Amanda Palmer über das Klavier


Ob die Dresden Dolls nochmal tanzen werden, ist ungewiss. Amanda Palmer arbeitet jetzt solo und spricht über ihre zweite kaputte Beziehung: die zum Piano.

Wenn du morgens aufstehst und dich ans Klavier setzt welche Note spielst du als Erstes?

Amanda palmer: Ich mache das gar nicht. Ich spiele so gut wie nie einfach so. Ich bin morgens nicht oft in der Nähe eines Klaviers, weil ich selten zu Hause bin. Und auch dann bin ich normalerweise viel zu beschäftigt, um einfach so zu spielen. Meine Beziehung zu meinem Klavier ist eine echte Hassliebe.

Aber du schreibst deine Songs doch auf dem Klavier?

Meine Ideen bekomme ich normalerweise ganz woanders. Die entstehen in meinem Kopf, und ich setze mich nur ans Klavier, um sie rauszuholen.

Klavier ist ja eigentlich ein typisches Instrument, um von Noten zu spielen. Warum hast du das nie wirklich gelernt?

Ich war zu faul. Hatte keine Lust zu üben. Und ich war nicht auf Anhieb gut darin. Mir fehlen generell Geduld und Disziplin. Ich muss schon extrem an einer Sache interessiert sein, damit ich dran bleibe.

Und deine Eltern haben dir auch nicht in den Hintern getreten?

Nein, Musikmachen war immer ganz allein meine Angelegenheit. Üben war nie mein Ding, ich habe lieber meine Ohren benutzt und Stücke so ungefähr nachgespielt. Das ging viel schneller, als sie von Noten einzustudieren.

Das ist aber eigentlich viel schwieriger als Notenlesen.

Vielleicht habe ich es auch deshalb nie gelernt, weil ich beim Spielen auf meine Finger gucken muss. Wenn ich vorm Rechner sitze, ist es das Gleiche. Ich kann nicht nach Gefühl tippen, ich muss hinsehen. Wenn du aber von Noten spielen willst, musst du auf die Noten gucken und gleichzeitig spielen. Diese Fähigkeit muss man sich hart erarbeiten, wie eine neue Sprache.

Wenn du Musik denkst, stellst du dir die Töne dann auf Klaviertasten vor?

Nein, ich denke in Textfragmenten. Wenn ich eine Melodie im Kopf habe, habe ich normalerweise auch sofort ein Wort oder ein Satzstück, das damit in Verbindung steht. Aber wirklich erklären kann ich nicht, was da in meinem Kopf passiert. Kürzlich habe ich im Zug eine Jacke liegen lassen, meine absolute Lieblingsjacke. Ich bin echt sauer auf mich. Aber ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen dieser Unart, nicht aufzupassen, und andererseits offen zu sein für Momente, in denen neue musikalische Gedanken entstehen.

War das schon so, als du als Kind angefangen hast, Songs zu schreiben?

Meine Mutter kann da Geschichten erzählen. Sie hat mich oft rechtzeitig zur Schule geschickt, und ich bin trotzdem zu spät gekommen. Die Lehrer waren sauer, meine Mutter auch. Sie fragten mich jedes Mal, was ich in der Zwischenzeit getrieben hätte, und ich hatte jedes Mal keine Ahnung: „Ach, ich bin halt so rumgelatscht, hab‘ mir ein neues Lied ausgedacht…“

Und es gab niemanden, der sagte: „Oh, ein Genie, ein kleines Mozart-Mädchen?“

Nein, nein. Wobei, meine Mom hat mich immer unterstützt, obwohl sie keinen großartigen musikalischen Hintergrund hatte. Sie hat nur ein bisschen Klavier gespielt.

Das Klavier stand bei euch zu Hause?

Ja. Meine Mutter hat mir die Grundlagen gezeigt. Und sie fand es toll, dass ich so kreativ war. Da hatte ich echt Glück. Es gibt ja genügend Familien, in denen es heißt: „Vergiss die Musik, werd‘ Doktor.“

Es gibt aber auch das Gegenteil davon, also Eltern, die ihre Kinder zwingen zu üben.

Da waren meine Eltern ziemlich perfekt. Sie ließen mich tun, was ich wollte. Und sie gaben mir die Werkzeuge, die ich dazu brauchte. Als ich zwölf, 13 Jahre alt war, wollte ich ein Keyboard und einen Vierspurrekorder, um Demos aufnehmen zu können. Meine Mutter hat sich schlau gemacht, Zeitschriften gelesen und mir ein Casio-Keyboard und eine Fosrex-Vierspurmaschine gekauft. Und damit habe ich meine ersten Aufnahmen gemacht.

