Deutsche Beatpoeten


Zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla brachte der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann, Jahrgang 1949, in Sammlungen wie ACID oder SILVER SCREEN (beide 1969) die neue US-Pop- und Underground-Literatur in die studentenbewegte Bundesrepublik. Ein Jahr zuvor erschien sein erster Roman, KEINER WEISS MEHR (Reinbeki, 1968, 182 Seiten, 8,90), in dem sich ein junges Studentenpaar durch Sexualität, dumpfe Verweigerung und gereizte Aggressivität der alltäglichen Entfremdung erwehrt gestützt durch die Faszination von Beat, Film und Mode der Zeit.

Als erster waschechter Roman der Beat-Generation im deutschsprachigen Raum gilt Hubert Fichtes DIE PALETTE (Frankfurt 1968, 347 Seiten, vergriffen). ‚Die Palette“ ist eine Hamburger Kellerkneipe, die für Jäcki und sein Umfeld zum Nabel der Welt wird — einer Welt, in der man sich vor allem als anderes Extrem der mit humanitären Floskeln garnierten Zwangswelt der Adenauer-Erhardt-Große-Koalitions-Republik in Szene setzt.

Mitte der 70er avancierte Henry Maske-Hausdichter Wolf Wondratschek mit Anthologien wie DAS LEISE LACHEN AM OHR EINES ANDEREN (1976) oder MÄNNER UND FRAUEN (1978) zum subkulturellen Lyriker der Stunde.

Die 90er sind geprägt durch den Gegensatz zwischen Vertretern eher traditionalistischer Schreibweisen einerseits, und einer höchst heterogenen Gruppe von „jungen Wilden“, die teilweise versuchen, das Konzept der amerikanischen Slam Poetry zu adaptieren. Ralf Rothmann ist ein Vertreter des ersten Typs. Sein autobiographisch geprägter erster Roman STIER (Frankfurt 1991, 372 Seiten, 18,80) dreht sich um den Schaffensprozeß des Schriftstellers Kai Carlsen, der im Berlin der Wendezeit seine Lebensgeschichte zu Papier bringt. WÄLDERNACHT (Frankfurt 1994, 304 Seiten, 38,-) schreibt diese Geschichte konsequent weiter — wenn auch mit anderem Personal.

DER deutschsprachige „Beatpoet“ der 90er wird vielleicht einmal Techno-Jünger Andreas Neumeister, dessen assoziativ-ausgefranste „Romane“ die Romanform längst hinter sich gelassen haben und aufgrund ihres explosiven Sprachrhythmus und reichhaltigen Zitatrepertoires eine ungeheure Musikalität ausatmen. Zusammen mit Rowohlt-Lektor Marcel Hartes hat der Münchner Autor und Veranstalter auch die „Texte der (deutschsprachigen) Pop-Fraktion und damit einen leicht greifbaren Überblick über die deutsche Szene herausgegeben: POETRY! SLAM! (1996, 304 Seiten, 19,90). Neumeisters eigene Werke von ÄPFEL VOM BAUM IM KIES (1988, 264 Seiten) bis AUSDEUTSCHEN (1994,134 Seiten, 32,-) sperren sich aufs schwerverdaulichste gegen easy reading-Gewohnheiten. In ähnlicher Sperrigkeit gefällt sich gemeinhin Rainald Götz, dessen Dramen und Romane gerne mit dem Etikett „postmoderner Grobianismus“ versehen werden. In HIRN, einer 2ooseitigen Zugabe zur Stückesammlung KRIEG (1988, 32,-), versammelt der Teitzeit-SPEX-Autor seine Kolumnen über Popmusik und Gegenwartskultur, die teilweise auf einer Stufe mit Diedrich Diederichsens Texten in FREIHEIT MACHT ARM. DAS LEBEN NACH ROCK’N’ROLL 1990-93 (Köln 1993.283 Seiten, 19,80) stehen.

Als Achim Reichel noch bei den Rattles rockte, ahnte niemand, daß er später einmal Jörg Fausers Texte singen würde. Über Fauser, der 1987 mit 43 starb, schrieb ein Redakteuer der ‚Zürcher Weltwoche‘: „Müßte ich unter allen gelesenen Romanen, die in den letzten drei, vier Jahren erschienen sind, zehn auswählen, die mich am nachhaltigsten beeinflußt haben, dann wäre höchstens ein deutschsprachiger dabei — von Jörg Fauser.“ Achim Reichel verwandte Fauser für sein ’81er Album ‚Blues In Blond‘ und Westernhagen spielte eine Fauser-Figur im Film ‚Der Schneemann‘. Fauser satt gibt’s jetzt als WERKAUSGABE (Frankfurt 1994, 3 Bände, 117,-) von Rogner & Bernhard bei 2001.