Gangs of New York


Die Roc-A-Fella-Familie ist eines der gewaltigsten HipHop-Imperien der Welt. An der Spitze steht mit Jay-Z ein kluger Mann, der sich vom Drogendealer zu einem der besten Rapper unserer Zeit entwickelt hat.

Ein gutes Dutzend Homies liegt in Pelzkragenjacken und Wollmützen in den Sesseln der wohl temperierten Lobby des Oriental Mandarin Hotel in München. Die Roc-A-Fella-Crew bestellt Baileys („It’s a classic. Prince Charles drinks that shit“), diskutiert über Handys und erstaunlicherweise die „Brothers Keepers“-LP, als Beanie Sigel – nach Jay-Z der beste Rapper auf dem Label – von „trouble upstairs“ erzählt. Tatsächlich hat im ersten Stock Jays Manager hektische rote Flecken im Gesicht. Nachdem inzwischen nicht nur sein Star, sondern bereits auch der Bodyguard von Klatschreportern mit der verbotenen Frage belästigt wird, fürchtet er, die Kontrolle zu verlieren. „Ich muss mit Jay reden“, poltert er. „Dieser Scheiß mit ‚B‘ ist tabu.“ ,B’ist Destiny’s Child Sängerin Beyonce, mit der Jay-Z (33) in letzter Zeit so häufig gesehen wurde, dass die Gerüchteküche brodelt. Wahrend ME die ersten Fragen stellt, umkreisen uns mehrere Leute mit misstrauischen Blicken. Jay-Z selbst ist ein angenehmer Gesprächspartner. Er ist clean, direkt und ehrlich. Als sich eine Dame an der Tür postiert und beginnt, auf ihrem Handy herumzudrücken, unterbricht er das Gespräch und fragt sie knapp: „Kannst du damit aufhören?“

In deinem neuen Song „A Dream hört man Notorious B.I.G., wie er „Time to get payed, blow up like the …“rappt Was wurde da ausgeblendet?

… „blow up like the World Trade“. Ziemlich prophetisch.

Prophetisch, prophetisch, in der Tat. Biggie und Tupac waren in dieser Hinsicht unglaublich krass. Ich habe durch sie meine Herangehensweise an Musik geändert. Vor allem was die Thematisierunng von Tod angeht. Man kann so was auch herbeireden.

Biggies Debüt hieß „Ready To Die“…

Wenn du etwas aussprichst, dann fühlst du es ja auch. Das muss einem doch auffallen: So oft sagt man „Das und das wird passieren“. Dann passiert es, und du denkst: „Ich wusste es doch!“ A plus B ist C. Eins plus eins ist zwei. Das Leben hat seine mathematischen Regeln, und wenn du auf gewisse Zeichen achtest, kannst du vorhersehen, wie etwas ausgehen wird.

Am 11. September 2001 erschien dein Album „The Blueprint“. Wie hast du den Tag erlebt?

Es war absolut unglaublich. Ich hatte monatelang daran gearbeitet. Es ist eine der besten CDs meines Lebens. Ich war stolz darauf. Ich war in L.A., um ein Video zu drehen. Ich ging ins Bett, und am nächsten Tag kam mein Album. Ich war so aufgeregt. Und dann hat mich ein Anruf aus New York aus dem Schlaf geklingelt…

Ich war völlig schockiert und hab zehn Stunden ferngesehen. Immer wenn mir meine CD wieder eingefallen ist, hab ich mich schuldig gefühlt. Verglichen mit der größeren Ordnung der Dinge war das plötzlich so trivial. Nach all der Arbeit und der Vorfreude.

„The Blueprint“, auf dem Eminem einziger Gast ist, wurde von Kritikern zu einem der besten Alben des Jahres gewählt. Auf „The Blueprint 2 “ arbeitest du trotzdem wieder mit vielen Gastrappern.

Ich wollte was Neues machen. „The Blueprint“ war eher introvertiert. Eine CD über mich, meine Mum, meinen Paps – wie ich aufgewachsen bin. Jetzt wollte ich verschiedene Sounds wie Reggae und Rock ausprobieren. HipHop ist ein Chamäleon. Er verändert sich immer und ewig. Du musst neuen Shit machen.

Du hast für die Doppel-CD nur einen Monat gebraucht. Hast du alle Texte fertig, wenn du ins Studio gehst?

Beides funktioniert für mich. Manchmal hab ich irgendwo eine Songidee, die ich mir merke. Ab und zu höre ich auch einen Beat und texte direkt darauf.

Du schreibst normalerweise nichts auf, oder?

Nie. Ich habe über meine gesamte Karriere keinen Text aufgeschrieben. Das nächste Album aber wird „The Black Album“ heißen. Es wird mein letztes sein, und dafür werde ich alles aufschreiben. Ich werde mich hinsetzen und jeden Text ausformulieren.

