Blixa Bargeld, Architekt der Einstürzende Neubauten, über sein Leben von, mit und abseits der großen Kunst


Blixa Bargeld scheint entspannt. Er sitzt im Garten eines Münchner Cafes, nippt dann und wann am Weißwein und ißt Blattsalat mit Ziegenkäse. Trotz strahlender Sonne ist er in dicke schwarze Stoffe gekleidet; das Jackett hat ein dezentes Rechteckmuster, die Krawatte ist im Paisley-Stil gehalten. Er gibt sich „abgeklärt“, wie er sagt, weil er in München seinen fünften Interview-Tag absolviert und „alle Fragen schon gehört und alle Antworten schon gegeben hat“. Wir versuchend trotzdem…

ME/S: Täuscht der Eindruck, daß die deutsche Avantgarde manchmal schrecklich ernsthaft daherkommt?

Weiß ich nicht, ich gehöre nicht zur Avantgarde. Das ist doch wohl die Vorhut einer militärischen Abteilung, und wenn wir schon im martialen Jargon bleiben wollen, würde ich sagen, wir sind eher Deserteure. Außerdem gibt es bei uns viele eingebaute, versteckte Witze, die die Leute auch verstehen.

ME/S: Was treibt Blixa Bargeld denn so, wenn er keine Musik macht, zum Beispiel abends weggeht?

Ich gehe höchstens Essen, ins Kino, in Ausstellungen oder ins Theater. In Clubs gehe ich sehr, sehr selten. Und die Oper hasse ich nach wie vor. Das wäre sowieso die Lösung für alle kulturtechnischen Probleme, sparmaßnahmenmäßig: Einfach alle Opern dichtmachen, das würde schon viel helfen. Ansonsten bin ich der typische Bildungsbürger.

ME/S: Die Neubauten sind ja selbst ziemlich dicke drin im deutschen Kulturbetrieb … Das täuscht. Wir, die Neubauten, sind nicht dicke drin. Die einzelnen ja, insbesondere Mufti (Schlagwerker FM Einheit, Anm. d. Red.), weil er pro Jahr sechs oder acht Theatermusiken schreibt. Die Neubauten haben ja nur zweimal fürs Theater gearbeitet. Leider durften wir nie irgendeine Filmmusik schreiben, was ich sehr gerne gemacht hätte – aber wenn keiner kommt… Sie kaufen uns nur immer fertige Stücke ab, das ist viel billiger. Ich selbst habe allerdings schon mehrmals Filmmusik geschrieben, auch für größere Sachen.

ME/S: Was passiert denn an den Tagen, an denen Sie mal gar nichts zu tun haben?

Ich bin ganz glücklich, wenn ich mal ein paar Tage zuhause verbringen kann. Dann kann ich mich zurücklehnen und irgendwie – fernsehen. Das ist sehr angenehm. Aber so etwas halte ich nicht lange aus. Man gewöhnt sich – beispielsweise auf einer Tour – eine Hyper-Aktivität an, die man nicht so schnell ablegen kann, die Fähigkeit, sich zu entspannen, geht verloren.

ME/S: Ist Berlin als Stadt eigentlich besonders anregend?

Anfang der 80er war es das Non plus ultra. Es gab sehr viele Leute, die einfach machten: ein übergreifendes, wildes Treiben. Im Moment fängt Berlin gerade wieder an, anregend zu werden. Es sind viele Leute da, die etwas machen, ohne sich groß darum zu kümmern, wie es gemacht werden müßte. Es ist viel Bewegung drin. Die Techno-Szene fängt an, Kunstausstellungen zu machen, es gibt viel Interaktion.

ME/S: Wie war’s denn in Berlin vor fünf, sechs Jahren, als die sogenannte Wende passierte?

Ich bin West-Berliner. Für mich war die Situation in West-Berlin immer völlig normal. Ich war immer sehr zufrieden mit diesem Inselstatus, weil sich alles ansammelte, was progressiv in dieser Republik war. Ich war nur zweimal in Ostberlin: einmal zur Produktion von der ‚Bildbeschreibung‘ von Heiner Müller in der ‚Stimme der DDR‘ und einmal zur Premiere der ‚Hamletmaschine‘ im Deutschen Theater. Bei der Radioproduktion mußte sich Heiner Müller heftig dafür einsetzen, daß wir da rüberkonnten. Mir hat nichts gefehlt, als Ostberlin noch Ostberlin war. Die Wende war keine Wende in meiner persönlichen Geschichte. Das hat bestimmt für viele Menschen unheimlich viel verändert. Aber für mein persönliches Leben ist die Tatsache, daß da irgendsoein Club in der Nähe meiner Wohnung ist, in dem die deutsche Heavy Metal-Revolution stattgefunden hat und mir die Leute ständig in den Hausflur kotzen, viel bedeutsamer.

ME/S: Seit dem letzten Neubauten-Album ist relativ viel Zeit vergangen. (Das neue Album ‚Ende Neu‘ erscheint Ende August.) Woran lag’s?

Einmal im Jahr eine Platte zu veröffentlichen, wie andere Bands das tun, das haben wir nie geschafft. Das lag daran, daß eben jeder seine eigenen Projekte hatte und weil (langes Zögern) die Situation in der Band etwas verfahren war, die Kommunikation zu einem Totalzusammenbruch kam und die Arbeitsweise keine rechte Perspektive eröffnen wollte. Und das wichtigste: Mir ist einfach nichts mehr eingefallen.

ME/S: Woran liegt sowas? Ist die Band zu lange zusammen?

Ja. Zu alte Ehe. Sehr alte Ehe. Es war zwar alles o.k., aber es war nicht gut, es war nicht richtig, es paßte nicht wirklich. Ich sagte damals, jetzt haben wir nur noch zwei Konsequenzen: Entweder wir veröffentlichen das Machwerk so, wie es ist, und ruinieren unseren Ruf, oder wir veröffentlichen gar nichts und haben einen Berg Schulden. Ich hätte die zweite Lösung bevorzugt, aber ich kann den anderen nicht einen Haufen Geld dafür abverlangen, daß mir nichts einfällt.