Der Ambient-Housemeister


Die Techno-Szene läßt ihn kalt. Kein Wunder: Alex Paterson (r.), Mastermind von The Orb, kommt eigentlich vom Punk, gilt aber inzwischen gemeinhin als Neuerer der Elektronischen Musik

Letztendlich ist es doch nur Musik, und es gibt jede Menge Dinge, die wichtiger sind als Musik“, sagt der 35jährige Alex Paterson. „Musik ist nur eine Form des Eskapismus und dafür benutze ich The Orb – als Flucht aus der Realität.“

Freundlicherweise läßt der Londoner andere an seinem Eskapismus teilhaben, denn seit 1989 hat The Orb den Begriff von Ambient Music neu definiert und immer mehr Anhänger gefunden. Was schon in den 20er Jahren mit der schwebenden, repetitiven Klavier-Musik eines Erik Satie begann, in den 7oern von Bands wie Pink Floyd in ihrer ‚Ummaguma‘- und ‚Meddle‘-Phase im Rock-Kontext weiterentwickelt und von Brian Eno mit seinen Obscure- und EG-Platten auf die Elektronik umgemünzt wurde, hat Paterson ins Techno-Zeitalter der 90er Jahre transportiert. Von der aktuellen Techno & House-Szene, die ihn immer wieder als Innovator verehrt, hält er selbst allerdings nicht allzu viel: „Ambient House ist inzwischen von Kindsköpfen übernommen worden, die einen 70 Minuten lang mit nervigem Gedudel langweilen!“

Deshalb grenzt sich The Orb von der üblichen DJ-Kultur ab und bietet bei ihren Live-Gigs auch ein solides Konzert mit acht Musikern. Ergänzt und augenfreundlich illuminiert wird die Show, die im Mai auch in sechs deutschen Städten zu sehen sein wird, von modernsten Licht- und Lasereffekten.

Daß Alex Paterson dem herkömmlichen Konzert-Ereignis eher skeptisch gegenübersteht und statt dessen eine reine DJ-Show bevorzugt, hängt mit seiner musikalischen Karriere zusammen. Er war Ende der 80er Jahre Roadie für die englischen Düster-Punks von Killing Joke,

bevor er sich als Musiker selbstständig machte. Sein Verhältnis zur Ambient-Musik entwickelte er als A&R-Manager für Brian Enos Label EG Records. Gleichzeitig gab er den DJ auf Ambient-Parties zusammen mit Jimi Cauty (der später KLF gründen sollte). Die erste Platte, eine EP namens ‚The Kiss‘, erschien im Sommer 1989 sozusagen als Gegenstück zur grassierenden Acid-House-Welle. „Ich freue mich immer wieder darüber, wenn Leute meine Platten hören und sich dann verwundert fragen: Was um Gottes Willen ist denn hier eigentlich los?“

Jedenfalls fand die Anti-Acid-House-Musik Patersons genügend Käufer, um ihm einen lukrativen Major-Plattenvertrag zu verschaffen. Nachdem Cauty sich verabschiedet hatte, produzierte Paterson im Team mit den unterschiedlichsten Musikern. Mit seinem alten Killing-Joke-Kumpel Youth zum Beispiel., der sich längst als versierter House- und Remix-Spezialist verdingt hatte, mit dem ewigen Hippie Steve Hillage („Gong“) unter dem Projektnamen „System 7“ oder mit dem Berliner Thomas Fehlmann für dessen „Sun Electric“-Platten.

Fehlman wiederum half Paterson bei der Produktion des ersten Orb-Albums ‚Adventures Beyond The Ultraworld‘ (1991), die gemeinhin als richtungsweisende Ambient-Platte gilt, weil es Paterson geschafft hatte, nicht nur flächige, elektronische Sounds, sondern auch Samples von Stimmen, Hip-Hop-Beats und sogar Rock-Gitarren in das Ambient-Konzept mit einzuflechten.

Alex avancierte zum vielbeschäftigten Remixer, durfte Platten von U2, Depeche Mode, Prima! Scream, Mike Oldfield, Material und etlichen anderen „veredeln“, bastelte aber weiterhin beständig an der eigenen Musik. Zu seinem ständigen Mitarbeiter wurde der heute 22jährige Kris Weston, der das Mutterschiff nach der Produktiuon des neuesten Albums ‚Orbus Terranum‘ mit Solo-Plänen verlassen hat. „Er hat sich nicht mehr damit zufriedengeben können, daß ich der Chef bei The Orb bin“, erklärt Patterson. „Also soll er sehen, wie es ist, wenn man eigenverantwortlich arbeiten muß. Da kann er noch viel lernen.“

Das Raumschiff Orb gleitet längst in höheren Sphären. Das zweite Album ‚UFOrb‘ schaffte es 1992 auf Platz Eins der britischen Album-Charts. Es folgten: Radio-Sessions bei BBC-DJ John Peel und die Doppel-CD ‚Orb Live 93‘ sowie das experimentierfreudige Mini-Album ‚Pomme Fritz‘ (1994). Das Meisterwerk aber entstand erst kürzlich: ‚Orbus Terrarum‘ ist eine musikalische Weltreise, die sich dem engen Begriff des Ambient entzieht. Manchmal an ethnische Stammesmusik, manchmal an Pink Floyd in ihren besten Tagen und manchmal an die Techno-Pioniere aus Detroit, Jeff Mills & Blake Baxter, erinnernd, durchkreuzt es bewußt alle Erwartungen: „Ich fühle mich manchmal wie einer, dem man ein Denkmal gesetzt hat. Mir macht es allerdings großen Spaß, mich immer wieder selbst vom Sockel zu stoßen!“