Herr Argos schlägt zurück


Art Brut erklären auf ihrem dritten Album Art Brut Vs. Satan mittelmäßiger Musik den Kampf. Höllisch unterstützt von Pixies-Gott Frank Black. Und das ist nicht das einzige Gefecht, in das sich Eddie Argos stürzt.

Die verdammte Sehnsucht. Andere kaufen Wohnungen, bekommen Kinder, schließen Riester-Renten ab. Keine Sicherheit, nirgends. Trotzdem sucht man immerweiter.EddieArgosweiß, wovon wir sprechen. Das dritte Album seiner Band handelt im Kern von nichts anderem als dieser Sehnsucht – und einem funkelnden Hoffnungsträger namens Musik. „We can’t change the world let’s at least get the charts right“, singt Argos, 29 Jahre alt und kein Debütant in Sachen Desillusionierung mehr, in „Demons Out!“, einem von elf Songs auf ART BRUT VS SATAN, und rammt damit den Pflock ganz tief ins Herz hinein. Schließlich geht es darum, das Böse zu besiegen. Welcher Ort wäre dafür geeigneter als die Reeperbahn? Wir sitzemneinerHotel-Lobby.Argos‘ Ryan-Air-Maschine kam später, weil in London zwei Schneeflocken gefallen sind. Er ist viel dünner, als man ihn in Erinnerung hatte, auch das Haar deutlich kürzer, der Bart ist ja schon länger ab. Mit seinem Anzug-Tweed? Kamelhaar?-, Halstuch und eleganten Schuhen könnte er auch einen britischen Landadligen abgeben, hingen nicht diverse Band-Buttons an seinem Revers. Eines aber ist geblieben: Argos spricht immer noch schneller als Dieter Thomas Heck. Satan also. „Ich war dieses Mal ein bisschen wütender, als ich die Text geschrieben habe“, sagt Argos und versucht erfolglos, ein böses Gesicht zu machen. Die Wut richtet sich beispielsweise gegen Nachmacher-Bands, das moderne Leben auf der Überholspur und: Plattenkäufer mit miserablem Geschmack. „Ich hasse sie“, sagt Argos und lacht, ohne dass dies seine Aussage im Mindesten entschärfen würde, „Tbe Replacements müssten die größte Band der Welt sein, wenn die Menschen Geschmack hätten. Oder meine Liebimgsband: The Mountain Goals. Die sollten ganz oben in den Charts stehen! Stattdessen kaufen die Leute all diese schlimmen Platten von U2-Klonen. Und das sind genau die gleichen Leute, die unsere Regierung wählen. Das bricht mir das Herz.“

Er meint das ernst. Argos wird seit Beginn seiner Karriere, die 2005 mit dem fulminanten BANG BANG ROCK & ROLL begann und mit dem eher mediokren 2007er-Album IT’S A BIT COMPUCATED weiterging, nicht müde, zu erklären, dass er keineswegs der Ironiker ist, für den ihn alle halten. Wenn er in „The Replacements“ singt „/ want to love them I But I can’t be sure I I’ve been let down I So many times before /(…) I hope I’ve finally found / A band that’s not going to let me down“, darf man glauben, dass der Wunsch, nicht wieder enttäuscht zu werden, einer Sehnsucht entspringt. Musik kann sich nicht mit dem Ex verpissen — sie bleibt. Dass Argos seiner großen neuen Liebe, den Replacements eben, erst kürzlich auf Pitchfork.com begegnet ist, soll dabei nicht weiter stören. Genau so wenig wie die Tatsache, dass die Bandmitglicder fast so alt sind wie Argos‘ Eltern.

E in anderer, nicht mehr ganz junger Herr bat die Band in sein Studio in Salem, Oregon. Pixies-Chef Frank Black alias Black Francis produzierte ART BRUT VS SATAN. Zuvor hatte er die Band in Cambridge gesehen und die Zusammenarbeit angeboten. Nicht gerade wenige halten Black ja für Satan höchstselbst. „Nein, er ist ein total warmherziger Mensch“, sagt Argos und lacht. „Als wir ihn das erste Mal sahen, waren wir höllisch nervös, besonders unsere Bassistin Freddy, der größte Pixies-Fan der Welt. Und was macht er? Umarmt uns alle erst mal.“

Black spielte zwar selbst keine Instrumente auf der Platte, aber wer Songs wie „Alcoholics Unanonymous“ oder den sicheren Hit „Twist And Shout“ hört, weiß, wer hier wen inspiriert hat. Die Songs erinnern mit ihrem rohen Charme und nervösen Gitarrensoli stark an die Musik von Frank Black and The Catholics – die Argos den Pixies sogar vorzieht. Ihn und Black verbindet noch mehr. Während seine Band-Kollegen ihre Parts einspielten, las Argos stundenlang Comics, mit denen er von Black eingedeckt worden war. „DC Comics and Chocolate Milkshakes“ fasst Argos‘ langjährige Leidenschaft mit rührenden Worten zusammen: „From delivering post to serving beer / I’ve never had much of a career. But I made sure I was always near/DC Comics and chocolate milkshakes I Some things will always be gmt£“.Damitnichtgenug:Fürdas Internet-Musikmagazin www. playbackstl.com schreibt Argos Comic-Kritiken: streng subjektiv und sehr lesenswert.Genau so wie die Texte, die er für das Blog Zoom-In.com verfasst und als Briefkasten-Tante epochale Fragen beantwortet wie:

„Ich möchte die Kaiser Chiefs sein. Wie kriege ich das hin?“ Antwort: „Bleib lieber bei deinem Banjo!“ Denn dafür stehen Art Brut ja vor allem: für Argos‘ Fähigkeit, alltägliche Beobachtungen zuzuspitzen und sie weg von der Banalität hin zu einer Gesamtaussagc über die Kultur, die Popkultur im Speziellen und das Leben als solches zu transformieren. Populär Culture still aplies to him. Das zeigt sich auch später.

Es ist Nacht geworden über der Reeperbahn. Eddie legt in einer Bar auf, die aussieht wie ein barockes Verließ. Er hat nur gebrannte CDs dabei und ein Notizbuch, in dem die Interpreten stehen. Das Publikum ist jung. Viele Songs, die Argos spielt, sind ein gutes Stück älter: Jonathan Richman, Beach Boys, Lou Rced. Argos guckt abwechselnd auf die Tanzfläche und an die Bar, wo seine Freundin Dyan Valdes steht, Keyboardenn von The Blood Arm. Gemeinsam bringen sie als Evcryone Was In The French Resistance … Now im Herbst eine Platte heraus, in der sie „alte Popsongs korrigieren“. Der Kampf gegen das Böse hat gerade erst begonnen.

www.artbrut.org.uk

Albumkritik S. 68

Eddie Argos (29), aufgewachsen an der Ärmelkanal-Küste im Südwesten Englands, war Goth (..vor allem, um ein Mädchen zu beeindrucken“), Hilfspolizist. Barkeeper, half psychisch Kranken. Vor allem war und ist Eddie aber sehr kreativ. Zu seinen Songs malt er Bilder, auf seiner Blogseite http://the-eddie-argos-resource. hlogspot.com nennt er gleich acht Bands, deren Mitglieder ist. Was er allerdings nicht ist. ist ein Gospelsiinger. Mit einem solchen wurde er unlängst in einem Berliner Hotel verwechselt: Kevin Macklin. Das ist nämlich Eddies bürgerlicher Name.