„Da war es oft punkiger, die Punks zu ärgern“


Die Wahl von Congratulations zur Platte des Jahres im ME war schon in trockenen Tüchern, als wir MGMT in München zum Blind Date trafen. So nutzten wir das Musikrate-Interview, um noch ein paar Hintergründe über unsere Lieblingsplatte 2010 einzuholen.

The Beach Boys

„Surf’s Up“

Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser: Yeah!

Andrew: Das Album Surf’s Up höre ich zur Zeit fast jeden Tag, zumindest Teile davon. Wundervoll. Es hat eine Weile gedauert, zuerst mochte ich nur „Surf’s Up“ und „Feel Flows“, aber mittlerweile hat sich mir die ganze Platte geöffnet. Ich hör meistens „A Day In The Life Of A Tree“. Aber auch „Disney Girls (1957)“ …

Sogar „Student Demonstration Time“?

Andrew: Haha! Okay, das eher selten.

Ben: Dieses Album, diese Art von Songs sind so uncool momentan. So etwas Naiv-Sentimentales, fast Kitschiges, aber sehr Tiefempfundenes. Wir würden uns freuen, wenn das heute mehr zurückkommen würde. Statt Emo und diesem Zeug – etwas Echtes, ohne Angst, auch mal cheesy zu werden.

Love

„The Red Telephone“

Andrew: Toller Song! Ich würde sagen, Arthur Lee ist ein ziemlich großer Einfluss für uns, nicht zuletzt wegen seiner verschiedenen Gesangsstile. Er hat so viele verschiedene Stimmen, derer er sich bedient. Von etwas Mick-Jagger-haftem bis hin zu so einer Art …affektierter englischer Psychedelic-Stimme.

Das ist mir an Eurer Platte auch aufgefallen. Man hat das Gefühl, es sind verschiedene Lead-Sänger am Start, auch innerhalb von Songs, zum Beispiel bei „Siberian Breaks“.

Andrew: Ich habe für mich nie das Gefühl gehabt, „okay, das ist meine Stimme, so klinge ich“. Ich passe mich eher dem Song an. Viele meiner Lieblingssänger tun das.

Nur Neil Young singt immer wie Neil Young.

Andrew: Fast. Auf On The Beach klingt seine Stimme ein gutes Stück tiefer. Weil er sich zu der Zeit honey slides reingezogen hat – Gras, verkocht mit Honig. Und er meint, das habe seine Stimme tiefer gemacht. Wenn du dir „See The Sky About To Rain“ anhörst, meinen Lieblingssong … (Der Song wird schnell auf iTunes hergezappt.) Das ist ziemlich tief für Neil Young. Gras mit Honig, das löffelt man und wird sehr stoned davon. Ich hab’s probiert, dreimal, aber dann war’s auch genug, haha!

Television Personalities

„I Know Where Syd Barrett Lives“

Andrew: Den Song haben wir mal live mit Dan Treacy (Kopf der TV Personalities – Anm. d. Autors) zusammen gespielt.

Ihr widmet ihm einen Song auf Congratulations. Wie habt Ihr ihn kennengelernt?

Ben: Texas Bob, sein Gitarrist, und Andrew hatten über MySpace Kontakt, irgendwann haben wir sie eingeladen, ein paar Shows mit uns zu spielen und seitdem sind wir befreundet. Dan ist einer der psychedelischsten Menschen, die ich kenne. Oder sagen wir: Er lebt das wahre Rockstar-Leben …

Andrew: Ich glaube nicht, dass es ein besonders starmäßiges Leben ist.

Ben: Nein, du hast recht. Nicht Rockstar. Er lebt den Rock’n’Roll! Das ist nicht unbedingt gut für seine Gesundheit, aber aufrichtig. Er hat einiges „echtes“ Zeug erlebt und durchgemacht, und er schreibt Songs über „echtes“ Zeug. Damit war er eine große Inspiration für unser Album – Songs über unsere Erfahrungen zu schreiben, aber nicht ichbezogen und selbstgefällig, sondern echt und aufrichtig.

