful‘ veröffentlichen würde. Er muß es nur wollen…“