Kommentar

Festivals für Frauen werden das Sexismus-Problem nicht lösen


Als Reaktion auf sexuelle Übergriffe auf öffentlichen Veranstaltungen soll 2018 in Schweden ein Festival nur für Frauen stattfinden. Das ist jedoch zu kurz gedacht.

23 Anzeigen wegen sexueller Belästigung, fünf Fälle sexueller Übergriffe, drei davon als Vergewaltigungen angezeigt – das ist die traurige Bilanz des diesjährigen Bråvalla Festivals in Schweden. Die Veranstalter zogen schließlich die Reißleine, das Festival wird im kommenden Jahr nicht stattfinden. Dabei waren die Übergriffe keine Einzelfälle: Bereits 2016 wurden auf dem Bråvalla Festival fünf Vergewaltigungen angezeigt, auf dem Karlsstader „Putte i Parken“-Festival kam es im gleichen Jahr zu 27 Anzeigen wegen sexueller Belästigung.

Fast zeitgleich mit den Eskalationen in Schweden sorgte Leonard Graves Phillips, Sänger der Punk-Veteranen The Dickies, mit einem Rant während eines Warped-Tour-Auftritts für Aufsehen: Unter Jubel und Beifall des Publikums beschimpfte er ein weibliches Crew-Mitglied als „Fotze“ und „Schwein“, die ein Transparent mit der Aufschrift „Teen-Girls verdienen Respekt, keine widerwärtigen Witze von ekelhaften alten Männern“ hielt. Während die Transparent-Aktion selbst sicherlich fragwürdig war (die Tour-Mitarbeiterin warf das Schild schließlich auch noch nach dem Sänger), hat der Zwischenfall jedoch eindrucksvoll bewiesen, dass Frauen nicht einmal vor sexistischen Anfeindungen von der Bühne sicher sind.

Während die immer häufiger stattzufinden scheinenden sexuellen Übergriffe und Belästigungen auf Festivals derzeit für viel Gesprächsstoff über die Sicherheitszustände auf öffentlichen Veranstaltungen sorgen, hat die schwedische Radiomoderatorin Emma Knyckare nun für 2018 ein Festival nur für Frauen angekündigt. Damit wird sie jedoch kaum etwas ändern.

Segregation führt nicht zu Gleichberechtigung

Natürlich ist es eine nachvollziehbare Reaktion, wenn Knyckare schreibt, dass Männer so lange nicht auf ihrem geplanten Festival willkommen seien, bis sie gelernt haben, sich zu benehmen. Es ergibt Sinn, safe spaces für Frauen schaffen zu wollen, in denen sie in der Menge tanzen können, ohne plötzliche fremde Hände auf ihren Körpern zu spüren und knappe Outfits tragen zu können, ohne dass diese gleich als Einladung für plumpe Anmachen gesehen werden. Ob diese Aktion uns in der Sexismus-Debatte und im Kampf um sichere Festivals nach vorne bringen wird, darf jedoch bezweifelt werden.

Der symbolische Akt des Ausschlusses von Männern bei einem Festival schafft natürlich Aufmerksamkeit, und die ist gut und essentiell dafür, dass ein Thema überhaupt erst in der öffentlichen Wahrnehmung verankert und diskutiert wird. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Segregation einen Austausch und vor allem das Erreichen von Akzeptanz und Gleichberechtigung unmöglich macht. Dass sich Männer durch die Veranstaltung eines Women-Only-Festivals kollektiv an die eigenen Nasen fassen und ihre Verhaltensweisen ändern, ist eine, gelinde gesagt, naive Hoffnung.

Belästigung beginnt in dem Moment, in dem sich jemand belästigt fühlt

So zu tun, als seien die aktuellen Zustände auf Festivals überall auf der Welt die Schuld einiger weniger Männer, die sich nicht zu benehmen wissen (wie das etwa die Bråvalla-Veranstalter getan haben), ist dabei sehr kurz gedacht und eine Untertreibung, die es sehr einfach macht, sich hinter einzelnen Sündenböcken zu verstecken. Das Problem reicht jedoch viel weiter und beginnt schon damit, wie wir den Wert von Frauen in unserer Gesellschaft definieren. Es beginnt mit dem weit verbreiteten Irrtum, dass sexuelle Belästigung und Gewalt erst mit Handgreiflichkeiten oder gar Vergewaltigungen beginnt. Nein, Belästigung beginnt in dem Moment, in dem sich jemand belästigt fühlt. Dafür reichen oft schon Blicke und Worte.

Sensibilisierung ist Aufgabe von allen

Dass diese Tatsache in weiten Teilen der Bevölkerung noch nicht ernst genommen oder gar als verweichlichtes p.c.-Gehabe interpretiert wird, wurde einmal mehr durch die Warped-Tour-Reaktionen von Eagles-Of-Death-Metal-Sänger Jesse Hughes und The-Offspring-Gitarrist Noodles verdeutlicht. Beide waren sich darin einig, dass die Anfeindungen von The-Dickies-Frontmann Phillips („Ich habe Farmtiere gefickt, die hübscher waren als du, du verdammtes Schwein“, „Du bist eine fette Fotze“) unter das Banner der Redefreiheit fallen und man diese nun einmal aushalten müsse, wenn man sich in den öffentlichem Raum, und erst recht auf ein Punk-Konzert begebe. Dieser Logik folgend ist der einzig legitime safe space das eigene Zuhause, überall sonst müssten Frauen eben damit rechnen, erniedrigt zu werden. Willkommen im 21. Jahrhundert. Auf den Zug sprang auch noch Terrorgruppe-Sänger Archi Alert auf, der versuchte, sich über die misogyne Hasstirade als nonkonformistischer O.G.-Punk zu profilieren, weil sowas ja „punktypisches Verhalten“ sei.

Angesichts solcher Aussagen kann es, trotz aller Nachvollziehbarkeit, auf keinen Fall die angemessene Reaktion sein, dass sich Frauen nun aus öffentlichen Situationen zurückziehen und abschotten. Was wir brauchen, sind Männer und Frauen, die sich dafür einsetzen, dass jeder Ort ein sicherer Ort für alle wird, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Sexualität, Glaube, Hautfarbe und körperlicher Verfassung. Wir brauchen Menschen, die ihre Finger in die offenen Wunden legen und Veranstalter dazu zwingen, Konzerte und Festivals in dieser Hinsicht abzusichern (wie das im Ansatz aussehen kann, hat zum Beispiel FKP Skorpio mit „Wo geht’s nach Panama“ gezeigt) und im Notfall hart durchzugreifen. Wir brauchen eine Öffentlichkeit, die eingreift anstatt johlend daneben zu stehen, wenn eine Frau von einem Mann beleidigt, herabgewürdigt oder belästigt wird. Eine Öffentlichkeit, in denen Sexismus und sexualisierte Gewalt nicht als Blödelei oder alkoholbasierte Ausrutscher banalisiert und in Schutz genommen werden.

Diese Art von Sensibilisierung muss schon im Kindesalter beginnen, in den Werten, die Lehrer, Familie und Freunde jungen Menschen mit auf den Weg geben. Schlicht: Es ist die Aufgabe von allen, sich dafür einzusetzen. Und das passiert im Alltag, nicht auf einem segregativen Festival.