Pink Floyd

„See Emily Play“

Ben: Oh, yeah.

Ich finde, Congratulations ist durchzogen von einer Art Syd-Barrett-Geschmack.

Ben: Ich hab sehr viel Barrett-B-Seiten gehört in der Zeit der Aufnahmen. Und natürlich „Arnold Layne“, das ist einer meiner Lieblingssongs … Das klingt hier auch ziemlich nach Joe Meek. Wir haben tonnenweise Joe Meek gehört …

Joe Meek And The Blue Men

„I Hear A New World“

… Na so was. Etwa DEN Joe Meek, den ich hier zufällig vorbereitet habe?

Ben: Ah! Den Song haben wir ewig oft gehört.

Andrew: Diese Mini-LP haben wir 2008 oft vor unseren Shows laufen lassen. Als Pete – Sonic Boom – (Peter Kember alias Sonic Boom, Ex-Spacemen-3 und Produzent von Congratulations – Anm. d. Autors) nach Malibu kam, brachte er ein Boxset mit Sachen mit, die Joe Meek produziert hat.

Ben: Und das sind beileibe nicht nur so seltsame Sachen wie das hier, sondern einfach tolle, schöne Songs. Solche Sachen waren sehr wichtig – Barrett-Floyd, Joe Meek, Electric Prunes … Du hast nicht zufällig einen Electric-Prunes-Song dabei?

Leider nein.

Ben: Schade. Was viele dieser Aufnahmen gemein haben, sind so seltsam verrutsche Aufnahmelevels. So klingen „richtige“ Bands eigentlich nicht, wenn man moderne Standards anlegt. Da ist mal das Schlagzeug total leise und man hört nur die Snare und ein Becken, und der Bass und der Gesang sind zu laut … Sehr psychedelische Herangehensweisen, Sounds zusammenzubauen, für die sich heute keiner mehr die Mühe macht. Es gibt vorgefertigte Muster, wie etwas zu klingen hat.

Andrew: So eine weichgespülte Vorstellung von einem „60s-Sound“, ohne Ecken und Kanten. Wir wollten gern Fehler drinlassen, Lautstärkeschwankungen … Auf dem nächsten Album treiben wir das vielleicht noch weiter. Sonic Boom dabeizuhaben, war sehr hilfreich. Wenn er uns Songs vorspielte, auch, wenn wir sie schon kannten, klangen sie auf einmal anders. Wenn er da mit einem sitzt, hört man die Sachen geradezu mit seinen Ohren.

Wie ist der so – Sonic Boom?

Andrew: Wie ein Cartoon. Ein psychedelischer Weltkriegs-Kampfpilot-Cartoon. Großartiger Typ.

the Deep Freeze Mice

„Polanski’s Dog“

Andrew: (nach einer Weile) Deep Freeze Mice?

Eine Lieblingsband von Euch, hab ich gelesen. Aber wer zum Teufel sind The Deep Freeze Mice?

Ben: Der Cousin meines Vaters ist Plattensammler und arbeitet für ein Label. Wenn sie ein Re-Issue planen von einer obskuren Platte, und die Masterbänder sind nicht mehr aufzutreiben, dann ist er derjenige, der eine mint-condition-Vinylscheibe von dem Album zu Hause hat, eingepackt in säurefreies Papier. Er ist ein besessener Plattensammler, und sein Spezialgebiet sind britische Underground-Sachen aus den Achtzigern. Einmal hat er mir einige Sachen vorgespielt und da waren auch The Deep Freeze Mice dabei. Das eine Album haben wir oft gehört … ein langer Titel … War, Famine …

Andrew: War, Famine, Death, Pestilence …

Ben: … And Miss Timberlake.

