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Die 100 besten Songs aller Zeiten


Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf Platz 1 geschafft!

3. The Beatles – „A Day In The Life“

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Albert Koch über „A Day In The Life“:

Über eine Minute lang hält er an. Der mächtige Schlussakkord, gespielt auf vier Klavieren von John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und Beatles-Roadmanager Mal Evans. Gegen Ende hin muss Toningenieur Geoff Emerick die Regler so weit hochfahren, dass zwar nicht die sprichwörtliche fallende Stecknadel zu hören ist, wohl aber diverse Nebengeräusche aus dem Studio in der Abbey Road in London: raschelndes Notenpapier, das Quietschen eines Stuhls. Zwischen diesem voluminösen Schlussakkord und dem ersten Ton der akustischen Gitarre liegen fünf Minuten und 39 Sekunden – und der ambitionierteste, elaborierteste Song, den die Beatles jemals aufgenommen haben: „A Day In The Life“.

Aber tragen wir Eulen nach Athen: „A Day In The Life“ ist ein Epos, das die Popmusik verändert hat. Und geben zu bedenken: Wer in Zusammenhang mit SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND von der Kunstwerdung von Pop redet, meint in Wirklichkeit vielleicht nur den finalen Song des Albums. „A Day In The Life“ ist Modellfall für die Arbeitsweise in der Spätphase der Beatles, in der aus banalen Ursprungsideen Großartiges erwachsen konnte. Aber es ist auch ein solitäres Beispiel für die wirkliche Zusammenarbeit der Songwriter John Lennon und Paul McCartney. In der Anfangsphase der Beatles hatten sich Lennon/McCartney darauf geeinigt, die Songcredits zu teilen, egal wer von ihnen der (Haupt-)Songwriter gewesen sein mochte. Sowohl Soloarbeiten McCartneys („Yesterday“) als auch Lennons („Give Peace A Chance“) wurden dem Songwriter-Duo Lennon/McCartney zugeschrieben.

Bei „A Day In The Life“ aber war alles anders. Zwei unabhängige Songfragmente wurden mit einem kurzen Orchesterpart zu einem der großartigsten Popsongs aller Zeiten verbunden. Das eine, ein langsames, fast folkartiges Stück (der Lennon-Teil), das andere ein fröhliches Midtempo-Singalong (McCartney). Sowohl inhaltlich als auch strukturell geben die beiden Songfragmente den Vorurteilen über die charakterliche Beschaffenheit der beiden Haupt-Beatles recht: der Verkopfte und der „Normale“. Hier: Lennon, der Verfasser von surrealistischen und dadaistischen Texten, der seine Rolle in Richard Lesters Kinofilm „Wie ich den Krieg gewann“ und den Unfalltod des Guinness-Erben und Beatles-Freundes Tara Browne in „A Day In The Life“ thematisiert und abschließend erklärt, 4 000 Schlaglöcher, die in Blackburn, Lancashire gezählt wurden, würden die Royal Albert Hall in London ausfüllen. Dort: McCartney, der in seinem Part des Songs einen normalen day in the life aus seiner eigenen Jugend schildert – Aufwachen, eine Zigarette rauchen, mit dem Bus zur Schule fahren, zu spät kommen.

Die psychedelische, fast schon klaustrophobische Wirkung erhält der Song durch den Hall auf der Stimme Lennons und den atonalen Beitrag des Orchesters, der die beiden Fragmente, die eigentlich nicht zusammenpassen, miteinander verbindet. Überhaupt: das Orchester. 40 Musiker des London Philharmonic Orchestra spielten die von Beatles-Produzent George Martin geschriebene Partitur – sie mussten ganz leise mit der tiefsten Note ihrer jeweiligen Instrumente beginnen und sich über 24 Takte bis zur höchsten in fortissimo hocharbeiten. Um die Wirkung zu verstärken, wurde der Orchesterteil dreimal overgedubbt.

„A Day In The Life“ ist alles, was die Beatles ausmacht: die unterschiedlichen Songwriter-Ansätze Lennons und McCartneys, der Hang zu Avantgarde und Experiment in den späten Jahren und die Produktionskunst von George Martin, der die Möglichkeiten des Aufnahmestudios als weiteres Instrument virtuos nutzte.