Hirnflimmern


War jemand letztens auf einem Festival? Ausreichend bescheuerte Frage in einem Musikmagazin, ja. Ich frage nur, weil: ich nämlich nicht. Ich habe die Saison bislang links liegen gelassen und versuche mir gerade die einschlägigen Open-Air-Situationen vorzustellen in diesem Sommer (doh!), irgendwo zwischen Starkregenereignis und Vuvuzela. Bei aller Duldsamkeit, die man bei Festivals ja immer wieder aufbringt in einem Maße, dass man am Ende guten Gewissens von gehabtem Spaß berichten kann: Wie fühlt sich das an 2010?

Früher … – sagen wir: vor nicht allzu langer Zeit, als wir noch gern mal in kleinen bis mittelgroßen Zeltlagerverbünden bei Festivals aufschlugen, hatten wir das leider nie so drauf wie diese Profitypen, die schon anderthalb Wochen vor Rockbeginn anreisen und erst mal eine Wohnzimmereinrichtungen nebst Kühlschrank und Heizpilz auf ihrer Campingparzelle installieren. Tatsächlich hatten wir es selten auch nur so drauf wie die ganz normalen Typen, die einfach rechtzeitig kommen, um noch einen akzeptablen Platz zu ergattern. Wer einmal vier Tage Roskilde an einer Hauptfußverkehrsader des kleinstadtgroßen Camping-Areales verlebt hat, acht Meter jenseits der Straße die aus alten Linienbussen zusammengestellte 24-Stunden-Disco-Wagenburg der crazy Norweger, jede Nacht der vordere Zeltteil von strauchelnden Trinkern plattgelatscht, und der Urin … lassen wir das mit dem Urin – wer einmal solch gold’ne Tage verbracht hat, weiß, was ich meine. Abgesehen von derart apokalyptischen Ausnahmeszenarien (fun was had by all) wussten wir, dass wieder mal das große Los gezogen war, wenn einer der Haushalte in der Nachbarschaft über ein Megaphon verfügte. Es erlangte dann einmal mehr der alte Leitsatz Gültigkeit: Gib einem Narren ein Megaphon – und er ist ein Narr mit einem Megaphon. Ein Megaphon macht etwas mit seinem unbedarften Benutzer; das Spielkind wird zur unkontrollierbaren Lärmschleuder. Zu nachmittäglichen Grillzeiten kreisen Megaphone um langsam mit Dosenbier volllaufende Klappstuhlkränzchen, die immer neue lustig quäkbare Slogans kreieren. Zu unchristlichen Nachtzeiten werden sie von erweichten Drogenkonsumenten in Betrieb genommen, die dann selbstvergessen mit der Sirenenfunktion experimentieren. Megaphone sind super und eine Pest. Gottlob sind sie sehr teuer. Vuvuzelas sind sehr preisgünstig. Ich hatte noch keine am Mund, aber ich blies versuchshalber in einen Schnorchel. Tatsächlich kam ein Ton zustande, und ich fühlte das Kribbeln des vibrierenden Klangrohres sowie die nicht unangenehm belämmerende Leichtigkeit in der Birne, die das Pusten verursacht. Und konnte mir plötzlich vorstellen, wie der arglose Vuvuzela-Bläser ganz schnell und unversehens „lost in music“ geht. Ich glaube, ich wäre dieses Jahr ein schwieriger Zeltnachbar.