Das Geheimnis der Bulgarischen Stimmen, München, St. Lukas


Wehe dem, der mit „neuer Chormusik“ eine größere Kirche an der Isar füllen will—es sei denn, es ist der Chor des Bulgarischen Rundfunks und als „Le Mystere Des Voix Bulgares“ zur Zeil des Trendes liebstes Kind. Die zwei Dut2end Frauen von bodenständigem Aussehen und fortgeschrittenem Alter können ja nun wahrlich nix dafür, daß sie von den zeitgeistigen Medien im Wiener-Tempo zur Speerspitze des Ethno-Trends erkoren wurden.

Blues des Balkan? Eher die unerträgliche Seichtigkeit des In-Seins. Wo bei Ofra Haza das Arabische in homöopathischer Verdünnung die Disco-Suppe würzt, singen die mysteriösen Stimmen aus den Dörfern um Sofia die vertrackteste Folklore diesseits des Bosporus, ohne dabei auf westliche Hörgewohnheiten zu schielen.

Zeitgenössische Arrangements und Kompositionen sind da nur dezente Fortschreibung einer „unerhörten“ Tradition. Wo schon die alten Weisen ungerade Metren und Skalen jenseits von Dur und Moll aufweisen, so klingen die neuzeitigen Ansätze mit ihren enggeführten Stimmsätzen und Vierteltontrillern zunächst für hiesige Ohren kaum noch nachvollziehbar.

All das kommt mal sanft daher, als wär’s ein Weihnachtslied, mal unversöhnlich schrill und bis in die nur scheinbar folkloristischen Kiekser artifiziell. Doch selbst dann lächeln die Bulgarinnen naiv und unschuldig und fassen sich bei den Händen.

Gelegentlich tritt eine von ihnen zum Solo vor, wird begleitet von vier Burschen, die optisch zur nächsten Dorfkirchweih passen würden: als Schiffschaukel-Anschieber. Wenn dann Flöte. Fiedel und Dudelsack Tänzerisches anstimmen, ist ausnahmsweise die Volksmusik fast im herkömmlichen Verständnis präsent. Sonst aber ist dies Konzert tatsächlich vor allem ein Mysterium: Stimmen, als wären sie nicht von dieser Welt — ein beängstigend perfekter Klangkörper. Obwohl diese Frauen angeblich kaum Noten lesen können, scheint ihnen keine noch so komplizierte Harmoniefolge zu abenteuerlich. Weshalb die Voix Bulgares mit dieser außergewöhnlichen Tournee auch sicher noch nicht das Ende der Fahnenstange

erreicht haben. Wenn sich die zeitgenössischen Komponisten, die für den Chor zusätzliches Material schreiben, selbst überbieten, dann sind von diesem Chor noch ungeahnte Überschreitungen des ohnehin schon außerordentlich weiten Horizonts zu erwarten.