David Byrne


Es ist ein langer Weg, der vom verschwitzten Rock 'n' Roll-Urviech zu einem Mann wie David Byrne führt. Der Kopf der Talking Heads ist vermutlich das, was sich Intellektuelle unter einem exemplarischen Rockmusiker vorstellen: ein durchgeistigter Individualist, der Musik unterm Mikroskop seziert. Doch der Schein trügt: Byrne ist weit davon entfernt, in barer Kopflastigkeit aufzugehen. Nicht ohne Grund heißt ihr bemerkenswerter Musikfilm "Stop Making Sense". Was dabei herauskommt, wenn ein Intellektueller seinen Intellekt über Bord werfen will, erfuhr Bernd Gockel in einem Gespräch, das er mit Byrne in London führte.

ME/Sounds: Euer Film „Stop Making Sense‘ hat wohl so viel Lob und Zustimmung gefunden wie kein Musikfilm zuvor. Gab es eigentlich Filme, die dir als Vorlage oder Orientierungshilfe gedient haben, sagen wir Martin Scorceses „The Last Waltz“?

Byrne: „Scorceses Film hat mir gut gefallen, zumindest was die Kameraarbeit betrifft. Neil Youngs ,Rust Never Sleeps‘ war auch ganz lustig. Das sind aber schon die einzigen, die mir spontan einfallen. Ich habe eine ganze Menge gesehen, aber da ist wohl nicht allzu viel hängengeblieben.

Nimm beispielsweise den ,Altamont‘-Film der Rolling Stones: Wenn da nicht die Szene wäre, in der ein Zuschauer ermordet wird, würde man sich vermutlich an gar nichts von diesem Film erinnern. So makaber das klingt: Die Produzenten haben sich vermutlich die Hände gerieben, daß sie einen Mord auf Celluloid hatten. Aber so weit wollten wir nun doch nicht gehen.

(lacht) Gerade im Falle der Talking Heads schien es angemessen, sich allein auf die Musik zu beschränken: keine Backstage-Szenen, keine ausgefallenen Kameratricks.“

ME/Sounds: Nun wird ja gemunkelt, daß bereits der nächste Film in Planung ist, diesmal – erstaunlicherweise – eine Komödie. Kannst du darüber schon sprechen oder darf der Schleier noch nicht gelüftet werden ?

Byrne: „Ja, ich möchte eigentlich noch nicht darüber sprechen. Er soll in einer texanischen Kleinstadt spielen.“ (Byrne, so war zu hören, verkörpert darin einen Radio-DJ mit magischen Kräften, der von der unbedarften Bevölkerung als Heiliger verehrt wird.) ME/Sounds: Aber du wirst selbst eine Rolle spielen?

Byrne: „Aber die werde ich so klein wie möglich halten.“

ME/Sounds: Warum?

Byme:“Weil ich eigentlich mehr Interesse habe, ein Image zu kreieren, Charaktere zu entwickeln – als selbst eine Rolle zu spielen.“

ME/Sounds: Also keine Ambitionen à la , David Bowie, neben der Musik auch als Schauspieler zu glänzen?

Byrne: „Meine Ambition besteht eher darin, Musik und Film miteinander zu verbinden: zum Filmstar fehlt mir wohl doch die nötige Veranlagung. Sicher, notfalls kann ich’s machen; ich habe gerade eine Rolle in einem Fernsehfilm gespielt. Aber ich möchte nicht alles andere aus der Hand geben, nur um ,Ein Filmstar‘ zu sein.“

ME/Sounds: Ich habe gerade ein internes PR-Video gesehen, das du für deine neue Plattenfirma gemacht hast. Da schlüpfst du doch in verschiedene Rollen und Verkleidungen. Also muß es wohl so etwas wie eine schauspielerische Ader in dir geben ?

Byrne: „Das war so etwas wie eine Parodie: Ich habe mir selbst die Fragen gestellt, die man gewöhnlich von Journalisten und Plattenleuten zu hören bekommt und sie dann in einer anderen Verkleidung beantwortet. Dahinter steckte wohl der unrealistische Wunsch, auf solche Fragen in Zukunft verzichten zu können.“

ME/Sounds: Thema Videoclip: Es mehren sich ja die Stimmen, die den Overkill durch Musikvideos beschwören. Daß man als regelmäßiger Konsument etwa des amerikanischen MTV-Channels einen rapiden Realitätsverlust erleide, wenn alle diese Video-,, Realitäten“ über einem zusammenbrechen …

Byrne: „Und es wird alles einander immer ähnlicher. Es gibt Bausteine in diesen Videos, die immer wieder verwendet werden.“

ME/Sounds: Gibt es ein Licht am Ende dieses Tunnels?

