A-Ha: Vertreibung aus dem Paradies


Teen-Idole dürfen nicht erwachsen werden. Daß sich die Fixierung auf das jüngste Pop-Publikum als fataler Bummerang erweist, mußten auch die ehemaligen "Bravo"-Lieblinge schwerzhaft erfahren. ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch klagten sie ihr Leid.

Ein überraschendes Bekenntnis: „Wir waren“, sagt Sänger Morten Harket, „nach STAY ON THESE ROADS drauf und dran, das Handtuch zu werfen. Total erschöpft, ausgebrannt, ohne Saft und Kraft, haben wir alle Maschinen gestoppt. Wir saßen in der Falle. Unsere Firma verlangte nach weiteren Hits, und die Fans reagierten auf musikalische Veränderungen eher zögerlich. Es schien keinen Ausweg zu geben.“

Scheinbar doch. Nach zweijähriger Pause hieß die Entscheidung: weitermachen! Allerdings unter geänderten Vorzeichen. Die Hauptforderung hieß: mehr musikalische Freiheit. Sodann verlangte man nach einem Image-Transfer: Das Bild der pflegeleichten Teen-Band sollte abgetragen, das der ernsthaften Musiker aufgebaut werden. Easier said than done, wie Morten gerne zugibt: „Es geht uns nicht darum, die bisherige Klientel zu verprellen. Sie haben uns zu dem gemacht, was wir sind. Wir werden auch weiterhin Autogramme geben und uns mit den Fans fotografieren lassen. Gleichzeitig muß gewährleistet sein, daß wir uns musikalisch verändern können, daß wir sinnvoll mit unseren Kräften haushalten, daß wir die Maschinerie bestimmen und nicht umgekehrt. „

Der klingende Beweis für die neue Ernsthaftigkeit liegt in Form des vierten Albums EAST OF THE SUN, WEST OF THE MOON vor. „Naiv wie wir anfangs waren“, fährt Morten fort, „dachten wir: ‚Klasse, je mehr Erfolg, desto mehr kreative Freiheit. Die Beatles haben’s vorgemacht und sich ständig weiterentwickelt. Wir erfuhren das Gegenteil: Es gab eine Formel, in der wir eine festgesetzte, unveränderliche Größe waren.'“

Keyboarder Mags Furuholmen erläutert: „Wir selbst haben durch Fotos, Videos, durch unser ganzes Verhalten zu diesem Image beigetragen. Wir paßten wunderbar ins Konzept: halbwegs exotisch, weil aus Norwegen, hübsch genug für ,Bravo‘ und ,Smash Hits‘, erfolgreich und daher lohnend für die Industrie. Vor dem Durchbruch bestand unser Leben darin, Songs zu schreiben, zu spielen, zu üben. Doch plötzlich wurde ein atemberaubendes Tempo an den Tag gelegt. Die Tourneen waren zuende, und wir hatten keine Songs. Es blieb keine Zeit zum Durchatmen. Es ist verrückt, aber EAST OF THE SUN ist endlich – nach zwei vergeblichen Anläufen – das Album, das wir als Nummer Zwei machen wollten.“

Morten hat am Tag des Interviews Geburtstag. Die seit Stunden wartenden weiblichen Fans überhäufen ihn bei seiner Ankunft mit Geschenken und suchen aufgelöst nach einem Kugelschreiber. Szenen einer Popgeschichte. Szenen, die Morten klaglos mitspielt.

„Wir haben keine Sündenböcke für unsere Situation, denn wir selber haben kräftig beim Bau dieses goldenen Käfigs mitgeholfen.“

Nach Äußerungen zu ihrer Musik schnappen sie gierig wie hungrige Hunde. Lobende Worte bringen sie aber nicht davon ab, das letzte Album herber Selbstkritik auszusetzen, Mags erinnert sich, daß es ihm Magenschmerzen verursachte, diese LP zu promoten, „Ich hatte den Journalisten am liebsten meine Zweifel mitgeteilt und war gleichzeitig gezwungen, voll dahinter zu stehen. „

Gitarrist Pal Waaktaar und Mags bilden die musikalische Achse, sind die Köpfe von A-Ha, die aber nicht umsetzen konnten, was sie dachten.

„Auf der Suche nach einem geeigneten Produzenten schickte man uns nach Amerika. Giorgio Moroder war der Mann der Stunde, ein Vorschlag unserer Firma. Wir saßen sinnlos zwei Tage herum und flogen schließlich zurück — fest entschlossen, diesmal unseren Kopf durchzusetzen. „

Dabei hatte anfangs alles auf ein Happy End hingewiesen. Ein nettes Pop-Märchen, wie es sich kein Scriptwriter besser hätte ausdenken können: Drei Nobodys aus Norwegen erobern im Handstreich die Musikwelt. Teen-Hysterie, Hit-Serien, Platin-LPs – flugs wurde die Wortmünze von den „skandinavischen Beatles“ geprägt. Hübsch waren die Boys, so hübsch, als habe sie ein PopRocky-Redakteur im Reagenzglas gezüchtet. „Diese Image wurde nach außen projiziert. In unserem Innern sah es ganz anders aus. Ab Band standen wir vor zwei Jahren vor der Entscheidung: do or die.“ Selbst solch abschreckende Beispiele wie aus der jüngsten Popgeschichte hielten A-Ha nicht davon ab, die Wende einzuleiten. „Sicher, Bands wie Daran Duran, die eine ähnliche Kundschaft bedienen wie wir, verzeichneten einen herben Karriereknick, als sie mit zunehmendem Alter seriöser wurden und ein neues Publikum zu erreichen suchten.“

Die Dame der Plattenfirma steckt den Kopf durch die Tür und formuliert den bedeutungsschwangeren Satz: „TV is TV“ A-Ha sind diesmal Teil des Musikprogramms von „Wetten, daß …“ Wie wird Strahlemann Gottschalk die drei Norweger präsentieren? Wie werden sich die Drei fühlen, die mir nach drei nichtssagenden Begegnungen diesmal dank ihrer vorhaltlosen Offenheit geradezu sympathisch werden? Pop-Götter, die aus dem Paradies fliehen, sind nun mal Deserteure. Wo liegt east of the sun, west of the moon ?