Bruce Springsteen – 17 Re-Releases


Die Vergangenheit der Zukunft des Rock'n'Roll": Die 17 Alben des Mannes aus New Jersey von 1973 bis 2002 sind jetzt als Japan-Editionen im "Mini-Vinyl-Look zu haben - ohne Bonustracks, aber reich an hochoktanigem Rock'n'Roll und ekstatischem Soulrock, kargen Folk- und ausgefuchsten Pop-Tunes.

Warum nicht mit Bill Shankly beginnen, dem legendären Teammanager des Liverpool F.C.? „Einige Leute denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich sage: Fußball ist wichtiger.“ Ersetzen Sie den Begriff „Fußball“ durch „Rock’n’Roll“ – und Sie haben einen Satz, den Bruce Springsteen einst blind unterschrieben hätte, auch wenn er in jungen Jahren so seine Erfahrungen mit blinden Unterschriften gemacht hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls lassen sich seine Alben mindestens bis born in the u.s.a. (seine Konzerte gar bis zum heutigen Tag) nicht anders verstehen denn als mitreißende, ekstatische, später gern auch stille bis weihevolle Hochämter des Rock, des Roll und des ganzen anderen Zeugs. Auf seinem Debüt greetings from asbury park, n.J. (Bewertungen in der Discographie) weiß der als „the new Bob Dylan“ gefeierte 23-Jährige aus Freehold, New Jersey, noch gar nicht so recht, wohin mit seiner Energie, mit all den Worten, den Tönen, den Songs, die ihm im Kopf herumschwirren, jeder Text ein Roman, jedes Tune ein Hymnus und alles zusammen das Manifest eines Außenseiters: „I had skin like leather and the diamond hard look of a cobra/I was hom blue and weathered but I burst just like a Supernova‘ – und die Band, bei der von den späteren E-Street-Band-Buddies nur Clarence Clemons und Gary Tallent mittun, lässt Soul, Rock und Folk auf großer Flamme köcheln. Der Nachfolger the wild, the innocent & the e street shuffle setzt da ein, wo greetings … aufhört, doch wirkt die Band tighter, derweil Springsteen als Songwriter tatsächlich wie eine Supernova explodiert. Sagen wir: Chuck Berry meets „West Side Story“. Und dann: born to run. Tausendfach gepriesen, in allen Bestenlisten ganz vorne geführt, bringt dieser Longplayer wie kaum ein anderer in der Rock-Geschichte den amerikanischen (Alb-)Traum auf den Punkt. Die Musik: fiebrig-furios. Die Songs: für die Ewigkeit. Danach lähmt ein Rechtsstreit den Rastlosen für drei Jahre, doch darkness on the edge of town, das erste Album mit der kompletten E Street Band – neben Clemons (sax) und Tallent (bg) noch Danny Federici (keyb), Roy Bitt an (p), Steve van Zandt (g) und Max Weinberg (dr) – steht dem epochalen Vorgängerwerk kaum nach, nur dass auf das Ungestüm, die Unbekümmertheit der frühen Tage erste Schatten fallen. Zwischen schwarzer Verzweiflung und aufgekratzter Jukebox-Seligkeit changiert die Doppel-LP the river, zunächst kaum goutiert, später indes rehabilitiert – zu Recht, denn sie enthält neben dem Titeltrack und dem Hit „Hungry Heart“ etliche andere gern überhörte, aber doch sehr großartige Songs. Nebraska ist demgegenüber ein Unterschied ums Ganze: Das grobkörnige Schwarzweißfoto auf dem Cover zeigt den Blick aus der Frontscheibe eines Autos auf eine triste Landschaft. Der Highway ist spätestens jetzt nicht länger ein Ort der Verheißung, sondern eine Hölle aus Schmerz, Einsamkeit und Agonie – und so hören sich auch die Songs an, die Springsteen auf einem billigen Tonband aufgenommen hat und in denen er ganz allein zur Gitarre von Serienmördern und Polizisten erzählt, von seinem Dad, der sich nur einen gebrauchten Wagen leisten konnte, und davon, dass es trotz allem immer einen Grund gibt, weiterzumachen. Die tröstlichste Textzeile stammt aus „Atlantic City“: „Put on vour stockings, babe, the night’s getting cold. Von Nebraska zu born in the u.s.a., das heißt: vom verwanzten Motelzimmer hinein in die überfüllten Arenen, vom kargen LoFi zum chromblitzenden Megaseller mit zwölf Songs, die trotz des überkandidelten Eighties-Sounds heute noch toll klingen. Die Highlights:

„Bobby Jean“! „Glory Days“! „Darlington County“! Dass die monumentale 5-LP-Box live 1975-1985 eine Zäsur bedeuten sollte, bekam man erst später mit. 40 Tracks, aufgenommen zwischen dem 18. Oktober 1975 und dem 30. September 1985, zeigen Bruce und die Seinen in all ihrer Glorie und Grandezza. Dagegen erstarrte tunnel of love, das erste Studiowerk nach dem Konzert-Paket, in abgeklärter Elder-Statesman-Attitüde, ist aber allemal noch „tougher than the rest“: die ’92er Doublette human touch oder lucky town etwa mit einigen hübschen Tunes und viel Studio-Routine. Womöglich fehlte schlicht die E Street Band, die auch auf dem eher leblosen MTV-Mitschnitt in concert durch Abwesenheit glänzt, greatest hits ist mit seinen gerade mal 18 Songs, darunter fünf ganz okaye neue (inkl. „Streets Of Philadelphia“), eigentlich ein Witz, the ghost of tom joad mit seinen Folk-informierten John-Steinbeck-Anmutungen dagegen ein bemerkenswerter „return to form“, derweil 18 Tracks, das Destillat eines 4-CD-Sets mit unveröffentlichten Songs, immerhin als interessante Werkschau durchgehen mag und live in new York city dank reaktivierter E Street Band wieder jenen Drive, jene Dynamik besitzt, an der es in concert so mangelt. Es kam der 11. September 2001, der Tag, da die Welt den Atem anhielt und ein Typ auf einem Parkplatz in New Jersey Springsteen zurief: „Bruce, wir brauchen dich, Mann.“ Ergebnis: the rising, eine beizeiten etwas platte, indes sehr anrührende Auseinandersetzung mit 9/11, eine Hommage an Opfer und Helfer, eine Meditation luch über Wut und den Wunsch nach Versöhnung: „May the living let uns in, before the dead tear us apart.“ Die Hoffnung, sagt man, stirbt zuletzt. Und immer geht es um alles – für Bruce Springsteen sowieso.

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