Byrne: „Wohl nicht. Aber es gibt in den USA immerhin andere Shows und Musik-Kabelkanäle, die sich nicht auf diesen Einheitsbrei beschränken, sondern auch ausgefallene Ideen vorstellen. Vermeiden läßt sich dieser Betäubungsprozeß aber wohl nie. Das ist wie beim Radio: Immer wieder lamentieren die Leute darüber- aber freuen sich dann doch, wenn ihr Lieblingssong gespielt wird.“

ME/Sounds: Besteht bei euch denn der kreative Drang. Videos zu produzieren oder folgt ihr da dem Wunsch der Industrie, das Produkt auch optimal zu vermarkten?

Byrne: „Natürlich tun sie das, aber das ist nicht das Kriterium, ob man Videos machen sollte oder nicht. Es gibt Musiker, die im Video absolut grauenvoll herüberkommen: und es gibt andere, die am besten sofort aufhören sollten, Musik zu machen, um sich voll auf die optische Seite zu konzentrieren.“

ME/Sounds: Namen wirst du wohl nicht nennen wollen?

Byrne: „Nein.“ (lacht) ME/Sounds: Wie siehst du denn generell die Zukunft des Videos? In Deutschland etwa haben wir ja noch nicht diese 24-Stunden-Berieselung, aber…

Byrne: „… es treibt die Leute in den Wahnsinn. Viele Leute lassen das Fernsehen konstant laufen – so wie andere das Radio. Aber die Wirkung ist natürlich erheblich stärker; diesem Flimmern und Blitzen kann man sich überhaupt nicht entziehen, wenn das Gerät einmal eingeschaltet ist.“

ME/Sounds: Laurie Anderson meinte kürzlich, die Gefahr läge wohl vor allem in diesem Aspekt: Hört man einen Song zum ersten Mal in Verbindung mit einem Video, wird man später immer wieder die Bilder des Videos mit diesem Song assoziieren. Die Phantasie wird völlig ausgetrocknet.

Byrne: „Absolut. Richtig.“

ME/Sounds: Und wo wird das hinführen ?

Byrne: (lange Pause) „Nun, das Problem ist ja nicht das Medium Video als solches, sondern die Stereotypisierung, die in diesen Videos stattfindet. In einem Video zu einem Lovesong, einer Ballade, wird in neun von zehn Fällen ein gutaussehendes, langbeiniges Model mitspielen. Und dieses Mädchen hat vermutlich wenig Gemeinsamkeiten mit deiner Freundin, die gerade neben dir vorm Fernseher sitzt. Auch wenn du später den Song im Autoradio hörst, wirst du nicht plötzlich diese Gefühle auf deine Freundin projizieren. Das Video hat also gar keinen Bezug zu deinem wirklichen Leben. Aber vielleicht ist es ja gerade das, was viele Leute daran lieben …“

ME/Sounds: Regisseur Julien Temple sagt voraus, daß PR-Clips aufgrund der immensen Produktionskosten künftig ohne Sponsoren nicht auskommen werden. Wenn sich also ein Musiker die Zähne putzt, wird da früher oder später unweigerlich ein „Colgate“ aufblitzen…

Byrne: „Ganz sicher. Und es gibt noch einen anderen Effekt, den dieser Video-Overkill zumindest in den USA auslöst: Die Werbung wird mittlerweile im gleichen Stil wie die Videos produziert; ob das ein Jeansoder Auto-Commercial ist oder ein Spot für Kinder (,Morgen fängt die Schule wieder an‘) alles tatatata, der gleiche Stil, die gleiche Schnittfolge, die gleichen Farben.

Manchmal sitze ich zu Hause, drehe mich zum Fernseher um und denke: ,Hey, von welcher Gruppe ist denn das Video? Verdammt gut gemacht!‘ Und dann stellst du plötzlich fest, es ist nur die Werbung!“

(lacht) ME/Sounds: Aber fragst du dich denn nicht, welche Rolle du in diesem Spiel zu spielen gedenkst? Kannst du dir nicht vorstellen, daß die Zuschauer einmal die Nase vollhaben und auf den Knopf drücken?

