Breakin‘ in beat street


Nach dem "Saturday Night Disco-Fever" nun das Breakdance-Fieber? Glaubt man den klotzigen Werbekampagnen, die uns in den nächsten Wochen zwei "authentische" Filme aus der New Yorker Subkultur ans Herz legen, so ist ein Ende der Hip-Hop- und Break-Welle noch gar nicht abzusehen. Doch Bedenken sind angebracht. Denn hier wie bei ähnlichen kulturellen Phänomen - gilt die Regel: Wenn Hollywood einen Trend "entdeckt", ist's mit Originalität und Authentizität oft vorbei.

Erst in diesem Jahr feiert die Straßenkultur aus New Yorks South-Bronx ihren Einstieg ins seriöse Filmgeschäft. Nachdem Außenseiterproduktionen wie „Wild Style“ in Pseudo-Untergrund-Manier den Hip-Hop für Fernseh-Features und Programmkinos ausschlachteten und etablierte Pop-Filme wie „Flashdance“ die Street-Kids als exotische Randerscheinung des amerikanischen Großstadt-Alltags in optisch-akustische Zuckerwatte verpackt ausstellten, scheint der Bann gebrochen.

Die „Major Companies“ in Hollywood haben erkannt, daß das vor wenigen Jahren noch auf die New Yorker Lokalitäten begrenzte Phänomen inzwischen weltweit vermarktbar geworden ist: Die Rap Music hat längst die Pop- und Disco-Charts erobert; die besten B-Boys tanzen nicht mehr auf der Straße, sondern als gut bezahlte Professionals in Video-Clips; und Graffiti hat bereits die höheren Weihen als Kunstform der 70er/80er Jahre durch umfassende Ausstellungen in einschlägigen Galerien erhalten.

Gleich zwei amerikanische Major-Produktionen wetteifern in diesem Sommer darum, „das erste authentische Kinobild“ der Szene gewinnträchtig an den Mann zu bringen: „Breakin'“, von Joel Silberg für die Cannon Group der israelischen Produzenten Menahem Golan und Yoram Globus inszeniert; und der von Harry Belafonte co-produzierte, von Stan Lathan inszenierte „Beat Street“, der für Orion Pictures Kasse machen soll.

Was in den Pressekampagnen zu beiden Filmen verschwiegen wird: daß sie die einstmals unkontrolliert und wild wuchernde Hip-Hop-Szene erst nach langjähriger Vermarktung und Domestizierung in anderen Medien zum Kinostoff erheben.

In „Breakin'“ liegt das Schwergewicht – wie der Titel schon erraten läßt – auf dem Breakdance. Im Mittelpunkt steht das weiße Mädchen Kelly (Lucinda Dickey), das mit der Arbeit in einem Hamburger-Lokal ihre Ausbildung als Jazz-Tänzerin finanziert.

Ihr Leben und ihre Karriereträume erfahren eine entscheidende Veränderung, als sie durch Vermittlung ihres Freundes Adam (Phineas Newborn III.) die street people „Ozone“ (gespielt von Adolfo „Shabba Doo“ Quinones, einem der Gurus der Breaker) und „Turbo“ (Michael „Boogaloo Shrimp“ Chambers) kennenlernt. Den artistischen Break-Einlagen von „Ozone“ und „Turbo“ gewinnt sie bald schon mehr Spaß und Respekt ab als dem von Franco propagierten sterilen Jazz-Tanz. Sie beschließt, mit „Ozone“ und „Turbo“ eine Breaker Crew zu bilden. Und gegen alle Hindernisse schaffen die drei es schließlich, die Stars eines Broadway-Stücks zu werden.

Authentizität, wenn man dieses hochtrabende Wort überhaupt in diesem Zusammenhang gebrauchen will, stellt sich in „Breakin“ über die bloße Anwesenheit dieser beiden Profis ein. Ihre brillant choreographierten (auch das ein Zeugnis der Domestizierung des Hip-Hop!) und präzise durchrhythmisierten Electric Boogie-Passagen dürften den armseligen Breakdance-Bemühungen „Bravo“inspirierter Jugendlicher hierzulande endgültig den Boden der Hoffnung entziehen.

Die von Regisseur Joel Silberg in dynamische Montage-Sequenzen umgesetzte Break-Artistik ist zweifellos der Höhepunkt eines Films, der unverblümt und direkt auf Entertainment aus ist. „Breakin“ leistet sich sogar die Extravaganz (und ist deshalb vielleicht aufrichtiger als „Beat Street“), seine Geschichte aus den Slums der South-Bronx in das sonnige Los Angeles zu verlegen – Hip-Hop à la Westcoast!

