Die Federn des Kranichs


Wie jeder (Indie-)Rockstar hat auch Colin Meloy klein angefangen. Bevor der (mehr oder minder- „In the States we’re bigger than in Europe, you know“) bekannte Frontmann und Songschreiber und Kopf der Decemberists als eben jener bekannt wurde, verdiente er sein Geld in einem Buchladen in Portland. Dessen Besitzer schlug seinen Mitarbeitern vor, sich mit der großen Abteilung für Kinderbücher durch Lesen möglichst vieler Bücher vertraut zu machen. Colin nahm sich irgendeines zufälligerweise ein Buch mit dem Titel „The Crane Wife“. „Es war eine japanische Fabel. Ich las sie, und sie war faszinierend. Die Handlung berührte mich sehr“, erinnert er sich, und Schlagzeuger John Moen, der im Hotelzimmer neben Colin sitzt, rückt in seinem Sessel nach vorne und erzählt in gemütlicher Märchenonkel-Manier: Ein Japaner findet einen verletzten Kranich und pflegt ihn gesund. Einige Zeit später klingelt es, und eine bildschöne Frau steht vor der Haustür – man heiratet, hat aber kaum Geld zum Leben. Zum Glück kann die Frau unglaublich schöne Kleider weben, die der Mann auf dem Markt verkaufen soll. Obwohl er verspricht, ihr nicht bei ihrer Arbeit zuzuschauen, tut er das heimlich doch – und stellt erstaunt fest: Seine Frau ist halb Mensch, halb Kranich und die Kleider so schön, weil von eigenen Federn durchzogen. Schließlich kommt heraus, dass der Mann sein Wort nicht hielt – die bildschöne Kranichfrau fliegt fort, der Mann ist wieder allein. „The story is bullshit“, lacht Chris, aber Colin ließ der Gedanke, die Fabel zu vertonen, seit der Zeit im Buchladen nicht mehr los. Drei Songs, die sich textlich auf die Geschichte beziehen, sind nun auf THE CRANE WIFE gelandet, die anderen sind „normale“ Lieder (weswegen die Platte auch nicht als Konzeptalbum angesehen werden soll, wie Chris augenzwinkernd betont).

Nach dem erfolgreichen Album PICARESQUE von 2005 wechselte die Band aus Portland, Oregon vom Indie-Label Kill Rock Stars zum Major Capitol. „Wir hatten einfach das Gefühl, der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel sei gekommen“, sagt Colin. Mit der großen Firma im Rücken konnten The Decemberists erstmals richtig lange im Studio bleiben: Zweieinhalb Monate lang nahm die Band zusammen mit Tucker Martine and Christopher Walla auf – bei PICARESQUE waren es nur drei Wochen. Nach der Veröffentlichung im Januar wird die Band ausgiebig touren, aber Colin Meloy und John Moen freuen sich schon jetzt auf die Arbeit an einem nächsten Album. Colin: „Live spielen ist super, aber es gibt einfach nichts, was mit dem kreativen Prozess des Songwritings vergleichbar wäre.“

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