„Himmlischer“ Hawkwind-Höllenlärm


Montagmorgen vor einer Autobahn-Raststätte zwischen London und Liverpool. In einer ganz gewöhnlichen Limousine sitzen ein halbes Duzent 'kaputter* Typen, die nicht gerade den Eindruck erwecken, als ob sie die gute Laune gepachtet hätten. "Hallo", kam es müde aus dem Fenster des Wagens, in dem ein Teil der Jungs von Hawkwind auf ihren Manager Doug Smith und mich gewartet hatte. "This is Lutz from MUSIK EXPRESS" stellte mich Doug den abgeschlafft aus der Wäsche schauenden Typen vor.

ROCK’N’ROLL SUPERMARKT IN DÜSSELDORF

So ungefähr sah es aus, als ich die Band an jener Autobahnraststätte zum ersten Mal persönlich kennenlernte. Auf der Bühne hatte ich Hawkwind bereits einmal erlebt – und zwar auf dem schon einige Monate zurückliegenden Festival in der Düsseldorfer Philipshalle. „Das war ein schlechtes Konzert damals“, erinnert sich Doug, „zwei Bands mussten ihre Anlagen immer gleichzeitig auf der Bühne aufbauen. Das Ganze glich eher einem Rock’n‘ Roll-Supermarkt als einem Festival. Aber heute Abend in Liverpool, da kannst Du mal erleben, wozu Hawkwind wirklich in der Lage sind.“ Nun, so ganz konnte ich diesen reklamereifen Manager-Worten keinen Glauben schenken, denn die Hawkwind-Mannschaft machte mir einfach einen zu ausgekippten Eindruck. Wohl nie zuvor habe ich so total verschiedenartige Leute in einer Band gesehen.

ROCKER ODER SPACE-TRIPPER?

Lemmy, der Bassist, fiel mir als erster auf. Schon in der erwähnten Raststätte fühlte ich, dass er mich durch seine Sonnenbrille aus Spiegelglas so anstarrte, als hätte ich ihm auf den Schlips getreten. Mir erschien er wie der Prototyp eines Rockers. Um den Hals trug Lemmy eine Kette mit Bärenzähnen oder was auch immer, auf seinen Jeans war ein Mercedes-Stern aufgenäht und während der langen Autofahrten zwischen den Gigs schmöcktere er am Liebsten in Büchern über Adolf Hitler und das Dritte Reich. Beinahme bin ich jetzt sicher, dass ich viele Rocker auf den Hawkwind-Trip gebracht habe, aber ganz zufällig gehören zur Band noch Dave Brock (git./voc), Nie Turner (sax./voc), Dik Mik (audio-generator), Simon King (drums), Del Dettmar (synthesiser) sowie der Songschreiber und Lead-Vocal-Astronaut Bob Calvert.

CAPTAIN LOCKHEED & THE STARFIGHTERS

Bob war in Liverpool abwesend, weil er sich, laut Manager Doug ‚in einer Flipp-Phase befindet, von der man noch nicht so genau weiss, wie lange sie andauert‘. Jedenfalls, wenn er mit seinen Nerven wieder einigermassen zusammen ist, wird der ‚Durchblicker‘ Bob Calvert ein vielleicht ziemlich interessantes Projekt fertigstellen. Mit einer Session-Band, die zum Grossteil aus Hawkwind-Mitgliedern besteht und die sich ‚Captain Lockheed & The Starfighters‘ nennt, plant Bob einen neuen Stage-act. Die Musik dazu soll irgendwann im Winter auf einer LP erscheinen. Als kleinen Vorgeschmack darauf hat ‚Captain Lockheed …‘ gerade jetzt bereits die Single ‚Ejection‘ veröffentlicht. Inhalt des in Vorbereitung befindlichen Bühnenwerks werden die unzähligen Starfighter-Abstürze in Deutschland sein. Schau mal einer an!

STACIA’S BÜHNEN-STRIP

Oh, beinahe hatte ich noch vergessen, die Raumfahrt-Tänzerin Stacia zu erwähnen. Sie durchkreuzt den musikalischen Weltraum sozusagen im freien Flug. Wenn die Hawkwind-Space-Sound-Rakete von der Startrampe abgehoben hat, lässt Stacia genauso cool wie mutig oft auch ihre allerletzten Hüllen fallen, wobei eine aus allen Rohren feuernde Lightshow-Stalinorgel ihren überdimensionalen Busen anstrahlt.

LIVE IN LIVERPOOL

Auf den gerade beschriebenen Bühnen-‚Akt‘ hatte ich mich eigentlich auch an diesem Abend in Liverpool gefreut, aber Stacia blieb mit einer Grippe im Hotel zurück. Dafür erlebte ich ein 3000 köpfiges, noch sehr junges Publikum, das dermassen ausflippte und den ‚himmlischen‘ Höllenlärm in die Ohren tankte, wie man es sich eigentlich nur bei David Cassidy, den Osmonds oder T.Rex vorstellen kann. Man wird eben immer wieder überrascht. Liverpool ist allerdings so etwas wie eine Hawkwind-Hochburg – hier wurde nämlich vor einigen Monaten das ‚Space-Ritual‘ Live-Album aufgenommen. Nun, am folgenden Morgen ging’s zurück nach London. Liverpool hatte übrigens seinem Image als ‚ungemütliche‘ Stadt alle Ehre gemacht. Die ganze Zeit über regnete es in Strömen. Unterwegs trennten sich die Wege von dem Hawkwind-Space-Team und mir an derselben Raststätte, an der wir uns kennengelernt hatten. Beim Abschied wunderte ich mich noch einmal kräftig darüber, was für irren Leuten man nicht so alles begegnet – besonders, als sogar Lemmy mir einen freundschaftliches ‚bye, bye‘ zurief.