Was erhoffst du dir davon?

Ich will mich mit einem Ausrufezeichen verabschieden. Und ich bin neugierig. Ich hab das noch nie ausprobiert. Es interessiert mich, wie sehr ich mich verbessern kann, wenn ich nicht nur herumspiele, sondern tatsächlich alles aufschreibe.

Und du meinst, du kannst einfach so aufhören mit der Musik? Das ist doch mehr als ein Job…

Es ist auf jeden Fall eine Leidenschaft. Ich werde einfach weiter Musik schreiben. Wenn ich eine Songidee habe, dann gebe ich sie vielleicht einfach an Beanie (Sigel) weiter. Mag sein, dass du mich da draußen noch spüren wirst, aber ich könnte durch die Münder anderer Künstler sprechen. Ich will keine Alben mehr rausbringen. Denn in dem Augenblick, in dem du eine LP machst, musst du auf Tour gehen, Promotion machen und so weiter. Dann wird es ein Business, und das hat auch nicht so viel mit Musik zu tun.

Hast du schon eine Vorstellung von dem Black Album?

Es wird kein Artwork und kein Foto von mir geben. Nicht mal eine Single. Auf den Straßen wird man genau prüfen, ob ich es im Kreuz habe, eine Platte unter so schwierigen Umständen zu stemmen.

Waren die vielen Gäste auf „The Blueprint 2“ bei den Duetten von deinen Skills als MC eingeschüchtert?

Nein, echt nicht. Früher mal. Als ich 1996 für mein Debüt „Reasonable Doubt“ den Song „Can I Live“ aufnahm, sollte ein Rapper gastieren. Als ich den ersten Vers machte, schüttelte er den Kopf und sagte:

„Vergiss es. Ich mach das nicht.“ Haha! Scarface hat sich kürzlich erst beschwert, dass er nicht gerade lockerer wird, wenn du ihm vor seinen Takes dein bestes Zeug vorspielst…

Das stimmt, haha! Aber ich mach das, damit der Vibe stimmt. Wenn ich eine krasse Platte machen will, dann höre ich mir vorher krasse Platten an. Bei den Aufnahmen zu „The Blueprint 2“ hab ich den ganzen Tag „U Don’t Know“ (von „The Blueprint“) gehört. Gute Musik pusht mich. Also hab ich Scarface auch was vorgespielt, und er fängt auf einmal an zu schreien: „Mach aus, mach AUS! Haha!

Eminem war nie so gut wie auf deinem Track „Renegade“. Outkasts Big Boy war nie besser als auf „Poppin‘ Tags“. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu…

Ja, ja, die wachsen eben alle an ihren Aufgaben, das ist doch fantastisch, haha!

Warum hört man auf deinen Alben nie Vertreter der „Conscious HipHop“-Fraktion wie Mos Def, Common oder Jurassics?

Das würden die Leute im Normalfall einfach nicht verstehen. Die würden sagen, dass ich das Ufer gewechselt habe. Ich finde das Blödsinn. Zuhause werde ich „Get By“ von Talib Kweli remixen. Selbst da werden mich schon Leute fragen, was das soll.

Für „’03 Bonnie & Clyde“ hast du ein Tupac-Sample benutzt. Befreundet wart ihr ja wahrscheinlich nicht …

Ich hab Tupac nie getroffen. Das einzige Problem, das er mit mir hatte, war meine Freundschaft mit Biggie Smalls. Und zwischen Pac und Biggie gab es Reibungen. Für ihn war ich einfach in der gleichen Clique.

Die „Reibungen“ wurden mit der Ermordung von zuerst Tupac in Las Vegas und dann Notorious B.I.G. in L.A. blutiger Ernst. Hast du um dein Leben gefürchtet?

Nah. (überlegt) Nö. Ich wusste, dass das ganze Eastcoast-/Westcoast-Theater nichts mit Musik zu tun hat. Da liefen andere Sachen hinter den Kulissen …

… aus denen du dich rausgehalten hast?

Ja. Diese Diskussionen haben mich nie interessiert.

In deinem neuen Song „Some People Hate“ sagst du, dass du dich wie Tupac fühlst.

Ich verstehe, was er gefühlt hat, wenn er „Me Against The World“ sagt. Ich weiß, wie es ist, an der Spitze zu stehen. Jeder meint, dass er dich mit irgendeinem Quatsch belästigen oder dich kritisieren muss. Du wirst zur Zielscheibe. „All Eyez On Me“, wie Pac sagt.

Hast du unruhigen Schlaf?

