Freier Radikaler zeigt Verständnis


Mit Bobby Gillespie kannst du reden, wenn du es kannst (und er einigermaßen nüchtern ist). Und mit seiner Band Primal Scream und ihrem neuen Album riot city blues kann man jetzt auch mal wieder richtig rocken und rollen.

TEXT ARNO FRANK der gläserne Lift setzt sich in Gang, das Herz rutscht in die Hose, und bald gleicht das Gewühl unten auf dem Potsdamer Platz nur noch einem wimmelnden Ameisenhaufen. Nur sehr wenige Künstler gelten als so paranoide Phobiker, daß selbst dem abgebrühtesten Journalisten das Herz auch dann in die Hose rutschen darf, wenn er nicht gerade in einem rundum offenen Glaskasten in den achten Stock des Berliner Sony-Gebäudes katapultiert wird. Schwierige Künstler, vor denen gewarnt wird, sie seien verschlossen bis launisch, gerne auch aggressiv. Womit auch schon der Ruf beschrieben wäre, der Bobby Gillespie vorauseilt.

Für einen Eklat sorgte sein Auftritt beim Festival von Glastonbury 2005, als Gillespie, angeblich vollgepumpt mit Speed, das Publikum wüst beschimpfte, dann mit dem Hitlergruß provozierte und schließlich von der Bühne gezerrt werden mußte. Backstage soll er dann auf einem „Make Poverty History“-Plakat das Wort „Poverty“ durchgestrichen und durch „Israel“ ersetzt haben. Ein schwieriger Künstler, wie gesagt.

Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, wartet dort in Begleitung einer bleichen Promoterin schon ein genervter Kollege: „Eine halbe Stunde lang hat er gepennt. Als ich ihn dann auf die Sache mit Glastonbury ansprechen wollte,gingerplötzlich hoch wieeineBombe, brüllte rum und beschimpfte mich als Faschist.“ Im Interview-Raum dreht Gillespie schon ruhelos seine Kreise und schießt dann sofort auf die Promoterin zu:

„Was war denn das eben für ein… unangenehmerTyp?“

Er wolle jetzt erstmal seine Ruhe haben, sagt er. Nach endlosen zehn Minuten versuchen wir einen erneuten Anlauf. Bobby lungert jetzt auf dem Sofa und blättert betont unbeteiligt in einem Buch. In genau 18 Minuten werde sie wieder anklopfen, flüstert die Promoterin, und dann solle ich meine letzte Frage stellen.

Gillespie scheint seinen Frust über den Kollegen verdaut zu haben. Er spricht wieder, sehr leise, mit starkem schottischen Akzent. Ja, RIOT CITY BLUES sei innerhalb nur eines Monats entstanden. Ja, die kompakten Rocksongs seien eine Rückkehr zu den Wurzeln von Primal Scream. Die lagen immer irgendwo zwischen den Stones, MC5 und den Kinks, bevor zu Beginn der 90er Jahre mit Rave ein neuer Musikstil von sich reden machte. Mit ihrer Mischung aus Britpop und Dancegrooves kamen nicht nur die Happy Mondays und die Stone Roses zu unverhofften Ehren, sondern auch Primal Scream mit ihrem legendären dritten Album, scream ADELICA. 1991 war das und Gillespie, ehemals Schlagzeuger bei The Jesus And Mary Chain, plötzlich ein Popstar.

Wir sprechen über Posen im Rock und ihr Gegenteil, die Authentizität, und Gillespie meint abgeklärt: „Wenn die Arctic Monkeys auf ihrer zweiten Platte noch über das authentische Leben in Sheffield singen, dann wird das eben zu ihrer Pose geworden sein.“ Deshalb wolle er auch das Etikett vermeiden, ein radikaler politischer Künstler zu sein, Songs wie „Swastika Eyes“ und „Bomb The Pentagon“ zum Trotz. Kaum hat er sich warmgeredet, da klopft es schon. 18 Minuten sind schnell um. „Ich hasse dieses Geräusch „, sagt Gillespie gereizt, steht auf, schlendert zur Tür – und schickt die entgeisterte Promoterin wieder weg: „Wir unterhalten uns gerade gut. Komm später wieder.“ Einen besseren Zeitpunkt gibt es nicht, deshalb frage ich nach der Sache in Glastonbury. „Clastonbury?“, fragt Gillespie zurück: „Kann mich nicht erinnern, dort gespielt zu haben.“ Dann gießt er sich einen Kaffee ein, reicht Kekse und plaudert weiteT. Zehn Minuten später steht die Promoterin wieder im Zimmer, der Verzweiflung nahe. Wir stehen auf, Gillespie gibt mir die Hand, und ich frage direkt: ,Jber worüber habt ihr denn vorhin so gestritten?“Di legt Gillespie den Arm um mich, ignoriert das Flehen der Promoterin und die ausgestreckte Hand des nächsten Kollegen, um mich persönlich zum Fahrstuhl zu begleiten.

Er steht jetzt dicht vor mir, greift ein zweites Mal nach meiner Hand, hält sie fest und spricht sehr leise und sehr schnell: „Der Typ hatte mich gefragt, wie ich Palästina unterstützen könnte, wenn dort doch die Hamas an der Macht sei. Ich sagte ihm, daß die israelische Armee die Häuser palästinensischer Attentäter planiert und bombardiert, wo’s ihr gerade paßt, Mauern baut und Familien trennt. Da rollte er nur genervt mit den Augen, und ich fragte ihn: ,Wenn das nicht Faschismus ist, was dann?‘. Da unterstellt er mir, ich sei ein Antisemit…“ Ich erkläre Bobby Gillespie, daß speziell deutsche Journalisten sich sehr schwer damit tun, wenn ausgerechnet die Politik Israels als faschistisch bezeichnet wird. Er hört zu, nickt ernst und reicht mir ein drittes Mal die Hand: „Okay, verstehe.“ >» www.primalscream.org —