Friss mich, Cyborg!


Hat sich in 20 Jahren gar nichts geändert? Die Rückkehr von Grace Jones entzückt wieder das Feuilleton und versetzt das Publikum ins Staunen. Das Porträt einer Ausnahmeerscheinung.

Was macht eigentlich Grace Jones, die Popdiva mit der unmöglichsten Brikettfrisur der unmöglichen 8oer-Jahre? Vor Kurzem hätte man die Frage noch in eben dieser Rubrik im „Stern“ stellen können: „Was macht eigentlich …?“ Doch plötzlich ist Jones sogar Thema im Frühstücksfernsehen. Nach 20 Jahren Sendepause hat sie eine neue Platte, hurricane, aufgenommen und ein Video gedreht, das ihren Körper als Ort bizarrer Fantasien präsentiert – verzerrt, gemorpht und wieder zusammengezogen. Ihre Begrüßung fällt barbarisch aus: „Pleased to meet you, pleased to have you on my plate /you’re meat is sweet to me/ your destiny your fate /your my life support/your life is my sport/ l’m a man-eating machine.“

Grace Jones ist im Mai 60 geworden, ihren Geburtstag hat die deutsche Popkritik verpennt, bis auf den Internetradiosender Byte.Fm, der ihr ein Feature widmete. Sie fand zuletzt auch nicht im Discopunk/No-Wave-Revival statt, „weil sie als fremdbestimmtes, gelenktes Discogeschöpf betrachtet wurde. Die Hautfarbe spielte auch rein, Grace Jones war zu glamourschwarzsexy für die Postpunk-New-Wave-Kundschaft“, sagt Radio-DJ und Autor Klaus Walter, der auch für Byte.Fm moderiert.

Schon früher hat Grace Jones die Bilder, die man sich von ihr machte, munter manipulieren lassen, wie das Video zu „Slave To The Rhythm“ zeigt. Auf dem Jean-Paul-Goude-Cover der Maxisingle von 1985 ist ein Zerrbild von ihr zu sehen, mit grotesk aufgerissenem Mund. „GRACE JONES is… breath, hlood and voice“ steht auf der Rückseite geschrieben. Was war Grace Jones nicht sonst noch alles? Darling-Pin-up der Pop-Art-Fotografen, Bond-Girl, DAS Kunstgeschöpf der Postpunkära. Ihre Stimme klang nach aufgeblasener Kröte, ihre Shows besaßen eine ungeheure sexuelle Aggressivität. Jones‘ Talent zur Verrätselung ihres Selbst war beeindruckend. Sexuelle Rollenspiele gehören heute zum Mainstream. Anfang 1980 aber war das neu.

Grace Jones, am 19. Mai 1948 in Spanish Town/ Jamaika als Tochter eines Predigers geboren, geht in Syracuse/New York zur Schule und landet nach der Schauspielschule als Model in Paris – und in den großen Fashion-Magazinen. Das Vorspiel zu ihrer Popkarriere findet im legendären New Yorker „Studio 54“ statt. Ihr Song „I Need A Man“ entwickelt sich zum Mitsinghit in den Schwulendiscos.

Erst in der glänzenden Inszenierung, die sie mit ihrem Lover, dem Fotografen Jean-Paul Goude, entwickelte, wurde Jones zur Stil-Ikone der 80er. Sie strahlte eine androide Sinnlichkeit aus, sie verweigerte das Popweibchen, indem sie das so selbstische Kunstweib aufbot, das sich entschlossen lüsternen Blicken aussetzte. Echt? Unecht? Der gut geölte, androgyne Hardbody. Das schultergepolsterte Gottwesen mit dem geometrisch berechneten Kopf. Auf eine Art hat Grace Jones die Photoshop-Beautys unserer Tage vorweggenommen. Die Strenge der Inszenierung hatte aber auch etwas Martialisches und Feindliches. Wenn sie nackt mit Fußfesseln posierte, mag das Männerfantasien von der sexuell jederzeit verfügbaren schwarzen Frau bedient haben, dieses Raubtier signalisierte aber zur gleichen Zeit: Ich bin nur die Schimäre, das Monster, das dich für die drei Minuten eines Popsongs krallt.

Die Verwandlung war auch 1 hsche: Der elektronisch abgefederte Reggae von Sly & Robbie bot der Exzentrikerin Jones in den 198oern die Hallräume, die ihre Stimme brauchte. Sie konnte vielleicht nicht singen, aber wie sie das machte, war überzeugend. Sie bot hauptsächlich Coverversionen dar, Songs von männlichen Autoren, deren Inhalte und Geschichte sie jedoch über Bord warf: „Hier bekommt nicht eine Frau Lieder auf den Leib geschrieben, wie es so unschön heißt. Sie wird von der Interpretin zur Autorin“, sagt Klaus Walter. „Hier passiert eine Verwandlung durch Aneignung. Oder umgekehrt?“ Besonders gut nachzuhören im (Titel-)Song, der 1981 über ihrem ersten Hitalbum leuchtete: „Nightclubbing“ (von David Bowie und Iggy Pop für the idiot geschrieben), aber auch auf „Love Is The Drug“ (Roxy Music) und „She’s Lost Control“ von Joy Division.

Sie hat die Kontrolle über ihre Karriere zurückgewonnen. Jetzt will jeder dabei sein, wenn Grace Jones ins Rampenlicht tritt, sich neu erfindet, als entseelter Cyborg im globalen Monopoly. Vielleicht ist es wieder nur ein Spiel. Ihre Botschaft bleibt dennoch hängen: „Friss mich, bevor ich dich fresse!“ >»www.myspace.com/gracejonesofficial >» ALBUMKRITIK SEITE 77