Nein. Es ist eher so, dass mich das motiviert. Ich will mich noch weiter absetzen und mein Zeug noch krasser durchziehen. Man könnte faul werden, wenn man einen gewissen Punkt erreicht hat… sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Aber je mehr Leute sich mir entgegenstellen und mich hassen, desto lichter brennt das Feuer, das mich weitertreibt.

Vor Jahren hat jemand aus einem Meter Entfernung drei Kugeln auf dich abgefeuert, ohne dich ein einziges Mal zu treffen. Hast du einen Schutzengel?

Mit Sicherheit! Das war göttliche Intervention! Ich meine… mein Leben hätte sich in so viele andere Richtungen entwickeln können. Es wäre sogar naheliegend gewesen. Ich hätte erschossen werden können. Ich hätte im Gefängnis landen können. Ich könnte drogenabhängig sein. Der Prozentsatz der Leute, die in der Gegend, aus der ich komme, so geendet haben, ist einfach unglaublich hoch.

…du hast hart gearbeitet, um da rauszukommen.

Warum manche Dinge so oder so passiert sind, verstehe ich nicht. Ich weiß nur, dass es einen Grund geben muss, dass ich noch da bin.

Kanntest du den Jungen, der auf dich geschossen hat?

Natürlich. Wir waren Freunde, sind zusammen aufgewachsen. So ist das bis heute in den Projects. Eines Tages tickst du aus (schnalzt). Eine Sekunde, und eine harmlose Situation wird lebensgefährlich.

Hat’s der Junge geschafft?

Ja, schon. Also … er ist am Leben.

Als du vier Jahre alt warst, hast du dir in einer siebenstündigen Sitzung selbst Fahrradfahren beigebracht. Wer hat dir so eine Arbeitseinstellung vermittelt?

Meine Mutter. Die hat schon gearbeitet, bevor ich auf der Welt war. Sie ist dieses Jahr in Rente gegangen. DIESES JAHR, verstehst du?

Ist sie stolz auf dich?

Ja. Vor ein paar Wochen hat sie mich „elegant“ genannt. Da musste ich lächeln. Sie findet, dass ich immer das Richtige zu sagen weiß. Dass ich gut mit Leuten umgehen kann.

Schimpft sie dich wegen der schmutzigen Texte?

Nah. Aber sie sagt, „Ääähhhh-buäh“. Haha!

Du warst elf Jahre alt, als dein Vater die Familie sitzen ließ. Wie bist du damit zurechtgekommen ?

Ich war kein Kind mehr. Als ich fünf war, mussten wir umziehen. Von Lexington Avenue in die Marcy Projects. Wir sind zu Fuß gegangen, wahrscheinlich um das Taxi-Geld zu sparen oder so. Mein Vater hat mich gebeten, uns da hinzuführen. Dann hab ich eben gesagt: „Links“, „da vorne rechts“ und so. Ich war ziemlich selbstständig.

Du hast kürzlich den ersten Urlaub deines Lebens gemacht. Dabeihast du auch Bono getroffen…

Ich war mit einem Schiff in Südfrankreich. Aber ich bin dann nach London, um in Wimbledon Serena und Venus anzuschauen. Da hat Quincy Jones, den ich seit Jahren kenne, in meinem Hotelzimmer angerufen. Als ich runterkam, stand Bono neben ihm.

Hattet ihr Gesprächsthemen?

Er ist sehr nett und hat mich nach Nizza eingeladen. Er hat gesagt: ‚Spring in meinen Flieger und komm mit‘, aber ich hatte ein paar Jungs dabei und wollte seinen Jet nicht überladen. Er hat mich am nächsten Tag in sein Haus zum Lunch eingeladen. Der Typ ist extrem intelligent. Ein sehr netter Mensch.

In „Bowling For Columbin“e behauptet Michael Moore, dass die Medien mit Crime-Sendungen wie „Cops“ den weißen Amerikanern Angst vor dem „schwarzen Mann“ machen. Erlebst du heute noch Rassismus?

Das spielt sich jetzt viel mehr unter der Oberfläche ab. Man sieht das nicht mehr – es passiert im Hintergrund. Aber natürlich existiert das noch.

1999 hast du einen Grammy für „Best Rap Album“ erhalten. Du hast mit Boykott gedroht, da die Verleihung dieser Kategorie nicht im Fernsehen gezeigt wurde.

Das war auch nicht in Ordnung. Das ist, als ob du mich zum Dinner einlädtst und mir dann sagst, dass ich im Keller essen soll. Das ist nicht cool.

Vielen Dank. Ach so – Augenblick. Ist es Zufall, dass sich Nelly auf Kelly und Jay-Z auf Beyonce reimt?

Nelly auf Kelly … Jay-Z, B … HAHAHA! Das ist mir noch nie aufgefallen! Haha, das ist cool… www.jay-z.net