„Enola Holmes” auf Netflix: Young-Adult-Kitsch und formelhafter Feminismus


Netflix' Film um die Schwester des berühmten Sherlock Holmes versucht sich an Wokeness. Doch statt einer facettenreichen Protagonistin darf Millie Bobby Brown nicht mehr sein als das „aufgeweckte, drollige Mädchen“.

Tennis im hochherrschaftlichen Familienanwesen, explosive Chemie-Experimente in der jahrhundertealten Bibliothek oder Bogenschießen im Salon: Im Hause Holmes herrscht eine ungezwungenere Atmosphäre als im Rest des prüden viktorianischen Englands. Grund dafür ist Eudoria (Helena Bonham Carter), die ihre Tochter allein großzieht und sich dabei nicht um Konventionen schert. Statt Muschelketten knüpfen, ewigem Sticken und Übungen in Konversation, lehrt sie ihrer Tochter Kampfsport, führt sie in die feministischen Schriften Mary Wollstonecrafts ein und bringt ihr bei, allein klarzukommen.

„Allein“ ist das Stichwort, um das es geht. Denn dass „Enola“ so heißt, wie sie heißt, ist kein Zufall: ihr Name bedeutet rückwärts gelesen „Alone“ und soll sie daran erinnern, dass sie auf niemandes Hilfe angewiesen ist, dass sie allein zurechtkommen kann – und bald auch schon muss. Denn am Morgen ihres 16. Geburtstags verschwindet ihre Mutter plötzlich und hinterlässt ihr nichts als ein paar Geschenke, die voller kryptischer Hinweise stecken. Millie Bobby Brown erzählt dem Publikum davon, während sie auf dem Fahrrad gen örtlichen Bahnhof radelt. Die Geschichte sprudelt nur so aus ihr heraus, während sie die vierte Wand durchbricht.

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Bereits in den ersten Minuten entsteht ein erster Eindruck von der titelgebenden Enola als quirliges, aufgewecktes Mädchen, das man, in seiner zeitweisen Tollpatschigkeit, noch mehr aber in seiner bewusst überzeichneten altklugen Art, auf jeden Fall süß und drollig finden soll. Erste Missgriffe in der Charakterzeichnung deuten sich an: Man versucht – die ersten Hinweise auf die unkonventionelle Erziehung verweisen darauf – eine feministische Geschichte zu erzählen, ist aber von Beginn an vor allem an der Liebenswürdigkeit, weniger an der Einzigartigkeit, seiner Protagonistin interessiert. Dabei weiß Regisseur Harry Bradbeer, der nicht nur an „Killing Eve“, sondern auch an der Dramedy-Serie „Fleabag“ mitwirkt, die ebenfalls die direkte Ansprache der Zuschauenden nutzt, wie es besser geht.

Junge aus dem Sack

Am Bahnhof holt sie ihre beiden Brüder ab: den überaus konservativen, auf das Familienansehen bedachte Mycroft (Sam Claflin) und den weltberühmten Meisterdetektiv Sherlock (Henry Cavill). Beide sind empört über das wenig damenhafte Auftreten der kleinen Schwester, der heruntergekommene Zustand des Familienanwesens und die Laxheit, mit der Eudora ihre Tochter aufzog, verschlägt vor allem Mycroft die Sprache. Während sich Sherlock um die Suche nach ihrer Mutter kümmern soll, übernimmt der ältere Mycroft die Vormundschaft der Schwester und möchte sie ohne Verzögerung in ein Mädchenpensionat abschieben.

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