Byrne: (lange Pause) „Nein, glaube ich nicht. Aber ich glaube, daß viele Leute eine Alternative begrüßen würden – etwas, das nicht immer wieder in die gleiche Gefühlskerbe haut. Das Video als solches ist nicht negativ, sondern die Gleichförmigkeit und Berechnung, mit der es gemacht wird.“

ME/Sounds: Wie wird das nächste Video der Talking Heads aussehen?

Byrne: „Ich möchte eins machen, das nach genau diesem Raster ausgerichtet ist, über das wir gerade gesprochen haben: Ich möchte nur Produkte zeigen, nur Gegenstände, die man kaufen kann – ganz wie ein Commercial. Es soll den Prozeß also umkehren: Es ist kein Commercial, das den Eindruck eines Musikvideos zu erwecken sucht, sondern ein Musikvideo, das wie ein Commercial wirken will.“

ME/Sounds: In Deutschland hat etwas Ähnliches einmal die Gruppe Trio gemacht, die Anzeigenraum auf ihrem Plattencover verkaufte und…

Byrne: „Wirklich?“ (lacht) ME/Sounds: Und sie…

Byrne: „Haben Leute denn Anzeigen geschaltet?“

ME/Sounds: Ja. Die Überlegung, die dahinterstand, war wohl die, daß man den Produktcharakter gar nicht erst schamvoll verbergen wollte, sondern den Spieß einfach umdrehte.

Byrne: „Interessant. Und welche Art Anzeigen waren das?‘ (Zeigt sich an weiteren Details interessiert.) ME/Sounds: Verlassen wir einmal das Thema. Gibt es andere Aktivitäten – die Talking Heads einmal ausgenommen – die dir unter den Fingernägeln brennen?

Byrne: „Ich habe an der Oper von Robert Wilson mitgearbeitet. Das gesamte Werk ist zwar nie aufgeführt worden, wohl aber der Teil, an dem ich mitgearbeitet habe. Ich hoffe, daß es 1985 in Europa aufgeführt wird. In Köln gab es ja bereits eine Teil-Aufführung. Die Musik, die ich dafür schrieb, bestand nur aus Bläsern und einem Schlagzeuger.“

ME/Sounds: Wird das als Platte erscheinen?

Byrne: „Wahrscheinlich bald. Ich muß nur noch die Bänder mischen.“

ME/Sounds: Kannst du eigentlich Noten lesen?

Byrne: „Nein, ich habe die Musik auf einer dieser 4 Track-Cassettenrecorder aufgenommen. Ich habe die Grundstrukturen am Klavier ausgearbeitet – und sie dann jemandem gegeben, der sie auf Papier brachte.“

ME/Sounds: Was waren eigentlich die dümmsten oder auch die unangenehmsten Fragen, die dir je in einem Interview gestellt wurden ?

Byrne: „Gestern habe ich ein Telefon-Interview nach Österreich gemacht. Man fragte mich: .Warum haßt du die Zivilisation?‘ Er hatte das Booklet der letzten LP gelesen – und dort stand irgendwo: ,Civili sed people walk funny.‘ Weiß der Teufel, wie er aus diesem Satz seine Schlußfolgerung gezogen hat.“

ME/Sounds: Und die unangenehmsten?

Byrne: „Vor Jahren gab es immer Gerüchte um menschliche Probleme in der Band. Und wenn jemand darin herumstocherte… Wir hatten damals eine Platte gemacht, die wir alle sehr liebten ME/Sounds: Welche war das?

Byrne: „REMAIN IN LIGHT. Und keiner der Journalisten – zumindest in den USA sprach über die Platte, sondern meinte, im Schmutz graben zu müssen.“

ME/Sounds: Gibt es eigentlich Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Band, was das Engagement in Filmprojekten betrifft?

Byrne: „Ich glaube, das läuft alles sehr reibungslos. Ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben, nicht allzu sehr meine eigenen Wege zu gehen. Was das nächste Talking Heads-Album angeht, so habe ich zehn Songs geschrieben – allerdings nur sehr skizzenhafte Songs. Ich werde sie ihnen vorschlagen – und dann werden wir sehen, was sie daran verändern möchten. Die Songs sind da, aber die Arrangements, die Details fehlen noch. Das ist die Aufgabe der Band. Ich hoffe, daß im Frühjahr die Aufnahmen im Kasten sind.“

ME/Sounds: Hat der erste kommerzielle Erfolg (mit „Burning Down The House“) irgendetwas an eurem musikalischen Ansatz verändert?

