Filmrezension ANTICHRIST


Unser ME-Porter Kai Wichelmann stellt zum Skandalfilm ANTICHRIST die Frage: "Ist das noch Kunst?" Hier in seiner Rezension gibt er selbst eine Antwort darauf.

Antichrist. Ein Name, bei dem das Böse schon mitschwingt. Ein Name, der Provokation ist, für Unangepasstheit steht und brutale Auswüchse erahnen lässt. Eines vorweg. Lars von Trier hat mit diesem Film ein Schreckensgespenst geschaffen, einen Film der den Kunstbegriff bis über die Schmerzgrenze hinaus ausdehnt. Er evoziert eine bleibende Verankerung in den Köpfen derjenigen, die den öffentlichen Diskurs und die Empörtheit im Vorfeld zum Anlass nahmen, sich selbst zu vergewissern. Zu vergewissern, was dran sein mag an den Diskussionen über einen offensichtlich sehr verstörenden Film. Lars von Trier ist nicht nur Provokateur, sondern auch jemand, der das Spiel mit Gegensätzen mit höchster Akribie inszeniert. Im eröffnenden Prolog offeriert Trier Bilder von eigenartiger Schönheit. Im hoch auflösenden Schwarz-Weiß zeigt er ein Paar beim Liebesakt, im Hintergrund schmettert eine Hendelarie, ein Kind stiehlt sich aus dem Bett, erklimmt das Fensterbrett und stürzt aus dem Fenster. Diese Eröffnungssequenz ist Auftakt für die psychotische Entwicklung, die dieser Film nehmen wird. Der Tod des Kindes stürzt die Mutter (verkörpert von Charlotte Gainsbourg) in tiefe Trauer. Ihr Mann (William Dafoe) ist Psychotherapeut und versucht durch Anwendung intensiver Konfrontationstherapie, die Selbstheilungskräfte seiner Frau zu mobilisieren. Als Ort der größten Ängste und Furcht, wählt Trier den Wald, ein Ort, den er als Symbol für die Unberechenbarkeit und die Gesetzlosigkeit der Natur einsetzt. Das namenlose Paar verschanzt sich in einer Blockhütte. Der Duktus der Worte ist streng, die Dialoge karg und trotz der emotionalen Ausbrüche der Frau, umweht das Paar eine Aura der eigentümlichen Distanz. Die erste Hälfte des Filmes versteht sich als Psychodrama. Immer wieder Stille. Und Zeitlupensequenzen, in der die kindlich wirkende Gainsbourg durch unberührte Natur streifen darf. Mit fortlaufender Dauer kippt der Film zunehmend ins Surreale. Trier lässt Füchse sprechen und der Wald verfinstert sich. Der dunkle Grundtenor des Films verstärkt sich und die Beziehungsebene des Paares kehrt sich um. Der Mann scheitert. Seine zermürbende Psychoanalyse zehrt ihn auf, seine Frau zeigt manisch-depressive Tendenzen, versteht sich als geheilt und wird zur Bedrohung.Trier geht so weit, dass er Gainsbourg als Figur einsetzt, in der sich das Wirken Satans auf abscheuliche Weise zeigt. Nun ist auch der Moment gekommen, an dem der Film endgültig spaltet und es obliegt dem Zuschauer, ob er das nun folgende dem Kunstgenre zuordnet, oder sich schockiert abwendet. Triers Detailbeflissenheit wird nun zum Problem. Der Film wird zum Horrorschocker. Man muss kein Konservativst sein oder besonders Sensibel um Szenen, in denen Geschlechtsteile detailliert abgetrennt und Schleifräder an Beine gehämmert werden, abzulehnen. Man empfindet jetzt Wut und Ohnmacht. Möglich, dass Trier mit diesem Film die Abscheu der Menschen herausstellen wollte, zeigen wollte wozu der Mensch in seinen perfidesten Momenten fähig ist. Auch die Gesetzlosigkeit der Natur ist Thema, genauso die Hexenverfolgungen im Mittelalter, doch sind es die inhaltlich wenig substanziellen Bilder, die sich einbrennen und für Tage bleiben. Seine Depressionen seien Anlass für diesen Film gewesen, so Trier. Seiner möglichen Katharsis steht die allgemeine Verstörtheit des Zuschauers entgegen. Der Zuschauer wird gewissermaßen zum Spielball von Triers pathologischen Empfindungen und man vermag durchaus das Machtmotiv erkennen, was bei aller Umsetzungsfreiheit mitgeschwungen haben wird. Trier hat uns im Würgegriff und wir sind ausgesetzt und wehrlos. Trier liefert mit diesem Film einen emotionalen Offenbarungseid. Seht her, so empfinde ich. Die Gefühle sind durchdrungen von Gewalt und Aggression, nur mitunter zeigt sich die Sensibilität Triers. Auch ist der Film in gewisser Weise gesellschaftliches Spiegelbild. Er repräsentiert einen Ist-Zustand und zeigt deutlich, was für Abstumpfungsprozesse durch die Reizüberflutungen des Internets und den dadurch bedingten Zugang zu allem Grausigen, stattgefunden haben. Fakt ist, dass so ein Film vor noch 10 Jahren undenkbar gewesen wäre. Den Zuschauer trifft eine Mitschuld, da er durch seine Sensationslüste den Erfolg dieses Films möglich machte. Aus der Entfernung und mit etwas Abstand vermag man die Faszination, die von manchen Szenen ausgeht, zu erkennen. Szenen, die Trier als handwerklich hochbegabten Regisseur zeigen und durch ihre Sensibilität und Eigensinn brillieren. Auch die Darstellerleistungen sind grandios, selten zehrten sich Darsteller derart auf. Die Kombination aus naiver Kindlichkeit und harscher Grausamkeit bei Gainsbourg und die in Falten gelegte Dynamik eines William Dafoe faszinieren. Und dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass von Trier eine offenbar schwer gebeutelte Seele sein muss, die um Aufmerksamkeit buhlt und dafür jeder Weg recht ist. Antichrist ist ein beängstigender Film. Und es stellt sich immer wieder die Frage nach der Dehnungsfähigkeit des Kunstbegriffs. Ist das noch Kunst? Darf man alles zeigen?Sicher ist in jedem Fall, dass die Gewaltorgie des letzten Drittels den Film nicht besser macht, sondern ihn in Frage stellt. Provokation um jeden Preis. Sollte das das Ziel gewesen sein, hat Trier es erreicht. Eine Grenzerfahrung.

Kai Wichelmann – 06.10.2009