Was ist schon normal?


Kate Nash gilt seit ihrer expliziten Pophymne „"Foundations" als Sprachrohr einer ganzen Generation von Mädchen. Der ME traf sie bei ihrer ersten Deutsch- landtour und fand heraus: Normal ist das nicht.

Der Hamburger Musiker Knarf Rellöm hat es in einem seiner albern-klugen Songs einmal etwa so ausgedrückt: Vor nichts müsse man sich mehr fürchten, als vor Musikern, die mit einer Fahne herumlaufen, auf der in großen Lettern geschrieben steht: „100-prozentig authentisch. Keine Show, alles total real. In echt jetzt.“ So gesehen müsste man vor Kate Nash eine Heidenangst haben. Seit ihr Song „Foundations“ und das Debütalbum Made of bricks im Sommer die britischen Charts und danach große Teile von Europa eroberten, sprechen alle über das neue Fräuleinwunder und loben besonders – genau, ihre außerordentliche Normalität und Natürlichkeit.

Das hat weniger damit zu tun, dass Kate Nash wunderbar verspielte, leuchtende Popsongs geschrieben hat, deren Charme man sich nur schwer entziehen kann. Es hat viel mehr damit zu tun, wie die 20-jährige Londonerin textet. Explizit. Direkt. Kämpferisch. Kate Nash beschreibt die Welt according to Kate Nash. Es ist eine Welt, in der käsegesichtige Lover herumtorkeln und die Turnschuhe ihrer Freundinnen vollkotzen. Es ist eine Welt, in der die tollen Typen immer mit den gut aussehenden, aber unterbelichteten Mädchen abziehen und überhaupt sehr viele männliche Hohlbirnen allerhand anstellen, meistens jedoch nicht das richtige.

Es ist die Welt aus der Sicht einer jungen Frau, die andere Frauen zu Heldinnen ihrer gesungenen Kurzgeschichten macht. Da gibt es eine stumme Melancholikerin, die sich eher einen Arm abhacken würde, als ihre Gedankenwelt zu öffnen („Mariella“). Und es gibt Frauen, die die kryptischen Komplimente ihrer Verehrer nicht verstehen. Es gibt Nächte vor dem Fernseher, viele Kannen Tee und eine Menge Flüche. Ein große Menge Flüche. Und auch ihr Mundwasser besingt Kate Nash. Und ihren Hintern. Und sie singt all das mit dem breitesten Londoner Akzent seit Mike Skinner. Außerdem trägt Kate Nash Größe 40 und kleidet sich am liebsten in Second-Hand-Shops ein. All das zusammen genommen hat dazu geführt, dass die junge Britin zur Anführerin einer neuen Normalität im Pop ausgerufen wurde. Aber: Was ist schon „normal“?

In einer kleinen Seitenstraße auf St Pauli fällt Kate Nash mit ihrem braunen Mantel, den rot-braunen, mehr oder weniger unfrisierten Haaren und ihrem Pappbecher-Kaffee tatsächlich so überhaupt nicht auf. Es ist ihr erster Deutschlandbesuch. Die Konzerte sind allesamt ausverkauft. Und das, obwohl made of bricks gerade einmal bis auf Platz 38 der Albumcharts kletterte. „Urgs, der Kaffee ist kalt“, sagt sie, als sie sich im Tourbus zum Interview hinsetzt, und verzieht das Gesicht zu einem Grinsen. Ich zünde innerlich ein paar Kerzen an, weil ich ganz entzückt darüber bin, dass sie auch im Gespräch so klingt wie in ihren Songs. Awesome accent! Der kommt insbesondere immer dann heraus, wenn sie sich aufregt. Und sie regt sich über vieles auf. Vor allem über Männer. Und Magazine, „die Mädchen verblöden“. Und falsche Vorbilder. Aber der Reihe nach.

2007 war ihr Jahr, und wie es ihr Jahr war. „Das ist alles ganz schön nervenaufreibend“, sagt sie und lacht. „Ich bin einfach ein Mädchen aus Harrow, das angefangen hat, ihr Ding zu machen. Es ist unglaublich, wie groß das alles geworden ist. Ich kriege das noch immer nicht richtig in meinen Kopf.“ Wie groß das alles geworden ist, lässt sich in Fakten schnell zusammenfassen: Ende November bekommt made of bricks in Großbritannien Platin, das entspricht immerhin 300.000 verkauften Alben. Zu ihren Gigs erscheinen Mädchen als Kate-Klone. Sie wird vom Magazin Q zum „Breakthrough Artist of the Year“ gewählt. Auch die großen Magazine in Amerika bereiten sich auf das neue Gesicht von der Insel vor und bringen Titelgeschichten, noch bevor das Album Anfang Januar in den USA veröffentlicht wird. Und nach dem Interview mit dem ME wartet schon die Dame von der Gala. Was ist denn da passiert? „Die Leute nehmen mir ab, was ich tue, weil ich ganz normal bin.“