Der von Calypso-Altmeister Harry Belafonte co-produzierte „Beat Street“ nimmt sich da etwas ernster Belafonte scheint auf seine alten Tage den Hip-Hop als neues Betätigungsfeld für seine sozialpolitischen Weltverbesserungs-Aktivitäten entdeckt zu haben „Hip-Hop ist die Antwort der kleinen Leute auf die Elendssituation in den Ghettos; sie haben ihre Kreativität mit der nötigen Wut in eine neue Ausdrucksform umgesetzt, und die hat die Menschen in der ganzen Welt mit den Problemen der South-Bronx vertraut gemacht“, dozierte Belafonte in Hamburg bei der Präsentation des „Beat Street“-Soundtracks.

Ob der Film von Stan Lathan den sozialen Kontext der Hip-Hop-Szene nach den Vorstellungen des Produzenten Belafonte seinen Zuschauern vermitteln kann, bleibt abzuwarten. Zwar brüstet sich „Beat Street“ damit, alle Szenen des Films seien on location entstanden und ein Teil der Hauptdarsteller sei direkt von den Straßen der South-Bronx geholt worden, doch solche Oberflächen-Authentizität wird wohl nur in Hollywood als Realismus mißverstanden.

Geschichte und Konfiguration von „Beat Street“ folgen den vertrauten Mustern des Genres. Auch hier wieder: Die begabten Jungs von der Straße, die von ihrem großen Durchbruch träumen; auf der anderen Seite das nette weiße Mädchen aus der „anderen“ Kultur, das verständnisvoll an ihren Problemen und Vergnügungen teilhat. Mit fast enzyklopädischer Sorgfalt haben die Drehbuchautoren von „Beat Street“ in ihren Hauptfiguren den gesamten Querschnitt der Hip-Hop-Szene umrissen: Da ist einmal der schüchterne schwarze DJ Kenny (Guy Davis), der erst vor seinem Publikum richtig aus sich herausgehen kann. Sein jüngerer Bruder Lee (gespielt von dem 16jährigen Breaker-Profi Robert Taylor) ist ein begabter Breakdance-Erneuerer. Ihr Freund Chollie (Leon Grant) versucht das Talent der Brüder als Manager profitabel für sich zu vermarkten. Zu diesen dreien gesellen sich der Graffiti-Künstler Ramon (John Chardiet), der Percussionist Henry (Dean Elliott) und die Musikhochschülerin Tracy (gespielt von Rae Dawn Chong, der Tochter von Cheech and Chongs Tommy Chong).

„Das ist eine Art, West-Side-Story 1984“, beschreibt Harry Belafonte die melodramatisch angereicherte Geschichte. „Es ist kein Film nur über Breakdance, kein Film nur über Rap Music oder nur über Gefühle Es ist ein Film über die Leute, die diese Hip-Hop-Kultur erst zum Leben gebracht haben – über ihre Hoffnungen und Sehnsüchte. „

Orion Pictures hat in diese „Hoffnungen und Sehnsüchte“ immerhin fast 20 Millionen Dollar investiert – knapp die Hälfte davon allein für die Werbung. Aus der Straßenkultur Hip-Hop ist längst Big Business geworden, an dem von der Plattenund Filmindustrie bis zum bekannten Sportschuh-Hersteller alle profitieren wollen, die Hip-Hop vor wenigen Jahren noch belächelt haben.

Inzwischen lächelt niemand mehr „Breakin“ hat in den ersten drei Tagen über sechs Millionen Dollar in den USA eingespielt und wurde auf der diesjährigen Filmmesse in Cannes innerhalb von nur 12 Stunden in 36 Länder verkauft. „Beat Street“ soll in den USA mit 1000 Filmkopien gestartet werden Auch die Plattenbranche ist in diesen krisengeschüttelten Zeiten guter Dinge. Insider schätzen, daß von der „Breakin'“-Soundtrack-LP weltweit über fünf Millionen Stück abgesetzt werden können. Der exzellente Zusammenschnitt aus Disco, Funk und Rap, der so versierte Interpreten wie Ollie und Jerry („Breakin“), Hot Streak („Body Work“), Bar-Kays („Freakshow On The Dance Floor“) und Rufus mit Chaka Khan („Ain’t Nobody“) vereint, könnte somit an den Erfolg der „Flashdance“-LP herankommen, die er an musikalischer Substanz bei weitem übertrifft.

Das gleiche gilt für den „Beat Street‘-Soundtrack. auf dem u.a. Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force & Shango („Frantic Situation“) und Grandmaster Meile Mel and The Furious Five („Beat Street Breakdown“) zu hören sind.

Bei soviel Geschäftstüchtigkeit kann es nicht verwundern, daß die auf den Straßen der South-Bronx entstandene Hip-Hop-Szene allmählich ihre so spezifischen Konturen verliert Der ruppig-geniale Dilettantismus der frühen Jahre ist der artistisch geschliffenen Akrobatik professioneller Darbietungen gewichen; aus einer Bewegung ist Kultur, aus Spontaneität ist Kunst geworden. Von diesem Verlust handeln letztendlich die Breakdance-Filme dieses Sommers. Denn ein neues (Film-) Genre konstituiert sich immer dann, wenn eine Sache unwiderruflich verloren ist.