DÜSTERE SCHÖNHEIT IM CINEMASCOPE-FORMAT


Man stelle sich vor: David Lynch inszeniert einen Film über die glamourös-geheimnisvolle Nashville-Lady Loretta Lynn und schickt zu diesem Behufe ein paar Musiker on the road. Und irgendwo in einem tiefen Tal an einem einsamen Bach steht dann diese Band und zelebriert die düsterste Country-Musik, die man je gehört hat. Songs über Einsamkeit, über die Geheimnisse der Vögel, den Spuk der Berge. „Mirador“, das neue Album von Tarnation, der Band um Sängerin und Songschreiberin Paula Frazer, öffnet ein Dutzend Fenster in die verborgensten Winkel zwischen Folk und Country. Wie dunkle Cinemascope-Dramen rauschen die Songs an den Sinnen des Hörers vorbei. Regelmäßig schwingt sich Paulas Stimme in ein hohes Falsett auf, um dann mit dramatischen Ennio-Morricone-Trompeten in tiefe Schluchten zu fallen. Dazu gibt es schummeriges Gitarrentremolo, schicksalhafte „Ooohhh“-Chöre der Roy-Orbison-1 Schule und schrullige Farfisa-Orgeln. Paula Frazer und ihr neuer Gitarrist Alex – Mexikaner und hauptverantwortlich für die neuen spanischen Elemente im Tarnation-Sound – wohnen im Mission-District von San Francisco. Doch das Gros der Songs auf „Mirador“ entstand dort, wo Mrs. Frazer aufgewachsen ist: in dem 250-Seelen-Kaff Sautee Nacoochee in den Bergen von Georgia. „Ich brauche den Wind und den Blick aufs Land, diesen Zustand des Alleinseins, der Isolation, um zu schreiben.“ Zu Songs verschweißt wurden Paulas Ideen dann in den Prairie-Sun-Studios, eine Stunde von San Francisco entfernt, wo hinter jeder Ecke die große Traumfabrik Kino lauert. „Ich sehe seit Jahren Unmengen von Filmen. Das hat mein Songwriting deutlich beeinflusst. Es ist das Düstere, das Unerklärbare, das mich fasziniert an Filmen wie „Die Nacht des Jägers“ mit Robert Mitchum oder Orson Welles‘ „Im Zeichen des Bösen“. Solche Qualitäten besitzen nur noch wenige neue Filme, ‚Dead Man‘ vielleicht. Auch, wenn ich die Musik von Neil Young dazu nicht mochte.“

„Mirador“ ist nach „Gentle Creatures“ (1995) das zweite in Deutschland erhältliche Tamation-Album

In Glasgow gärt es. Unzählige erfolgshungrige Bands lassen sich in der dortigen Clubszene aufspüren. Und eine hat verwegenere Sound-ideen als die andere. The Karelia mögen es besonders individuell. Die Musik des Quartetts geht auf den Charleston der 20er Jahre, diverse Jazz-Gattungen, französische Chanson-Nonchalance und osteuropäische Polka zurück und wird ergänzt durch Punk-Drive, fideles Trompetenspiel und schwelgerische Melodien. Britpop ist das nicht. Und damit hat Sänger Alex Huntley auch gar nichts am Hut: „Hör dir zum Beispiel Sachen von Edith Piaf an. Das klingt viel ausgereifter als der übliche Pop-Unfug. Pulp etwa schreiben Songs aus der Warte eines 17jährigen und wollen weismachen, daß die Teenagerjahre die wichtigsten im Leben seien. Das ist Quatsch. Ich bin froh, kein Teen-ager mehr zu sein.“ Huntley hat selbst so seine Erfahrungen mit pubertären Plattheiten gemacht hat. Bis Anfang 1996 hieß seine Band The Btisters und spielte ein „härteres Gemisch aus Punk und Rockabilly“. Dann stieg der Drummer aus und wurde durch den Griechen Tassos Bombos ersetzt. Der brachte frischen Wind in die Band: Zerschlissene Jeans und Doc Martens wichen adretten Anzügen vom Flohmarkt, für einen neuen Bandnamen stand die griechische Zigarettenmarke Karelia Pate- vor allem aber entwickelte man sich musikalisch weiter. Huntley: „Es ist langweilig, ewig ein Dreiakkord-Punk-Schema zu spielen. Tassos brachte Platten aus seiner Heimat mit, wir spielten etwas davon und waren weiter als nach einem Jahr Blisters.“ VOM PUNK ZUR PIAF Pubertären Teenie-Zeiten sind The Karelia stilvoll entwachsen