Byrne: „Nun, wir hätten vermutlich eine andere Single ausgekoppelt: die Plattenfirma nahm mir die Wahl ab. Das war völlig okay mit mir; ich war nur überrascht, daß diese Nummer so viel Erfolg hatte.“

ME/Sounds: Ich sprach gerade mit einem hohen Tier deiner Plattenfirma und fragte ihn: ,Welche Frage hättest du spontan auf der Zunge, wenn du ein Interview mit David Byrne machen müßtest?‘ Er sagte: ,Warum fragst du ihn nicht, ob er wohl auch einen so kommerziellen Knüller schreiben werde, wie David Bowie das mit LETS DANCE tat…‘ Byrne: (Lacht) „Einige der neuen Songs könnten sicher erfolgreich sein, aber ich kann das eigentlich nie beurteilen. Sie sind sicher nicht unkommerziell, aber…“

ME/Sounds: Versuchst du bewußt, einen Song etwas aufzupolieren, damit er vielleicht den Weg zu einer größeren Anzahl von Ohren findet?

Byrne: (lange Pause) „In einer verschrobenen Art und Weise vielleicht – ja. Einer der neuen Songs klingt wie ein netter Country & Western-Hit. Vielleicht entwickelt er sich ja zum Killer bei den amerikanischen C&W-Stations. Er heißt „People Like Us“.

(lacht) ME/Sounds: Gehe ich recht in der Annahme, daß es sich da eher um eine Parodie handelt Byrne: „Nein, vielleicht kann man es als Parodie verstehen, aber es ist ehrlich gemeint.“

ME/Sounds: Hat es eigentlich bösartige Kommentare von Musikerkollegen gegeben, die euch den Schritt von der Kultgruppe zum kommerziellen Erfolg vorgeworfen haben?

Byrne: „Hm. Ich glaube nicht. Andere Musiker scheinen noch immer sehr freundlich und aufgeschlossen zu sein.“

ME/Sounds: Begriffe wie „kommerzieller Erfolg“ und „Entertainment“ scheinen

auch heute nicht mehr die Schimpfworte zu sein, wie sie es vor vielleicht sechs oder acht Jahren waren. Selbst für Leute, die einmal aus der Subkultur kamen, scheint es inzwischen weit einfacher zu sein, den unterhaltenden Faktor ihrer Musik nicht zu verleugnen. Vor einigen Jahren noch hatte man doch alles, was nach Unterhaltung roch, mit Schimpfworten wie ,Las Vegas‘ oder „Frank Sinatra“ belegt. Heute wird Frank Sinatra plötzlich geliebt und verehrt. „

Byrne: „Seine alten Platten liebe ich auch, heute hingegen wirkt er auf mich absolut abstoßend. Aber ich weiß, was du meinst. Hast du Beispiele dafür?“

ME/Sounds: Vielleicht hängt es ursächlich mit dem Video-Boom zusammen. Musiker sind heute mehr denn je gezwungen, sich auch über ihre visuelle Wirkung Gedanken zu machen. Vor Jahren war jedenfalls der Aspekt der optischen Präsentation für viele Musiker ein rotes Tuch. Während heute selbst die, die sich als gesellschaftskritisch verstehen, nichts gegen den Unterhaltungs-Faktor einzuwenden haben.

Byrne: „Und ist das nun ehrlich gemeint oder eine aufgesetzte Attitüde?“

ME/Sounds: In jedem Fall ist es positiv. Ich kann mich an Musikkritiker in Deutschland erinnern, die bis vor Jahren etwa die gesamte Motown-Musik haßten, weil die optische Präsentation sie an Las Vegas erinnerte. Da saß der Klassenfeind. Es war ein rotes Tuch für sie. Und plötzlich entdeckten sie die Supremes, entdeckten gar Abba…

Byrne: „Abba sind auch cool? Haha.“ ME/Sounds: Viele Leser konnten da auch nicht folgen, weil die Kritiker plötzlich Sachen entdeckten, die sie noch kurz zuvor mit Schmutz beworfen hatten…

Byrne: „Hahaha.“

ME/Sounds: Inzwischen kann man immerhin zugeben, daß auch die Supremes kreative und klassische Musik machten selbst wenn sie in Las Vegas als dem verhaßten Symbol einer kapitalistischen Entertainment-Welt auftraten: daß man…

Byrne: ….. zwischen Äußerlichkeiten und der eigentlichen Musik zu unterscheiden gelernt hat, zwischen guter und schlechter Musik. Ja. da ist sicher was Wahres dran.