Hattest du Freunde, mit denen du das zusammen gemacht hast?

Nein. Musikmachen war immer ein sehr privater Teil meines Lebens. Keiner meiner Freunde machte Musik, ich hing nicht mit Musikern rum, ich war nie in einer Band.

Wolltest du nicht mit anderen Musik machen?

Nein, nicht wirklich. Ich war ja keine Bassgitarristin auf der Suche nach der passenden Punkband. Was ich machte, kam mir viel zu speziell vor. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass andere dazu was hätten spielen können.

Du hattest also auch nicht die Hoffnung, dass deine Musik einmal populär werden könnte?

Oh, in meiner Fantasie habe ich immer für Publikum gespielt, vom ersten Moment an. Aber ich dachte immer, meine Musik ist nicht gut genug, um sie anderen vorzuspielen. Ich musste erst Mitte 20 werden, ehe ich selbstbewusst genug war, um zu sagen: Okay, ich kann das, das ist gut.

Erinnerst du dich noch an deinen allerersten Moment auf der Bühne, nur du, das Klavier und das Publikum?

Ja, es war schrecklich. Ich war 18 Jahre alt. Ich hatte vorher Plakate aufgehängt und etwa eine Stunde Programm. Niemand kannte mich besonders gut, ich war eine Art Einzelgänger. Meine Schwester war da und ein paar Schulkollegen, insgesamt ungefähr 30 Zuhörer in einem Saal der Schule für mehrere hundert Leute. Ich habe die Show aufgenommen. Wenn ich mir das heute anhöre, finde ich es gar nicht so übel. Allerdings waren die Songs übertrieben dramatisch, und dementsprechend waren auch die Reaktionen. Die Leute waren nicht begeistert, die machten sich eher Sorgen um mich.

Was hattest du denn vorher für Erwartungen?

Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. Ich wusste nur, dass ich endlich mal auftreten musste. Die Zeit war einfach reif dafür.

Was für ein Klavier hast du zu Hause?

Einen Yamaha-Flügel.

Warum genau den?

Er ist ziemlich groß. Und wirklich derbe laut.

Auf Tour musst du allerdings dem Kurzweil-Stage-Piano benutzen. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen beiden Klaviertypen?

Das Stage-Piano ist absolut nicht subtil. Aber es ist laut. Und es gibt mir die Möglichkeit, geradeaus ins Publikum zu schauen, was bei einem normalen Klavier nicht geht. Außerdem ist es pflegeleicht. Akustische Klaviere kannst du lieben, aber du musst sie stimmen, du musst sie warten, das ist teuer. Ich habe für mich ziemlich früh entschieden, dass ich keine Pianistin bin. Es ist mir egal, ob ich auf einem Keyboard rumhacke oder auf einem richtigen Klavier, Hauptsache, es lässt sich problemlos mit der Soundanlage verbinden. Da bin ich ganz anders als Ben Folds, mit dem ich mein Album aufgenommen habe. Er würde nie mit einem Keyboard auftreten.

Deine Songs schreibst du aber in erster Linie mit und für Klavier.

Vor ein paar Tagen habe ich mir einen ausgedacht, der vor allem auf Gitarre und Schlagzeug basiert. Aber das Besondere am Klavier ist ja, dass du grundsätzlich alles damit machen kannst. Es ist ein Rock-Instrument genauso wie ein klassisches. Es wird interessant für mich sein, für meine nächste Platte mit einer Band zu arbeiten. Dann kann ich das Klavier auch mal ganz weglassen.

Du bist jetzt monatelang auf Tour. Vermisst du nicht manchmal deinen Flügel zu Hause?

Nein. Wir haben keine sehr enge Beziehung zueinander.

Du haust nur auf ihn ein.

Genau. Er ist nicht mehr als ein Werkzeug. Ich bin da ganz unsentimental. Das ist allerdings bei dem Steinway-Flügel, auf dem ich Klavierspielen gelernt habe, ganz anders. Da wäre ich völlig außer mir, wenn meine Mutter den weggeben würde. Er hat 150 Jahre auf dem Buckel und musste dringend restauriert werden. Aber dafür muss ich noch ein paar Platten verkaufen.

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