Dann überlegt sie eine Sekunde und schiebt hinterher: „Ich bin nicht abgefuckt – noch nicht.“

Damit wird die vermeintlich normale Kate Nash als junge Frau im Showbiz jedoch fast schon wieder zur Ausnahme: „Dünn sein und Drogen nehmen, das ist es, was zählt.“ Eben. Kate hält aber nichts von Drogen. Als sie in einem Fernsehinterview gefragt wurde, was das Übelste sei, was sie jemals backstage gemacht hätte, antwortete sie „Stricken“ und ließ einen verdutzten Reporter im Regen von Glastonbury stehen. „Ich wollte schon früher nicht das machen, was alle tun“, sagt Kate Nash.

Das 20-jährige Mädchen aus dem Nordwesten Londons hat eine dezidierte Meinung zum heutigen Lifestyle junger Menschen im Allgemeinen und junger Frauen und Mädchen im Speziellen. Gerade ihre eigene Rolle als Vorbild beschäftigt sie: „Ob du’s willst oder nicht sobald du in der Öffentlichkeit stehst, bist du ein Vorbild. Ich glaube, dass es gut ist, dass es da draußen auch so jemanden gibt wie mich. Ich trage Größe 40 bis 42 und bin glücklich und gesund. In all den Magazinen werden so genannte ‚bigger girls‘ in ziemlich widerwärtiger Weise präsentiert. Nach dem Motto ,Oh mein Gott! Diese Frau ist wirklich gewaltig!‘ Sie erzählen den Mädchen, wie sie aussehen müssen, um einen Freund abzubekommen, und drei Seiten weiter verkaufen sie dir auf der Kummerkastenseite das Gegenteil davon: ‚Mach dir keine Sorgen um dein Gewicht… und ach ja, hier haben wir noch dieses Foto von einem Model im Bikini, sie trägt Größe 34 und sieht viel besser aus als du!‘ Ich habe viel als Babysitter gearbeitet, und mir haben siebenjährige Mädchen erzählt, dass sie Angst davor haben, zu fett zu sein. Das läuft alles so verdammt falsch!“

Auch mit einer anderen Gesetzmäßigkeit des Showbusiness tut sich Kate Nash schwer: „Ich bin umzingelt von Männern! Das ganze Business ist voll von ihnen.

Im Radio, im Fernsehen, im Management, bei den Produzenten, beim Label, in der Tour-Crew – überall nur scheiß Typen! Es ist seltsam und auch einschüchternd, immer die einzige Frau zu sein. Ich bin sehr dickköpfig und habe das Gefühl, dass ich jeden Tag kämpfen muss, weil ich fest dazu entschlossen bin, mich nicht in irgendwelche Ecken schubsen zu lassen. Ich bin jetzt eine größere Feministin als je zuvor.“

Das Selbstbewusstsein, Dinge beim Namen zu nennen, verdankt sie zu großen Teilen ihrer Mutter, erzählt sie: „Sie hat mich dazu erzogen, meine Meinung zu vertreten. Sie ist gebürtige Irin, Krankenschwester und sehr praktisch veranlagt. Sie sagt es laut, wenn sie etwas falsch findet, sie geht keinem Streit aus dem Weg und ist alles andere als ängstlich.“ Ihre Mutter war es auch, die Kate zu Konzerten irischer Folkbands schleppte. Auf langen Autofahrten legte sie Kassetten mit keltischer Musik ein. „Meine beiden Schwestern und ich haben immer gequengelt: ,Können wir nicht mal unsere Musik hören ?!‘ Heute bin ich froh, dass sie hart geblieben ist. Sie hat uns ja nicht genötigt, ihre Musik toll zu finden. Zu Hause hat sie einfach ihre alten Schallplatten aufgelegt, und dann tönten Carole King und Janis Joplin durchs Haus, und ich fragte sie: ,Was ist das denn? Hört sich super an!’Und dann erzählte sie mir etwas darüber. Meist endete es damit, dass ich mir die CD gekauft habe.“

Der Auftritt von Kate Nash am Abend im Hamburger Grünspan – umjubelt. Doch jubeln all die jungen Leute tatsächlich, weil Kate eine von uns ist? Weil sie als erste Stellvertreterin einer Generation normaler, junger Mädchen gesehen wird? Quatsch. Auch wenn Kate Nash so normal aussieht, normal gesund, normal hübsch und munter vor allem, offen und ehrlich Beziehungs- und andere Geschichten über normal doofe Typen und normal nervige wie herzerwärmende Erlebnisse vorträgt, und das in einer für Nordwest-London ausgesprochen normalen Sprache: So offen, lautstark und direkt sie das alles macht, das ist gar nicht normal. Diese Frau hat sich eine Aufgabe gegeben, und die ist ausgesprochen extraordinary: „Ich mache das alles für die Leute, aus Prinzip und um etwas zu verändern.“

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