Was mich angeht, so habe ich folgendes festgestellt: Wenn ich in einem Club spiele, macht es mir nichts aus, völlig unbeweglich auf der Bühne zu stehen. Dann aber wurde unsere Musik rhythmischer – und wir fingen gleichzeitig an, in größeren Hallen zu spielen. Und plötzlich begann ich mich zu bewegen.

Ich bin zu dieser Zeit oft in Avantgarde-Theater gegangen, auch orientalisches Theater. Und ich habe dort Bewegungen gesehen, die mir gefielen und die ich in irgendeiner Form übernehmen wollte. Es war der bewußte Versuch, auf der Bühne etwas anderes zu tun als nur rumzustehen.

Rockkonzerte sind nun mal so etwas wie Rituale, ein theatralisches Ereignis. In einem Club kann man als Zuschauer Details miterleben, wie etwa der eine Musiker dem anderen einen Blick zuwirft; in einer größeren Halle möchte ein Zuschauer halt auch etwas sehen.“

ME/Sounds: Hat dich der Entschluß, dich bewegen zu wollen, anfangs Überwindung gekostet?

Byrne: „Nein, ich habe vorher nur viel darüber nachgedacht, damit ich auch wirklich daran glauben konnte.“

ME/Sounds: Ich kann mich an ein Konzert erinnern, das ihr vor vier, fünf Jahren in Dortmund (Rockpop In Concert) gegeben habt. Es war für mich wirklich bewegend, dir dabei zuzusehen. Einer Person zuzusehen, die nicht aus Afrika oder Südamerika kam, die nicht Rhythmus und spontane körperliche Ausdrucksfähigkeit im Blut und in den Knochen hat, sondern eine Person, die auf intellektuelle Art und Weise die Körperlichkeit nachzuleben versucht: eine Person, die sich bemüht, eine verschüttete Körpersprache wiederzuentdecken – selbst wenn das nur durch den Filter westlicher Intellektualität geschehen kann… Kann ich mich halbwegs verständlich machen?

Byrne: „Doch, doch, das war gut gesagt. Ich… hm… sprich weiter.“

ME/Sounds: Das war eigentlich alles.

Byrne: „Schade.“

ME/Sounds: Und?

Byrne: „Wie?“

ME/Sounds: Nun, glaubst du, daß diese Beschreibung zutrifft?

Byrne: „Ja, ich glaube, sie kommt der Sache sehr nahe. Hm… Es gibt da einen ganz verzweifelten Wunsch, zu tanzen und die Verkrampfung des Körpers zu lockern. Und gleichzeitig ist da der Wunsch, auch zu verstehen, warum man tanzen möchte. Das ist wohl sehr europäisch gedacht, sehr westlich.“

ME/Sounds: Findest du das positiv? Oder fängt da bereits die Schizophrenie an ?

Byrne: „Ich finde das phantastisch!“ ME/Sounds: Du würdest also diese Stufe menschlicher Evolution derjenigen eines Buschnegers, der unbeschwert und unreflektiert durch den Kral tanzt, spontan und unbesehen vorziehen?

Byrne: „Hm. Vielleicht hat der Buschneger mehr Spaß. Was uns angeht: Zum einen haben wir ja gar nicht mehr die Wahl, einen Schritt der Evolution zurückzugehen – und zum anderen könnte sich diese zweigleisige Verhaltensweise als lebens- und überlebenswichtig herausstellen. Zu einem Zeitpunkt nämlich, wo die Probleme des Westens und der Dritten Welt ungebremst aufeinanderknallen. Und das passiert ja schon momentan.

Das Rad der Geschichte zurückdrehen kann man jedenfalls nicht. Ich kann jetzt nicht meine Kleider ausziehen und wieder in den Urwald laufen.“