Des Kürbis‘ Kern


Ein Phänomen! Eine deutsche Hardrock-Band verkauft weltweit 650.000 LPs - und niemand kriegt es mit. Thomas Böhm traf die erfolgreichen Unbekannten.

Ohne Argwohn stieg ich kürzlich bei einer Mitfahrgelegenheit in einen Fiat, dessen Stereo-Anlage den gesamten Kofferraum und die Rückbank einnahm. „Die Nackenstützen sind gleichzeitig die Höchtöner“. tönte der blondgelockte Fahrer und fädelte sich in die Autobahn ein. 2000 Watt folgten uns.

Es kam, was kommen mußte: Der Fahrer schob eine Cassette in den Recorder. Jetzt kommt Helloween. Das ist Speed Metal“, knurrte er. In Bruchteilen von Sekunden verwandelte sich der Fiat in ein Opernhaus. Ein bombastischklassisches Intro drückte die Luft durch alle Ritzen nach draußen.

Aber dann die Gitarren. Wie eine Flutwelle. Und der Beat! Schneller als Werners Red Porsche Killer. Der Sound blies mich trotz Sicherheitsgurte an die Windschutzscheibe. Ich schlug ein paar mal gegen Glas, spürte aber keine Schmerzen. „Die Melodien und der helle Gesang trugen mich in den Himmel, der verschlüsselte Text zog mich auf den Boden der Realität zurück.

„Goil, wa Aller“ gröhlteder Fahrer und drehte noch lauter.“.Das ist aber noch harmlos. Früher waren Helloween noch härter und schneller.“

Die interessierten mich jetzt. Bisher hatte ich geglaubt. Heavy Metal wäre nur was von und für hohle Kürbisköppe, aber dieser Stoff haute mich um. Also ab nach Hamburg, in eine dieser kleinbürgerlich-idyllischen Arbeitersiedlungen, wo ich jetzt im Treppenhaus eines flachen Neubaus stehe.

„Weikath“ steht auf der Klingel und Weikath steht auch hinter der Tür. Ein langer Typ. total direkt — ein Typ, der keine Umwege geht und keine Umschweife macht. Friedlich, freundlich, ein Mensch, der sich auch über Blumen freuen kann. Aber ich weiß, wenn bei dem der richtige Schalter angeht, geht der ab.

Weiki ist Gitarrist. Co-Autor und Komponist von Helloween, der Speed Beatles, die als Symbol einen hohlen Kürbiskopf verwenden. Nur steht der nicht für Dummheil oder für Horror, sondern wird als Schutz gegen böse Geister verwendet.

Weiki macht Tee, dann fletzen wir uns auf sein riesiges Bett — und er erzahlt mir die ungewöhnliche Geschichte einer deutschen Hard-Rock-Band, die Geschichte des Sängers Michael Kiske, des Gitarristen Kai Hansen, des Bassisten Markus Grosskopf, des Schlagzeugers Ingo Schwichtenberg, aber in erster Linie natürlich seine Geschichte. Er plaudert über ein paar Hamburger Jungs, so um die 25 Jahre jung, die zu den international erfolgreichsten HM-Bands gehören, der deutschen Öffentlichkeit aber ein Begriff sind.

Wie bei jedem anständigen Hard-Rocker fängt die Geschichte bei den Beatles an. Die hat jeder gehört, geschluckt und verdaut. Die Beatles sind das Brot, aber man lebt nicht nur vom Brot allein; irgendwann fraß man auch alles von Deep Purple. Als gute Christen lungerten die Hamburger Jungs, noch voneinander getrennt, in katholischen Jugendclubs herum und ließen sich von Richie Blackmore die Ohren vollballern. Gleichzeitig mußten sie mitansehen, daß die schönen Mädchen aus der Nachbarschaft all die häßlichen und schlechten Amateurgitarristen aus dem Club anhimmelten. So stürmten die frustrierten Anfänger, jetzt kannten sich einige schon, in die Übungsräume und spielten Richie Blackmore und andere Helden nach.

Doch schon nach wenigen Jahren erkannten sie: Um als Musiker zu überleben, mußten sie doppelt so schnell, doppelt so hart und doppelt so laut spielen als alle anderen. Das taten sie denn auch und erhielten eine Chance, als das kleine Berliner Noise-Label für seinen „Death

Der Kürbis als Schulz gegen böse Geister

Metal-Sampler“ noch Platz für zwei Songs hatte. Der Sampler bekam, ihretwegen, gute Kritiken, das Label erkannte die musikalische Potenz der Band und veröffentlichte mit WALLS OF JERICHO Helloweens erste LP. Sie wurde mit über 100.000 verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Independent-Platten aller Zeiten.

„Speed Metal“‚ lautete der Kriegsruf. und so begann die Hatz auf alle Sinnesorgane. Egal ob hier, in den Staaten oder in Japan: Als „mitgenommene“ Vorgruppe bliesen sie die Hauptacts an die Wand und brachten die Headbanger-Gemeinde zum Toben.

Doch etwas lief falsch: Ihre Fans, angestachelt durch die exzessive Power ihrer Musik, blieben nicht bei Verstand und meinten, bei Helloween handele es sich um Satansverehrer, die das Böse lieben und die Gewalt verherrlichen. Also zerfleischte man sich vor der Bühne und schraubte sich gegenseitig die Köpfe in den Boden.

Mist, dachten sich unsere Hamburger Jungs und änderten ihr musikalisches Konzept. Mit Michael Kiske, der den Gesangspart von Kai Hansen übernahm, und der, e’igentlich als Doppel-LP geplanten KEEPER OF THE SEVEN KEYS gelang das überzeugend. Part I wurde fast 500.000 mal verkauft. In Japan kam das gute Stück auf Platz 1, hierzulande landete es immerhin auf Platz 15 der LP-Charts. Auf dem jetzt erschienenen KEEPER Part II klingt Magnum genauso durch wie Maiden.

Das Spektrum der Helloween-Mucke ist inzwischen breit und melodiös geworden. Sie haben längst die Speed-Ecke verlassen und lahmen trotzdem nicht. Sind die mit Ideen, Träumen, politischen Ambitionen und mit viel Lust vollgestopften Kürbiskerne Rockstars?

„Ich habe neulich mal bei den Jungs nachgefragt“, grinst Weiki und schenkt noch Tee nach. „Hat, glaub ich, keiner was dagegen. Aber bis jetzt bildet sich keiner von uns auf den großen Erfolg was ein.“