Andrew: Wir haben viel so englisches Achtziger-Zeug gehört. TV Personalities, klar. Cleaners From Venus. Monochrome Set …

Ben: In den Achtzigern gab es speziell in England Massen von Bands, die vom Punk kamen und fasziniert waren von der Psychedelic-Musik der Sechziger und die diese zwei Sachen auf sehr coole Art kombiniert haben. Das waren so die Schlaffis der Punkszene – die Typen, die nicht hardcore genug waren, um „echte Punks“ zu sein.

Jonathan Richman

„I’m Straight“

So wie der hier?

Andrew: Ja! Total!

Ben: Einer der coolsten Performer überhaupt.

Andrew: Ich hab letztens ein Video gesehen von ihm aus den späten Siebzigern, bei so einer großen Punkshow, und er spielt „I’m A Little Dinosaur“ und krabbelt auf dem Boden rum und wackelt mit dem Hintern – haha! Eigentlich total punk. Aber die Punks waren wohl eher verwirrt.

Ben: Es gibt viel „Punkmusik“, die schon auch gut ist, aber nicht besonders originell. Da war es doch oft punkiger, die Punks zu ärgern, ihre Vorstellung von Coolness infrage zu stellen.

Genesis

„Supper’s Ready“

Jetzt mal was ganz anderes.

Andrew: Genesis?

Ben: Hör ich eher selten. Aber unser Drummer Will ist letztens total auf The Lamb Lies Down On Broadway abgefahren.

Andrew: Ich glaube, ich mag lieber Genesis P-Orridge (englischer Performance-Künstler, Musiker und Schriftsteller – Anm. d. Autors) als Genesis, haha!

Keinerlei Neigung zu Genesis? Das wundert mich jetzt.

Andrew: Wenn, dann waren die späteren Genesis ein Einfluss auf uns, ganz am Anfang, mit dem superpoppigen Zeug. Das war mehr unser Ding. Wir wollten ja so richtig alberne Popmusik machen … Und dann wurden wir ganz seriös psychedelisch, haha!

Dieses Stück ist 23 Minuten lang und wohl so entstanden, dass die Band verschiedene Parts und Ideen hatte und diese dann mit Übergängen und Zwischenteilen zu dieser langen Suite zusammenbaute. War das bei Eurem Zwölf-Minüter „Siberian Breaks“ ähnlich?

Ben: Nein, das war eher ein linearer Prozess. Wir fingen mit dem ersten Teil an und schrieben einen nächsten. Und noch einen. Und noch einen. Bis der Song rund war. Er ist durchkomponiert.

War es denn Euer Plan, einen langen Song zu machen?

Ben: Gar nicht, wir gingen uns schon gegenseitig auf die Nerven: „Mann, der wird wirklich lang, was machen wir hier eigentlich?“

Andrew: Das war so gegen Ende unseres Aufenthaltes in diesem kleinen Häuschen in Upstate New York. Es war saukalt und wir bekamen langsam Lagerkoller. Und dieses Stück wollte kein Ende nehmen!

David Bowie

„Sons Of The Silent Age“

Andrew: Ist das King Crimson?

Oh! Leider nicht.

Andrew: Ich liebe King Crimson. Ist es Roxy Music?

Nein, aber ein Ex-Roxy hat’s produziert.

Andrew: Brian Eno. Ah, Bowie! Welches Album ist das?

Heroes.

Andrew: Die Platte ist das A und O für Sonic Boom, wenn es um Bowie geht. „V-2 Schneider“ und so.

Ben: Es wird ja oft angenommen, diese seltsamen Instrumental-Geschichten auf Heroes und Low, das sei Eno gewesen. Aber in Wahrheit war es Bowie, der da mit Synthesizern rumflippte.

King Crimson

„In The Court Of The Crimson King“

Hier, als Rausschmeißer. Welche Phase von King Crimson magst Du am liebsten?

Andrew: Das kommt drauf an. Ich liebe die ersten Platten sehr. Aber ich mag auch die Mittsiebziger-Crimson sehr, mit Bill Bruford, die zum Teil fast nach Metal klingen, mit den mehrspurigen Gitarren, sehr heavy und einfacher, weniger Genudel. Red zum Beispiel.